Flut-Experte klärt auf
Katastrophen-Hochwasser: So hart kann es Franken treffen
31.7.2021, 05:53 UhrEine gewaltige Flutwelle schoss meterhoch durchs Ahrtal, riss Autos, Straßen und Brücken, ganze Häuser und Existenzen mit sich. Und auch viele Menschen. Bis heute sind 181 Tote bei der Flut-Katastrophe in Westdeutschland bestätigt.
Wie schutzlos die Menschen vor Ort den Naturgewalten ausgesetzt waren, lässt viele erschaudern und ängstlich fragen: Kann so etwas auch bei uns, auch in Franken passieren?
Enges Pegnitztal ähnlich gefährlich wie Ahrtal?
„In Sachen Hochwasser kann man nichts ausschließen. Viele waren immer der Ansicht, dass wir alles beherrschen können. Die Einsicht, dass da etwas passiert, auf das wir nicht wie gewohnt vorbereitet sind, sickert erst sehr langsam durch“, meint Ulrich Fitzthum, Leiter des Wasserwirtschaftsamtes Nürnberg.
Doch genau das sind diese immer häufigeren extremen Hochwasser: Etwas, das wir nicht mehr beherrschen können. Etwas, das letztlich kein noch so teurer Hochwasserschutz mehr komplett verhindern kann.
Die Angst ist deshalb allgegenwärtig. Jüngst meldete sich Josef Springer, Bürgermeister von Neuhaus an der Pegnitz, zu Worte und betonte, seine Stadt, aber auch die Nachbargemeinde Velden lägen in einem ähnlich engen Tal wie der Landkreis Ahrweiler. Sprich: Eine ähnliche Katastrophe sei auch dort denkbar.
"Was tun wir, wenn noch mehr Wasser kommt?"
„Ein enges Tal heißt nicht automatisch große Gefahr. Die Pegnitz als Karstgewässer hat einen ganz eigenen Charakter. Es gibt viele Dolinen und damit viel Wasser, das anderswo komplett im Tal fließen würde, dort aber unterirdisch abläuft. Außerdem hat die Pegnitz dort noch kein sehr großes Einzugsgebiet“, betont Fitzthum. Großflächige Überflutungen seien bei einem Jahrhundert- und erst recht bei einem Jahrtausend-Hochwasser natürlich trotzdem zu erwarten und man sei gut beraten, sich die Gefahren- und Risikokarten anzuschauen und Vorsorge zu treffen.
Ausschließen will und kann er eine Katastrophe wie in der Eifel ohnehin nicht für alle Ewigkeit. Schließlich kann immer noch viel mehr Niederschlag fallen. „Das müssen wir uns überall überlegen: Was tun wir, wenn noch mehr kommt?“, sagt Fitzthum.
Hochwasserschutz ist (fast) immer auf ein Extremereignis ausgerichtet, wie es statistisch alle 100 Jahre in einer Region eintritt. Dazu werden Überflutungsflächen entlang von Flüssen und Bächen freigehalten und begradigte Gewässer renaturiert. „Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Hochwasserwellen gedämpft und Schäden vermindert werden“, meint Fitzthum. Wo das nicht reicht, braucht es technischen Hochwasserschutz in Form von Deichen, Mauern, schnell aufbaubaren Schutzwänden oder Rückhaltebecken.
Aus den Hochwassergefahrenkarten und -risikokarten des Landesamtes für Umwelt lässt sich für ganz Bayern ablesen, welche Gebiete bei solchen Ereignissen überschwemmt werden, wie viele Betroffene es vor Ort gibt und welche besonders gefährdeten oder gefährlichen Einrichtungen oder Firmen in den Überschwemmungsgebieten liegen.
Warnung nach Hochwasser: "Die Aisch kann noch mehr"
Im Raum Neustadt/Aisch wurden am Wochenende um den 10. Juli ziemlich genau diese für ein Jahrhundert-Hochwasser ausgewiesenen Flächen überschwemmt. „Wir sind froh, dass es gelungen ist, die Überschwemmungsgebiete freizuhalten – was nicht einfach ist. Man muss sich vor Augen führen, dass es für ein Jahrhundert-Hochwasser relativ wenig Schäden gab – auch wenn es für jeden einzelnen Betroffenen natürlich furchtbar ist“, sagt Fitzthum.
Immer müsse man sich klar machen: „Die Aisch kann noch mehr“, so der Leiter des Wasserwirtschaftsamtes. Deshalb gibt es in Bayern für alle größeren oder besonders bedrohlichen Gewässer zusätzlich Gefahrenkarten für ein tausendjährliches Hochwasser.
Zum Vergleich: Von einem Jahrhundert-Hochwasser an der Rednitz wären in Fürth etwa 450 Menschen betroffen, bei einem Jahrtausend-Hochwasser dagegen 940. Ein extremes Hochwasser an der Fränkischen Rezat würde die Anwesen von 1030 Ansbachern überfluten, ein Jahrhundert-Hochwasser dagegen nur von 550 Menschen, unter einem Jahrtausend-Hochwasser an der Pegnitz hätten 1030 Nürnberger zu leiden, unter einer Jahrhundert-Überflutung 250 Anwohner.
„Gegen häufige Ereignisse sollten wir uns gut schützen können. Auch seltene Ereignisse wie ein hundertjährliches Hochwasser sollten keine riesigen Schäden anrichten. Aber gegen alles, was darüber hinaus geht, kann man sich nicht mehr aktiv schützen“, verdeutlicht Fitzthum. Noch dazu, da es auch Katastrophen geben kann, die sogar über ein Jahrtausend-Hochwasser hinausgehen. Für die es bislang noch keine Gefahrenkarten, absehbare Überschwemmungsgebiete oder Evakuierungspläne gibt.
Klima-Zuschlag von 15 Prozent
Nur gegen hundertjährliche Hochwasser macht technischer Hochwasserschutz also noch Sinn. Und weil bisher hundertjährliche Ereignisse künftig häufiger eintreten, setzt das Wasserwirtschaftsamt bei allen neuen Maßnahmen noch einen Klima-Zuschlag von 15 Prozent oben drauf. Dann ist aber endgültig Schluss. Ausnahmen und einen höheren Hochwasserschutz gibt es nur für Gebiete, in denen zum Beispiel die Vorwarnzeiten extrem gering sind.
Gegen Jahrtausend-Hochwasser kann man sich zwar nicht mehr aktiv schützen, es sollten aber im Rahmen einer immer wichtiger werdenden Risikovorsorge detaillierte Pläne vorliegen, was in einem solchen Fall zu tun ist. Wann müssen welche Gebiete evakuiert werden? Welche Brücken und Straßen sind dann noch befahrbar? Ab welchem Pegelstand wird das Trafohäuschen überschwemmt und es gibt keinen Strom mehr?
Wie warne ich die Menschen, wenn es keinen Strom mehr gibt, die Funkmasten ausfallen und auch die Warn-Apps nicht mehr funktionieren? Und überhaupt: Woher wissen die Menschen, was genau zu tun ist, wenn etwa die Sirene zweimal heult und wird dadurch nicht nur neues Chaos gestiftet? Wann werden Betriebe überflutet, die mit giftigen Stoffen arbeiten, wann Kläranlagen?
Keine Wohnhäuser mehr in Überschwemmungsgebiete
Eigentlich dürfen in den Überschwemmungsgebieten eines Jahrhundert-Hochwassers keine neuen Wohngebiete mehr gebaut werden. Doch es können auch Ausnahmen erteilt werden. „Da gilt es künftig, standhaft zu bleiben“, betont Fitzthum.
Ob aus einem Regen ein Hochwasser wird, hängt von vielen Faktoren ab. Ob flach oder hügelig, Wald, Acker, Siedlungsfläche, trockener oder gefrorener Boden - all das spielt eine Rolle. Bei den extremen Regen, die zu den aktuellen Hochwässern geführt haben, war der Boden aber überall so schnell wassergesättigt, dass nichts mehr versickern konnte und fast das ganze Wasser abgeflossen ist.
„Da ist es dann fast egal, ob der Boden versiegelt ist oder nicht. Aber auch nur im Hinblick auf das Hochwasser, für das Grundwasser ist es natürlich entscheidend, dass möglichst viel Flächen unversiegelt sind", bekräftigt Fitzthum.
1000 Tonnen Wasser pro Hektar nach Starkregen
Und nicht nur an Flüssen und Bächen wird es zunehmend gefährlich. Auch Sturzfluten und Starkregen werden häufiger. „Das muss man sich mal verdeutlichen. Bei 100 Litern Niederschlag pro Quadratmeter sind das 1000 Tonnen Wasser pro Hektar. Und die müssen innerhalb kürzester Zeit irgendwohin“, erklärt Fitzthum. Und es kann noch viel heftiger kommen: Bei der Hochwasser-Katastrophe in Baiersdorf im Jahr 2007 etwa prasselten innerhalb von vier Stunden fast 220 Liter pro Quadratmeter herunter.
In den letzten Jahrzehnten ist viel passiert beim Hochwasserschutz. Das Wasserwirtschaftsamt etwa hat viel investiert in die Digitalisierung der Pegel, so dass sie alle in Echtzeit abgerufen werden können. So kann viel besser und gezielter gewarnt werden als früher. Zusätzlich gibt das Wasserwirtschaftsamt Zuschüsse, wenn Gemeinden die Auswirkungen von Sturzfluten auf bestimmte Gebiete untersuchen möchten.
Talsperren wie am Happurger Stausee sind so gebaut, dass sie ein extremes Hochwasser auffangen können. Falls gleich danach ein zweites kommen sollte, kann das Wasser so ablaufen, dass zumindest kein zusätzlicher Schaden entsteht. Sprich: Es rauscht eben so durch, als ob es keine Talsperre geben würde, kein Wasser wird zurückgehalten.
Im Extremfall müssen die Bewohner wegziehen
Bei tatsächlichen Baumaßnahmen ist das zu bohrende Brett aber extrem dick. In sogenannten „Basisstudien“ wurde bayernweit für die größeren Gewässer ermittelt, wie hoch die Kosten für einen Hochwasserschutz im Vergleich zu den Schäden bei Überflutung wären. Im Örtchen Isarmünd, am Zusammenfluss von Isar und Donau, hat die Rechnung schon ergeben: Es lohnt sich nicht. Die Bewohner wurden umgesiedelt, die Häuser abgerissen.
Bei den Basisstudien wurden die betroffenen Flächen in fünf Prioritätsklassen eingeteilt. Momentan werden noch die Stufen 1 und 2 abgearbeitet. Ein Ende ist nicht absehbar. Viel Zeit geht drauf für jahrelange Genehmigungsverfahren und schwierigen Grunderwerb.
Und auch an der Einsicht von Anwohner und Politikern scheitert es oft. Schließlich erwischt ein Jahrhundert-Hochwasser nur wenige zu Lebzeiten. Andere müssten Flächen abgeben für Flutpolder oder Rückhaltebecken, von denen sie selbst gar nichts haben, sondern die Anwohner flussabwärts. Nicht umsonst heißt es seit jeher: Nach mir die Sintflut.
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