Depression zum Jahreswechsel?

Ursachen, Risikogruppe, Tipps: Das sollten Sie über den "Neujahrsblues" wissen

sde

2.1.2024, 15:22 Uhr
Zum Jahreswechsel leiden viele Menschen unter dem "Neujahrsblues".

© imago images/Pond5 Images, NNZ Zum Jahreswechsel leiden viele Menschen unter dem "Neujahrsblues".

Vielleicht haben Sie es auch schon mal erlebt: Plötzlich fallen Sie – vielleicht aus einem bestimmten Grund, vielleicht ohne bekannte Ursache – in ein emotionales Loch. Man ist dann beispielsweise traurig, leicht reizbar, in der Stimmung schwankend, missmutig, hoffnungslos, unglücklich, pessimistisch oder antriebslos. Ein solches Tief durchleben zahlreichen Menschen insbesondere in der Zeit zwischen den Jahren, das Phänomen nennt sich landläufig "Neujahrsblues".

Warum fallen rund um Silvester viele Menschen in ein emotionales Loch?

Die Gründe für dieses Phänomen, das landläufig als "Neujahrsblues" bekannt ist, sind vielschichtig. Ein zentrales Problem bei vielen Betroffen: Das Jahresende ist für gewöhnlich die Zeit, ein Fazit zu ziehen – zur persönlichen Entwicklung im vergangenen Jahren, dem Status der gesetzten Ziele, zu prägenden Momenten in den letzten Monaten.

Diese Bilanz fällt aber nicht immer positiv aus, beispielsweise wenn man trotz des Vorsatzes, mehr Sport zu treiben und weniger ungesundes Essen zu sich zu nehmen, ordentlich zugenommen hat. Oder, wenn man die Finger immer noch nicht von Zigaretten lassen kann. Oder, wenn man immer noch nicht Spanisch gelernt hat. Die Enttäuschung über verpasste Gelegenheiten und nicht erreichte Vorsätze kann die Stimmung trüben – ebenso die Ernüchterung im neuen Jahr, wenn man bereits am dritten oder vierten Tag seinen Vorsatz bricht.

Tatsächlich haben nur die wenigsten Menschen gleich beim ersten Versuch, ihren Vorsatz umzusetzen. Erfolg. Wissenschaftler der Universität von Washington stellten etwa in einer Studie fest, dass jeder Fünfte mehr als sechs Anläufe benötigt, um die gefassten Vorhaben zu verwirklichen.

"Alles sehr emotional"

Aber auch abseits von (Nicht-) Errungenschaften gibt es diverse Ursachen, die zu einem Neujahrsblues führen können – zum Beispiel Gefühle. An den Tagen vor und nach Silvester ist "tatsächlich alles sehr emotional", erklärte Manfred Wolfersdorf, Chefarzt der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie oder Psychosomatik des Bezirkskrankenhauses Bayreuth gegenüber dem "Focus". Das beginnt allein mit der Weihnachtszeit: Die Zusammenkunft mit der Familie birgt reichlich Konfliktpotenzial, emotionalen Ballast und schlichtweg ein ungewohntes Ausmaß an Nähe. Wie Christian Thiele von der Deutschen Gesellschaft für Positive Psychologie gegenüber den "Stuttgarter Nachrichten" bestätigte, kommt es deshalb bei vielen Menschen zu Stress und enttäuschten Erwartungen an die Feiertage.

Erschwert werden diese beiden Hauptgründe für den Neujahrsblues durch die grundsätzlichen Gegebenheiten über die Feiertage: An den kalten Wintertagen mangelt es an Tageslicht und oft an Bewegung an der frischen Luft. Der Zusammenhang zwischen Wohlbefinden und Lichtmangel ist bereits wissenschaftlich belegt. Zudem fehlt vielen Menschen der Alltag, anstatt zu arbeiten und sich damit abzulenken ist über Weihnachten und Silvester reichlich Zeit, um zu grübeln – zum Beispiel über Misserfolge und ausgelassene Chancen.

Und: Die meisten Menschen nutzen die freien Tage, um ordentlich auszuschlafen. Dagegen ist nichts einzuwenden, sofern man es nicht übertreibt. "Denn zu viel Schlaf kann die Entstehung einer Depression begünstigen", erklärt der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Hegerl. Das sei inzwischen auch durch Studien gut belegt.

Wer zählt zur Risikogruppe für den Neujahrsblues?

Auch im Falle des Neujahrsblues gibt es Risikogruppen, die anfälliger für das emotionale Tief rund um den Jahreswechsel sind. Dazu zählen laut Thiele insbesondere Menschen, die gerade eine frische Trennung oder einen Trauerfall in ihrem nahen Umfeld zu verkraften haben, sowie Personen, die frisch in eine neue Stadt gezogen sind und dort kaum soziale Kontakte haben. Wer zudem an einer Erkrankung leide oder einen schweren Rückschlag erlitten habe, sei ebenso gefährdet.

Wenn Sie sich also bei der Risikogruppe, aber insbesondere bei den Symptomen wiedererkannt haben, besteht trotzdem kein Grund zu großer Sorge. "Ein bisschen Trauer gehört dazu, wenn sich Wünsche oder Träume nicht erfüllt haben und man sich von ihnen verabschieden muss", sagt Psychiater Wolfersdorf. Thiele pflichtet bei: "Dass man sich auch mal niedergeschlagen und lustlos fühlt, ist ganz normal.

Eine nachdenkliche, zweifelnde Stimmung zu Beginn des Jahres ist erst mal kein Alarmzeichen, die vergeht häufig schnell wieder." Von einer Depression kann man also noch nicht sprechen. Sofern die gedrückte Stimmung aber länger als zwei Wochen andauert, solle man sich laut Thiele professionelle Hilfe suchen.

Aber Achtung: Menschen, die bereits unter Depressionen leiden, sind ebenfalls bei einem Neujahrsblues gefährdet. In sehr emotionalen und aufwühlenden Situationen kann es unter Umständen einen neuen Krankheitsschub auslösen, sagt Ulrich Hegerl, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Leipzig, dem "Focus".

Was hilft gegen den Neujahrsblues?

Als erste "Hausmittel", um der Endzeitstimmung zum Jahreswechsel ein Ende zu setzen, würden laut Thiele Bewegung an der frischen Luft, die Pflege sozialer Kontakte sowie bewusste Rückblicke, bei denen man sich besonders an schöne Erlebnisse und Erfolge erinnert, helfen. Beispielsweise könnte man sich Fotos von glücklichen Momenten im vergangenen Jahr ansehen.

Bei einem Rückblick auf das vergangene Jahr darf man sich übrigens nicht von sich selbst austricksen lassen: Dem Bericht des "Focus" zufolge neigen die meisten Menschen dazu, sich zuerst an das Negative zu erinnern. "Die negativen Erlebnisse sind im Gedächtnis viel fester verankert als die positiven. Daher erinnert man sich auch eher an das, was einen beeinträchtigt und traurig gemacht hat", erläutert Wolfersdorf. Wer aber über mehrere Wochen hinweg gar nicht mehr in der Lage ist, etwas Positives zu sehen, wer sich minderwertig und hoffnungslos fühlt, und wem alles sinnlos erscheint, der befinde sich laut dem Psychologen bereits im depressiven Denkmuster.

Einige Strategien im Umgang mit dem Neujahrsblues betreffen auch den Ausblick aufs neue Jahr. Thiele rät, eine Liste mit kleineren und größeren Fortschritten zu erstellen, und sich nur wenige, dafür aber realistische und attraktive Ziele für das neue Jahr vorzunehmen.