Erinnerungen an die NS-Zeit: Wie der VW nach Forchheim kam
08.04.2021, 16:00 Uhr![Blickfänge im April 1939: Die beiden „Kraft durch Freude“-Wagen, die auf ihrer Propagandafahrt durch die „Bayerische Ostmark“ auch Forchheim besuchten. Blickfänge im April 1939: Die beiden „Kraft durch Freude“-Wagen, die auf ihrer Propagandafahrt durch die „Bayerische Ostmark“ auch Forchheim besuchten.](https://images.nordbayern.de/image/contentid/policy:1.10976658:1617720888/image/G20210406-165334_16111A_img0.jpg?f=16%3A9&h=816&m=FIT&w=1680&$p$f$h$m$w=c07eba3)
Die Motorisierung Deutschlands war ein Hauptanliegen der Nationalsozialisten. Schon 14 Tage nach seiner Ernennung zum Reichskanzler besuchte Hitler am 11. Februar 1933 die Internationale Automobilausstellung (IAA) in Berlin und kündigte an, die Kfz-Produktion staatlich großzügig zu fördern. Es war das erste Mal, dass ein Reichskanzler die IAA besuchte. Zwei Monate später verfügte Hitler die Steuerfreiheit für neu zugelassene Personenkraftwagen und erließ im Juni 1933 das Gesetz über den Bau von Autobahnen. Auf ihnen sollten nur Kraftfahrzeuge fahren und zwar kreuzungsfrei und zweispurig.
Um sich den Ruf zu sichern, die ersten gewesen zu sein, die solche Straßen bauten, machten die Nazis die schon 1932 fertiggestellte „Nur-Kraftfahrzeugstraße“ zwischen Köln und Bonn (heutige A 555) ganz einfach zur „Landstraße“. Tatsächlich leitete Hitler mit seinem Autobahngesetz eine verkehrspolitische Wende ein. Vor ihm hatte der Staat auf den Eisenbahnausbau gesetzt und sich geweigert, „Luxusstraßen“ für reiche Automobilfahrer zu errichten.
Mit der Propaganda, auch dem kleinen Mann den Genuss dieses neuen Fahrgefühls zu ermöglichen, gewann das Regime an Popularität und Zuspruch für seine „klassenüberwindende Volksgemeinschaft“.
Mit dem – ein Jahr später wiederum auf der IAA – von Hitler vorgestellten Projekt, einen preisgünstigen „Volkswagen“ zu entwickeln, nahm die „Volksmotorisierung“ an Fahrt auf. Billigstes Auto war um diese Zeit der Opel P4, für den man 1936 noch 1650 Reichsmark hinlegen musste. Das von Hitler propagierte Auto sollte unter 1.000 Reichsmark kosten, nicht mehr als sechs Liter Kraftstoff auf 100 Kilometer verbrauchen und Platz für eine Familie bieten.
Der zu dieser Zeit bereits weithin bekannte Ingenieur Ferdinand Porsche (1875-1951) bekam den Auftrag, es zu konstruieren und die nationalsozialistische Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ (KdF) den Vertrieb übernehmen.
Die "Stadt des KdF-Wagens"
Die KdF war eine Untergliederung der „Deutschen Arbeitsfront“ (DAF), in der Arbeitnehmer und Arbeitgeber zwangsvereinigt waren. Sie errichtete über die eigens gegründete „Gesellschaft zur Vorbereitung des Deutschen Volkswagens“ mitten in der niedersächsischen Provinz am 26. Mai 1938 die Automobilfabrik für den „KdF-Wagen“ und plante parallel dazu für die Beschäftigten eine neue Stadt für 90.000 Menschen, zunächst benannt als „Stadt des KdF-Wagens“, aus der nach 1945 das heutige Wolfsburg wurde.
Das Werk finanzierten die Nationalsozialisten vorrangig aus dem Verkauf des Vermögens der 1933 verbotenen Gewerkschaft und einem Ansparsystem, das am 1. August 1938 vom Reichsleiter der NSDAP und der DAF Robert Ley (1890-1945) verkündet wurde. „Schon während seiner durch den Rundfunk übertragenen Rede“, berichtete die Forchheimer Tageszeitung zehn Tage später, „begannen in den ‚Kraft-durch-Freude’-Dienststellen die Fernsprecher in erhöhtem Maße zu läuten.“
![Unter der Überschrift „Der Laden, wo man eine Freude kaufen kann“ stellte die Forchheimer Tageszeitung am 4. Februar 1939 die KdF-Kartenverkaufsstelle vor. Unter der Überschrift „Der Laden, wo man eine Freude kaufen kann“ stellte die Forchheimer Tageszeitung am 4. Februar 1939 die KdF-Kartenverkaufsstelle vor.](https://images.nordbayern.de/image/contentid/policy:1.10976677:1617720957/image/G20210406-165414_161122_img0.jpg?f=16%3A9&h=320&m=FIT&w=600&$p$f$h$m$w=aa7addd)
In den Betrieben erhielten die „KdF-Warte“ Infoblätter und suchten „geeignete Volksgenossen, die sowohl automobilistische als auch organisatorische Kenntnisse haben, um die KdF-Sparer zu betreuen. „[...]Das ist um so notwendiger, als ja der KdF-Wagen nicht nur für Mitglieder der Deutschen Arbeitsfront, sondern für alle deutschen Volksgenossen bestimmt ist und die Nichtmitglieder ausschließlich auf die KdF-Dienststellen angewiesen sind.“
Die hiesige Tageszeitung teilte weiter mit, dass die „KdF“-Warte in den Betrieben „Antragsformulare für die Sparkarte“ bereit hielten. Sie würden „die charakterliche Zuverlässigkeit des Sparers“ überprüfen, um die „Einhaltung der Sparraten“ zu gewährleisten. Nicht-Mitglieder der DAF müssten ihre Anträge bei den „zuständigen Ortsdienststellen“ einreichen.
Die Sparrate wurde auf wöchentlich mindestens fünf Reichsmark festgesetzt und durch eine einzuklebende Marke quittiert. „Hat der Sparer 75 von Hundert des Kaufpreises eingezahlt – so die Lokalzeitung – „erhält er die Bestellnummer und damit auch die Mitteilung über den genauen Liefertermin des Wagens.“
Drei Jahre für die Zusage
Fünf Reichsmark klingen zunächst nicht viel. Wer aber weiß, dass 1938 der durchschnittliche Nettowochenverdienst 30 Reichsmark betrug, dem wird klar, dass die Sparrate nur aufbringen konnte, wer über diesem Durchschnitt lag. Und war das der Fall, dann musste der bei der Mindestzahlung von fünf Mark fast drei Jahre lang warten, bis er überhaupt eine Lieferung zugesagt bekam.
So erklärt sich, dass das Interesse an dem graublauen KdF-Auto zwar riesengroß war, sich bis Ende 1938 aber nur 169.741 Personen bei den KdF-Dienststellen einzeichneten.
![Mit der Sparkarte zum eigenen Auto: Die Titelseite der Werbe-Broschüre für den KdF-Wagen. Mit der Sparkarte zum eigenen Auto: Die Titelseite der Werbe-Broschüre für den KdF-Wagen.](https://images.nordbayern.de/image/contentid/policy:1.10976659:1617720893/image/G20210406-165358_16111E_img0.jpg?f=3%3A4&h=900&m=FIT&w=675&$p$f$h$m$w=cd4af42)
Offensichtlich lief auch in Forchheim die Beantragung von Sparkarten nur zögerlich an. Die „Ortsdienststelle der nationalsozialistischen Gemeinschaft ‚Kraft durch Freude’ forderte am 24. August 1938“ über die Forchheimer Tageszeitung alle KdF-Autosparer auf, ihre „ausgefüllten Anträge“ bei ihr in der Wiesentstraße 10 abzugeben. Das sei „unbedingt erforderlich, um einen genauen Uebersichtsplan sowie eine genaue Kontrolle über das Stadtgebiet Forchheim durchführen zu können.“ Wie viele das waren, darüber fehlen leider entsprechende Unterlagen.
Nach dem Novemberpogrom zog die „Ortsdienststelle“ Mitte Dezember in die neu errichtete „Kartenverkaufsstelle“ der KdF-Kreisorganisation in die Adolf-Hitler-Straße (Hauptstraße) um.
Interessenten konnten hier ein „kleines, recht anschauliches Modell des Volkswagens“ bestaunen und technische Details erfragen. Die realen Fahrzeuge bekamen die Forchheimer dann erstmals am 17. April 1939 zu sehen.
Nach dem Bericht der Bayerischen Ostmark (ehemals Forchheimer Tageszeitung) machten „eine Limousine und ein Kabriolett“ auf ihrer Propagandafahrt durch die Bayerische Ostmark Halt in Forchheim.
"Schnittig stahlblauer Wagen"
Zuerst wurden sie den „Werkscharen“ von Spinnerei und Weberei vorgestellt. Sowohl die „Gefolgschaftsmitglieder“ als auch die „Betriebsführer Hornschuch jr.“ und „Direktor Helmerich“ waren „voll des Lobes über die vorzügliche Beschaffenheit“.
Spektakulär verlief anschließend die Vorführung der „beiden schnittigen stahlblauen Wagen“ auf dem „mit den Fahnen des Reiches festlich geschmückten Paradeplatz“, wo „der Spielmannszug des Jungvolks aufmarschiert“ war und sich „Hunderte von Volksgenossen“ und „die führenden Männer von Partei, Stadt und Staat“ eingefunden hatten.
„Immer wieder“ – so die Zeitung – „hörte man Worte des Staunens und der Begeisterung über die gediegene deutsche Werkmannsarbeit.“ Sie seien vor allem von den angeblich „auch in Forchheim schon zahlreichen Sparern“ gekommen.
Ein leeres Versprechen
„Die ersten Wagen“, hatte die Forchheimer Tageszeitung im August 1938 ihren Lesern verkündet, „werden 1940/41 geliefert werden.“ Es war ein leeres Versprechen.
Als am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg begann, wurde die zivile Produktion aufgegeben. Ganze 630 Exemplare des KdF-Käfers waren bis dahin fertig gestellt worden. Jetzt rollte der „VW Typ 82“ vom Band. Auf Basis des zivilen Fahrzeugs hatte Porsche im Auftrag des Heereswaffenamts schon ab 1938 auch die militärische Variante entwickelt.
Bei Kriegsende gingen die 33.638 KdF-Sparer, die bis Oktober 1944 rund 268 Millionen Reichsmark eingezahlt hatten, zunächst leer aus. Das Volkswagenwerk hatte das Geld nie gesehen und weigerte sich nach 1945 zunächst, jeglichen Anspruch anzuerkennen.
Die Auseinandersetzungen zogen sich bis 1961 hin. Dann räumte VW den vormaligen KdF-Sparern – ohne Anerkennung eines Rechtsanspruchs – bei Neukauf einen Rabatt von bis zu 600 DM und bei Verzicht darauf eine einmalige Entschädigung von 100 DM ein. Ob das in Forchheim auch von ehemaligen KdF-Sparern wahrgenommen wurde?
MANFRED FRANZE
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