16. November 1969: Sit-in mitten in der City

C. P.

16.11.2019, 07:00 Uhr
16. November 1969: Sit-in mitten in der City

© Fischer

Während sich das Gros der Protestler die Forderung nach Abzug der US-Truppen aus Vietnam an die Fahnen geheftet hatte, demonstrierten andere Gruppen für die arabische Untergrundorganisation Al Fatah und wieder andere gegen das Militärregime in Griechenland.

Die Polizei, die alle neuralgischen Straßenkreuzungen vor Eintreffen des Demonstrationszuges abgesperrt hatte, brauchte nicht in Aktion zu treten. Auch vor dem Amerikahaus, wo zahlreiche Scheiben von Steinen zertrümmert sowie Eier und Farbbeutel an die Hauswand geworfen wurden, kam es zu keinen Zusammenstößen zwischen den jungen Leuten und den Ordnungshütern.

„Sieg dem Vietcong!“

Vor dem Weißen Turm und an der St.-Lorenz-Kirche versammelten sich die Vietnam-Kriegsgegner, um sich später in der Breiten Gasse zu vereinen. Sie trugen Transparente, in denen US-Präsident Nixon als Mörder bezeichnet und auf denen den kommunistischen Vietcong der Sieg gewünscht wurde. Eine Gruppe palästinensischer Demonstranten, an ihren arabischen rot-weißen Kopftüchern zu erkennen, forderten: „Nieder mit dem Imperialismus und Zionismus!“

Übergroße Fotografien zeigten Greuelszenen aus dem Vietnam-Krieg. In Sprechchören ließen die Protestier Ho Tschi Minh und Che Guevara hochleben und forderten die Passanten in den Straßen auf, mitzumarschieren: „Spießbürger glotzen – das ist zum Kotzen!“ Am Sterntor richtete sich die Wut einiger Demonstranten gegen ein kleines US-Sternenbanner inmitten zahlreicher internationaler Flaggen. Das Fähnchen wurde heruntergerissen. Im Laufschritt bewegte sich nun der Zug in Richtung Bahnhof.

Inzwischen hatte eine Hundertschaft der Bereitschaftspolizei den Zugang zum Amerikahaus über die Gleißbühlstraße hermetisch abgeriegelt. Im Innern des Gebäudes hatten US-Militärpolizisten Stellung bezogen. Vor dem Haus kam es denn auch zum schwersten Zwischenfall des Tages. Dann zog die Menge weiter. Auf der Kreuzung Königstraße und Königstorgraben versammelte man sich zu einem kurzen Sit-in, um schon bald wieder zur Lorenzkirche weiterzumarschieren. An der Mohren-Apotheke zersplitterte eine Fensterscheibe unter einem Steinwurf. Dann hielt Rechtsanwalt Dieter Berthmann eine Ansprache an „meine lieben Genossen ...“ und klärte sie über die Hintergründe des Vietnam-Krieges auf.

Letzte Station des Tages war das Audimax in der Findelgasse, wo ein längeres Teach-in stattfinden sollte. Doch mangels Diskussionsgrundlage leerte sich der Saal sehr schnell, nachdem man den „verwerflichen westlichen Kapitalismus und Imperialismus“ im allgemeinen und die „indirekte wirtschaftliche Unterstützung des Vietnamkrieges durch die Bundesrepublik“ im besonderen kritisiert hatte.

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