So trotzt eine der ältesten Buchhandlungen Bayerns Corona
22.3.2020, 14:16 UhrDüster ist es in der Ansbacher Karlstraße 10. Geben sich in der Buchhandlung Seyerlein normalerweise Schulklassen, Studenten und jahrelange Stammkunden die Klinke in die Hand, sitzt jetzt Inhaber Johannes Seyerlein alleine hinter verschlossenen Türen. Nur seine Schreibtischlampe und der Bildschirm laufen. Denn eines ist klar: Die Kosten müssen wo es geht runter. "Mein Geschäft lebt von der Face-to-face-Kommunikation. Unsere Kunden kommen zu uns, um sich beraten zu lassen und auch mal mit uns über Gott und die Welt zu plaudern. Das ist nun alles nicht möglich.
Als Inhaber hinter den verschlossenen Türen seines Ladens zu sitzen – das ist eine surreale, beklemmende Situation", sagt Seyerlein. Dabei blickt er – und vor allem sein Unternehmen – auf jahrhundertelange Erfahrung zurück: Die Buchhandlung gibt es seit 1716. Sie zählt damit zu den drei ältesten in Bayern. Seit 1913 ist sie im Besitz der Familie Seyerlein. Das Geschäft hat zahlreiche Krisen überlebt. Weltkriege, Inflation, Wirtschaftskrise – eine Situation wie jetzt gab es aber noch nie. Im Jahre 1992 wurde Johannes Seyerlein Inhaber. Heute hat er aktuell einen Vollzeitangestellten, drei Teilzeitkräfte (darunter seine Frau Monika) und zwei 450-Euro-Aushilfen. Was dem Betrieb Mut macht: Die Geschäftspartner zeigen gerade jetzt in der Krise große Solidarität. So wurden die Zahlungsziele teilweise verlängert. Doch in vielen Fällen ist das Geld auch weg. Beispiel Gesangsbücher: Von ihnen hatte Seyerlein zuletzt viele bestellt, da die Konfirmationszeit bevorstand. Da diese nun ausfällt, bleibt der Buchhändler auf der Ware sitzen.
Gäste profitieren: Nürnberger Disko startet Crowdfunding-Aktion
Die in Bayern verhängte Ausgangsperre und deren wirtschaftliche Auswirkungen – sie geht auch an diesem Unternehmen nicht spurlos vorbei. "Unsere Mitarbeiter sind verunsichert. Wir haben sie gebeten, jetzt erst einmal Überstunden abzubauen. Sollte sich die Lage nicht schnell entspannen und wir wieder öffnen dürfen, müssen wir definitiv Kurzarbeit anmelden", erklärt Seyerlein. Auch er ist nun auf Soforthilfe von der Regierung Mittelfranken angewiesen. "Ich hoffe, dass jetzt auch schnell Geld fließt. Denn lange halten wir das nicht durch." Einen Kredit hält er nicht für eine passende Hilfsmaßnahme. "Dem würde ich nur jahrelang hinterherrennen.
Die Umsätze, die mir jetzt wegbrechen, hole ich nie mehr herein. Denn nach der Krise werden die meisten Leute jetzt nicht zu mir kommen und doppelt so viele Bücher kaufen, wie sie es sonst tun." Doch statt den Kopf hängen zu lassen, sieht Seyerlein die Situation auch als Chance. Einen eigenen Online-Shop hat die Buchhandlung seit 20 Jahren – jetzt rückt dieses digitale Angebot aber voll in den Mittelpunkt. Quasi über Nacht wird die Buchhandlung zum Online-Händler. "Mittlerweile haben wir den vierten Relaunch hinter uns. Heute kann ich sagen: Gott sei Dank haben wir das gemacht." Als aktuell reiner Online- und Telefon-Händler verkauft Seyerlein zwar deutlich weniger als vor der Krise – aber immerhin verkauft er überhaupt etwas.
Vergangene Woche hatte die Buchhandlung erstmals zehn Online-Bestellungen an einem Tag. "Das sind für Internetbuchhändler natürlich lächerliche Zahlen, für uns ist es aber ein ganz neues Feeling", schmunzelt Seyerlein. Zum Überleben wird das auf Dauer aber natürlich nicht reichen, deshalb hofft Seyerlein auf eine schnelle Normalisierung. "Mir fehlt deutlich mehr als die Hälfte des Umsatzes. Und ganz ehrlich: Jetzt weiß ich, wie sich reine Online-Versandhändler fühlen. Mir macht das keinen Spaß. Ich will auch in Zukunft viele meiner Kunden ehrlich beraten können." In der aktuellen Phase hat Seyerlein seine Kanäle erweitert. Auf dem firmeneigenen Instagramkanal erscheinen nun täglich Postings. Zudem läuft die familieninterne Online-Marketingmaschinerie an. Die Instagram-Postings übernimmt Tochter Katja, von Beruf Bibliothekarin. Sohn Philipp und Seyerleins vier Nichten machen in Social Media ihre Kontakte darauf aufmerksam, dass die Buchhandlung deutschlandweit ausliefert. Und Sohn Christoph, amtierender deutscher Fachjournalist des Jahres, schreibt nun nach Feierabend nicht weiter über die Autobranche, sondern Buchrezensionen, beispielsweise über Thomas Pletzingers "The Great Nowitzki", für die Website. Außerdem nutzt auch er sein deutschlandweites Netzwerk.
So hat die Buchhandlung Seyerlein über ein LinkedIn-Posting von Sohn Christoph beispielsweise Bestellungen aus Hamburg, Koblenz oder Würzburg hereinbekommen. Beeindruckt zeigt sich Johannes Seyerlein von der Welle an Solidarität in der Gesellschaft, die auch ihn erreicht hat. "Uns haben zahlreiche Anrufe und Mails von Leuten erreicht, die zwar nichts kaufen wollten, aber gesagt haben, dass sie an uns denken, wenn sie mal wieder ein Buch brauchen. Das hat mich sehr berührt und das treibt uns alle an, diese Krise gemeinsam zu überstehen", so Seyerlein.
2 Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen