Impfdrängler
Immer mehr Bürger versuchen, sich ihre Impfungen zu erschummeln
12.5.2021, 12:55 UhrGesehen haben die Mitarbeiter in den Nürnberger Impfzentren eigentlich schon alles, sagt Ulrike Goeken-Haidl.
Auch Ultraschallbilder, auf denen der Name der werdenden Mutter abgeschnitten war - und der Mann trotzdem steif und fest behauptete, der Vater des Kindes und Partner der Schwangeren zu sein.
Denn in diesem Fall gilt man als enge Kontaktperson und zählt damit zur Prioritätengruppe 2, was einen schnellen Impftermin bedeutet.
Derzeit gebe es täglich etwa "300 bis 400" Registrierungen von Nürnbergern im bayerischen Online-Impfportal BayIMCO, bei denen die Angaben verändert werden, so die Sprecherin der Koordinierungsstelle Impfzentrum Stadt Nürnberg.
Enge Kontaktperson
Für rund 100 Fälle davon gebe es tatsächlich "valide Gründe", schätzt Goeken-Haidl. Dazu zählt auch der Nachweis, eine von bis zu zwei engen Kontaktpersonen einer pflegebedürftigen Person zu sein, die nicht in einer Einrichtung lebt.
Doch nicht nur mit falschen Angaben wird laut Goeken-Haidl versucht, vorzeitig an eine Dosis Impfstoff zu kommen.
In der Koordinierungsstelle der Nürnberger Impfzentren liefen pro Tag rund 50 Anfragen und auch Beschwerden zur Vergabe eines Impftermins ein.
Beschwerde beim Bürgermeister
Dazu kommen laut Goeken-Haidl noch einmal 30 bis 50 Mails bei anderen städtischen Adressen an, etwa im Vorzimmer des Oberbürgermeisters oder auch beim Sozialreferat.
Oft würde dabei in aggressiver Manier gefragt, warum man selber noch keinen Impftermin bekommen habe, die Schwester oder der Freund aber schon. "Das sind typische Neidszenarien", so Goeken-Haidl.
Zu beobachten sei das Phänomen seit etwa zwei Wochen - seit die Politik die Aussicht auf Lockerungen für Geimpfte und Genesene diskutiert und schließlich beschlossen hat und andererseits auch immer mehr Menschen geimpft werden. "Die Leute werden ungeduldig", so Goeken-Haidl.
In den Impfzentren führt das zu einem erhöhten Aufwand und auch gestörten Abläufen. Die Diskussionen mit den täglich rund 20 Menschen, die wegen fehlender Dokumente oder zuvor falsch gemachter Angaben abgewiesen werden müssen, kostet Zeit.
Dazu kommt aber noch etwas anderes. Denn immer mehr Erstgeimpfte versuchen, den Termin für die zweite Spritze vorzuziehen.
Logistische Gründe
Doch das ist nicht vorgesehen und mit Blick auf die Impfstoffbeschaffung und -vorhaltung in den Impfzentren aus logistischen Gründen gar nicht möglich, so Goeken-Haidl.
Sie weißt darauf hin, dass für eine Verschiebung wirklich nur dringende und unaufschiebbare Gründe gelten und dafür auch Nachweise nötig sind, also ein Attest, eine Bestätigung des Arbeitgebers oder die nachvollziehbare Angabe über einen Todesfall im engsten Familienkreis.
Urlaubsreisen oder Familientreffen sind hingegen kein dringender Grund, so Goeken-Haidl.
So wie in Nürnberg wird auch andernorts in Deutschland über die zunehmende Aggressivität von Impfwilligen und Versuchen berichtet, an eine vorzeitige Impfung zu kommen. Das Fernsehmagazin "Report Mainz" berichtete von mehreren Tausend Fällen.
Sanktionen fehlen
Patientenschützer fordern deshalb spürbare Konsequenzen. "Zwar werden Tausende erwischt, aber es fehlt an Sanktionen", sagte der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Impfdränglerei ist bisher nicht einmal eine Ordnungswidrigkeit und hat damit keinerlei Auswirkungen.
Auch Brysch berichtet von "psychischen und physischen Drohgebärden" Impfwilliger am Patientenschutztelefon. Laut "Report Mainz" werden aktuell in München 350 Vordrängler pro Woche erwischt, in Hamburg sogar 2000.
Brysch spricht sich für harte Maßnahmen und Haftstrafen von bis zu fünf Jahren für Impfbetrüger aus. "Wenn es wiederholt organisiert und kriminell ist, dann muss es bis dorthin gehen", sagte er dem Radiosender "Bayern 2".
Es könne nicht sein, "dass das Falschparken vor dem Impfzentrum als Ordnungswidrigkeit gilt, aber das bewusste Täuschen im Impfzentrum keine Konsequenz hat", so der Vorstand der Stiftung Patientenschutz.