Der zweite Lockdown: Das setzt Menschen jetzt zu

16.11.2020, 18:50 Uhr
Bewegung an dr frischen Luft kann helfen, den Lockdown-Koller zu mindern. Am besten geht es bei Tageslicht. Wer jedoch berufstätig ist, muss Aktivitäten zwangsläufig auf den Abend verlegen. Das mögen nicht alle.

© Stefan Hippel, NN Bewegung an dr frischen Luft kann helfen, den Lockdown-Koller zu mindern. Am besten geht es bei Tageslicht. Wer jedoch berufstätig ist, muss Aktivitäten zwangsläufig auf den Abend verlegen. Das mögen nicht alle.

Menschen gehen mit einer Ausnahmesituation wie Lockdown sehr unterschiedlich um, erläutert Elisabeth Wentzlaff. "Menschen, die ganz gut vernetzt sind, kommen mit der aktuellen Situation besser zurecht. Sie finden neue Formate, wie sie mit anderen in Kontakt treten können. Sie gehen gemeinsam Wandern oder sprechen mit den Nachbarn im Vorgarten. Für Menschen, die eher schon nicht viele Kontakte hatten, ist es schwieriger geworden", sagt die Psychotherapeutin aus Nürnberg.

Beim ersten Lockdown stieg die Anzahl der Menschen, die Beratung und Entlastung im Krisendienst Mittelfranken suchten, auf bis zu 15 Prozent, erzählt Ralf Bohnert, Leiter der Einrichtung. Während die Alleinlebenden im Frühjahr über fehlende Kontakte und Einsamkeit klagten, wurde vielen Menschen die erzwungene Nähe innerhalb der Familie zum Verhängnis. "Es gab bei ihnen mehr Streit, mehr Stress und mehr Überforderung", erzählt der Sozialpädagoge. Diese Belastungen sind auch beim zweiten Lockdown für viele der Grund, sich beim Krisendienst zu melden, sagt Bohnert.

Sorge um berufliche Existenz wächst

Nach den ersten zwei Wochen möchte Bohnert noch keine Prognose wagen, ob der zweite Lockdown Menschen stärker beeinträchtigt. Was er jedoch merkt: "Wir haben jetzt mehr Klienten, die um ihre berufliche Existenz fürchten. Viele von ihnen sagen, dass sie die Zeit des ersten Lockdowns noch irgendwie schultern konnten, aber jetzt nicht wissen, wie sie es das zweite Mal schaffen können." Das betreffe in erster Linie Selbstständige, aber unter den Anrufern sind auch Angestellte. "Bei ihnen geht es oft um Kurzarbeit. Manche befürchten, dass sie ihr Haus nicht abbezahlen können."

Bohnert und seine Kollegen machen zudem die Erfahrung, dass die Anspannung beim zweiten Lockdown zugenommen hat: "Sie war auch im Frühjahr da, aber manche Menschen sind nervöser geworden, weil sie aufgrund der steigenden Zahlen der Coronafälle die Ansteckungsgefahr nun als realer wahrnehmen." Für manche ist die aktuelle Situation belastender, da sie im Sommer "die trügerische Sicherheit und Lockerheit" im Umgang mit dem Virus erlebten. Das Wetter an sich muss nicht zwangsläufig ein Problem werden, weiß Bohnert: "Wir haben in der kalten Jahreszeit nicht unbedingt mehr Anrufe." Dennoch empfinden einige den Lockdown im Herbst anders. "Jetzt sind die Tage kurz, nicht jeder mag in der Dunkelheit joggen oder spazieren gehen."

Auch der Zeitfaktor spielt eine Rolle, erläutert Bohnert: "So belastend ein Gefühl auch ist, wenn man weiß, dass der Zustand nicht lange anhält, ist es einfacher für Menschen." Der zweite Lockdown ist vorerst auf einen Monat begrenzt. Daher: "Entscheidend ist, was Ende November gesagt wird." Weihnachten sei aber noch kein großes Thema bei den Klienten im Krisendienst. "Menschen wissen, sie können jetzt ohnehin nichts planen. Diese Erkenntnis kann auch entlastend sein."

Lehren aus dem ersten Lockdown

Der Sozialpädagoge sieht zudem in den Erfahrungen aus dem ersten Lockdown eine wichtige Ressource: "Beim ersten Mal waren die Menschen oft schockiert, weil sie so eine Situation noch nie zuvor erlebt hatten. Sie konnten nicht auf bewährte Muster zurückgreifen, um die Krise zu bewältigen. Nun wissen viele, was bei ihnen funktioniert hat." Hier setzt auch der Krisendienst an: "Wir besprechen mit unseren Klienten, was ihnen hilft, die größtmögliche Normalität auch in der jetzigen Situation aufrecht zu erhalten."

Auch die psychosozialen Einrichtungen haben aus dem ersten Lockdown gelernt. War der Krisendienst damals eine Zeit lang nur telefonisch sowie online für Hilfesuchende erreichbar, haben die Menschen diesmal weiterhin die Möglichkeit, nach einer Anmeldung ein persönliches Gespräch zu führen, Hausbesuche finden ebenfalls statt.

"Telefonische Beratung alleine wäre jetzt problematisch. Nach dem ersten Lockdown gab es mehr Klinikaufenthalte. Wir müssen diesmal soweit wie möglich den persönlichen Kontakt aufrechterhalten", sagt auch Klaus Weckwert, Abteilungsleiter für ambulant betreutes Wohnen psychisch Kranker beim Caritasverband Nürnberg und Vorstandsmitglied des Nürnberger Bündnisses gegen Depression. Der Lockdown trifft Menschen mit psychischen Erkrankungen in besonderer Weise, betohnt Weckwerth: "Ihnen fehlt die Tagesstruktur und sie sind noch mehr isoliert als sonst." Manche seiner Klienten berichten aber Weckwerth auch davon, dass sie sich während des Lockdowns normaler fühlen: "Sie haben schon vorher mit Einschränkungen gelebt, nun ist es auch bei Menschen um sie herum der Fall."

Wer jetzt eine seelsorgerische Unterstützung braucht, kann nicht auf Vertrautes bauen. "Bei der Seelsorge geht es um intime Dinge. Beziehung braucht Nähe. In aktueller Situation ist es schwierig", erläutert Sabine Arnold, Seelsorgerin in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Persönliche Gespräche finden zwar immer noch statt, aber eben unter anderen Bedingungen. Arnold und ihre Kollegen suchen deswegen auch nach anderen Wegen für Menschen da zu sein. "Man kann Briefe schreiben, Andachtstüten in die Briefkästen werfen. Wichtig ist für Menschen das Gefühl, dass man sie nicht alleine lässt", so Arnold.

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