Vinyl-Comeback

Und sie dreht sich doch! Warum die Schallplatte nicht totzukriegen ist

Sophie Neukam

24.3.2022, 10:45 Uhr
Nicht nur Schallplatten, auch die Plattenspiele sind wieder in Mode – viele Modelle gibt es schon seit den 1980er Jahren.  

© Alexander Heinl/dpa-tmn Nicht nur Schallplatten, auch die Plattenspiele sind wieder in Mode – viele Modelle gibt es schon seit den 1980er Jahren.  

Ich weiß heute nicht mehr, warum mich der abgenutzte Schallplattenspieler so fasziniert hat. Ich entdeckte ihn damals auf dem Fürther Grafflmarkt und war mir sicher: den muss ich haben. Obwohl er mir erst einmal nicht viel half, weil ich gar keine Lautsprecherboxen besaß. Ich kaufte ihn für 30 Euro und bestellte die fehlenden Teile im Internet. Ein halbes Jahr später nahm die Musikanlage das halbe Wohnzimmer in Anspruch.

So wie ich hängen immer mehr Menschen wieder an der Nadel, wie es ironisch in Vinyl-Kreisen heißt. Als Anfang der 1980er Jahre die CD auf den Markt kam, lief sie der Schallplatte schnell den Rang ab. Seit 2007 beobachtet der Bundesverband der Musikindustrie die Renaissance der Musik auf Platte. Die Verkaufszahlen in Deutschland legten von 300 000 im Jahr 2006 auf 4,2 Millionen im Jahr 2020 zu. Und das, obwohl es inzwischen deutlich günstigere und bequemere Möglichkeiten gibt, Musik zu hören.

Warum greift man also überhaupt noch auf die schwarze Scheibe zurück? "Für mich ist es etwas sehr Entspannendes, sich ganz und gar auf ein Album zu konzentrieren", sagt der Nürnberger Student Moritz von Lennep. Man sei nicht ständig damit beschäftigt, neue Lieder beim Streaminganbieter zu suchen und auszuwählen. "Vielmehr genießt man die Musik so, wie sie der Künstler geschaffen hat", erklärt der 22- jährige Student der erneuerbaren Energien.

Im Dachgeschoss der Wohnung im Nürnberger Norden stehen die Schallplatten fein säuberlich aufgereiht in schwarzen Kästen. Vor drei Jahren hat er sich die erste LP gekauft, inzwischen sind es 200, die er gerade nach der Farbe sortiert. Das Cover hat er zu jedem Album im Kopf. Denn zum bewussten Musikhören auf Vinyl gehört schließlich mehr, als nur den "Play-Button" zu drücken. Eine Schallplatte werde anders wahrgenommen.

Für ihn ist jedes Album ein Kunstwerk: Tobias Leitmann betreibt den Platten- und Hifi-Laden "mono-Ton".

Für ihn ist jedes Album ein Kunstwerk: Tobias Leitmann betreibt den Platten- und Hifi-Laden "mono-Ton". © Roland Fengler

"Für mich ist jedes Album ein Kunstwerk", sagt Tobias Leitmann, der den Platten- und Hifi-Laden "mono-Ton" am Färbertor in Nürnberg betreibt. Dazu gehört für ihn neben der Musik die Gestaltung und Haptik von Cover und Begleitheft. "All das bietet einen Mehrwert, den es im Digitalen nicht gibt", sagt der 53-Jährige, während er mit den Händen seinen Worten Nachdruck verleiht, "sonst fehlt einfach ein Teil des Kunstwerkes."

Ein halbes Leben lang

Auch die Klangqualität der Musik kann ein Plattenspieler verbessern. "Ab 400 bis 600 Euro bekommt man ein gutes Einsteigermodell, das bei Bedarf nachgerüstet werden kann und ein halbes Leben hält", empfiehlt Leitmann. Die Stiftung Warentest hat nach mehr als 35 Jahren wieder die neuesten Modelle auf Herz und Nadel geprüft. Dabei konnten fast alle 16 Geräte "gut" abschneiden. Den Testsieg holte jedoch der Magnat MTT 990 (rund 900 Euro). Die größten Unterschiede liegen in der Bedienung der Schallplattenspieler (automatisch oder manuell) und dem Antrieb (Direkt- oder Riemenantrieb). Besonders sollte man beim Kauf darauf achten, ob ein sogenannter Vorverstärker bereits im Gerät verbaut ist.

Statistisch gesehen sind die meisten Vinyl-Liebhaber zwischen 50 und 59 Jahre alt. Gerade für junge Menschen spielt der Faktor Geld eine große Rolle. Student Moritz von Lennep greift deshalb gerne auf gebrauchte Platten zurück oder spart sich eine Platte zusammen. "Erst kürzlich habe ich zwei Platten in den USA für 100 Euro gekauft. Die Hälfte geht allein für den Versand drauf, aber ich fand den Künstler so toll", sagt er. Der Weg zur Platte mache dabei den Charme aus. Dass sie eben nicht sofort verfügbar und auf Knopfdruck abspielbar ist. Von einem Künstler zu hören, die Platte zufällig im Laden zu entdecken, sich Zeit zu nehmen, sie anzuhören. "Man hat dadurch sofort eine engere Verbindung zum Produkt", sagt der 22-Jährige.

Die Schallplatte hilft beim Entschleunigen

Trotz allem bleibt der LP-Bereich eine Nische, nur 0,8 Prozent der Deutschen hören aktuell Vinyl. So wird es wohl auch bleiben, vermutet Leitmann, der vor 21 Jahren den "mono-Ton" gegründet hat. "Doch auf einem gesunden, wirtschaftlichen Niveau bietet uns das gute Zukunftsperspektiven."

Ja, Musik zu streamen ist meist günstiger und bequemer. Aber in einer Zeit, in der wir während einer Videokonferenz bereits die nächste Anfrage per Mail beantworten, ist die Rückkehr zum analogen Musikhören für viele Menschen eine willkommene digitale Auszeit. Heißt: Die Schallplatte hilft uns beim Entschleunigen.

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