10. Mai 1969: Fluchtweg oder Wasserschacht?

NN

10.5.2019, 07:00 Uhr
10. Mai 1969: Fluchtweg oder Wasserschacht?

© Kammler

Eine Antwort auf diese Frage wollen das Hochbauamt, das Amt für Denkmalspflege und das Amt für Zivilschutz heute finden. Kenner der Nürnberger „Unterwelt“ steigen in die Tiefe und kundschaften den mehrere hundert Meter langen Tunnel aus.

Als erster war Polier David Messner auf den rätselhaften Gang gestoßen. Seine Arbeiter waren damit beschäftigt gewesen, einen Schacht in den Boden vor dem Haus Bauvereinstraße 46 zu treiben. Gegen 8 Uhr gestern früh hatten sie den Grund sechs Meter tief ausgehoben. Plötzlich gab die Erde nach und der Eingang zu einer Höhle wurde sichtbar. David Messner ließ das Loch freischaufeln und tastete sich im Dunkeln vorwärts.

Der Polier konnte in dem Tunnel aufrecht gehen: der Stollen ist 2,50 Meter hoch und gut einen Meter breit. Mit einer Stablampe in der Hand, lief David Messner weiter. Als er etwa 120 Meter zurückgelegt hatte, mußte er in Höhe des Stresemannplatzes umkehren: Wasser versperrte ihm den Weg. Nach ersten Untersuchungen steht fest, daß der Tunnel in Nord-Süd-Richtung verläuft.

Trotzdem kann es sich um einen mittelalterlichen Fluchtweg aus dem Burggelände handeln, weil er vielleicht unterwegs an einer noch nicht bekannten Stelle in das schon freigelegte Grabensystem der Altstadt einmündet. Nachforschungen, wo der Tunnel in Wöhrd an die Oberfläche austritt, blieben bisher erfolglos. „Von den alten Stollenanlagen wissen wir herzlich wenig“, meinte Archivrat Dr. Walter Lehnert. Lediglich in der Altstadt sind in den vergangenen Jahren einige unterirdische Gräben entdeckt worden, die im 17. Jahrhundert angelegt worden sind. Unterlagen existieren jedoch nicht, denn die Röhrmeister waren im Mittelalter zur Geheimhaltung über die Fluchtwege verpflichtet und dazu angehalten, keine schriftlichen Pläne anzufertigen.

Deshalb bleibt es meist dem Zufall überlassen, daß solche unterirdischen Wege entdeckt werden. Die kilometerlangen Stollen in der Bergstraße und am Paniersplatz sind ja seit langem bekannt und „erforscht“.

Bei dem Tunnel in der Bauvereinstraße kann es sich auch um einen Wasserleitungsschacht handeln, in dem einst das Oberwasser in Wöhrd gesammelt und in die Innenstadt geleitet wurde. Welchen Zweck er nun tatsächlich erfüllt hat, dürfte heute entschieden werden – wenn sein genauer Lauf festgestellt wird. Gleichgültig, wie auch das Ergebnis ausfallen mag: in jedem Fall dürfte des Rätsels Lösung nicht nur für die Historiker interessant sein.

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