23. Juni 1969: Die pompöse Pop-Parade
23.6.2019, 07:00 UhrEtwas musikalische Sauce drüber, und das Musical ist fertig, wie das beim „Don Quichotte“ des großen Cervantes etwa der Fall war. Nichts für Feinschmecker, aber es füllt den Magen. Was nun, wenn sich nicht ein cleverer Librettist und ein versierter Musical-Komponist eines solchen Stoffes annehmen, sondern eine wohlmeinende Dame, die ihre englischen Romanciers des achtzehnten Jahrhunderts studiert hat und glaubt, etwas für einen Henry Fielding tun zu müssen? Aber nicht nur für Fielding, sondern mit Fielding vor allem für das Theater?
Das Ergebnis wird dürftig sein und kaum ein Gewinn für die Sprechbühne, wenn ein solch kolossalischer Roman wie Fieldings „History of Tom Jones, a Foundling“ nicht gerade in die Hände eines dramatischen Talents von hohen Graden fällt, sondern in die einer Joan Macalpine, deren szenischer Extrakt ein ziemlich zäher Brei ist, ohne scharfe Würze fast ungenießbar und trocken wie ein Stockfisch.
Dürftiges Drama
Alf Leegaard, Nürnbergs Chefdramaturg und Übersetzer dieses dürftigen Dramas, hat am Ende auf Günther Büchs Einfallsreichtum gesetzt, aus der nicht gerade blutleeren aber doch recht kümmerlichen Geschichte ein Feuerwerk des Bühnenwitzes zu machen. Aber auch Büch, ein Regisseur wie ein Faß voll szenischer Gags, konnte sich an der zähen Sache nur die Zähne ausbeißen, sein ganzer szenischer Pop-Pomp mußte in Nürnberg den Beigeschmack des Provinziellen behalten.
Büch hat genau gewußt, daß er mit seinem ganzen szenischen Talent hier bestenfalls einen Pyrrhus-Sieg erringen konnte, daß er hier vielleicht ein paar Feuerwerkskörper in den düsteren Nürnberger Theaterhimmel hochbringen würde, daß mit dieser Geschichte am Ende aber kein Vogel abzuschießen war. Büch, einer der begabtesten unter den jungen deutschen Bühnen-Revoluzzern, hat sich dann auch für den sozialkritischen Elan des großen Engländers erwärmen können, der aber, wie das meiste von dem, das Fieldings Roman seinen literarischen Rang gibt, in Joan Macalpines Bearbeitung zu kurz kommt.
Praktikables Bühnenbild von Günther Kupfer
Was nun leicht die Kargheit unfreiwilliger Komik haben könnte, versucht Büch durch ironische Haltung dem Opus gegenüber in bewußte Komik umzumünzen. Sein Pop-Arrangement – mehr beabsichtigt als vollendet verwirklicht – verwendet, was sich irgend brauchen läßt: leicht verjazzte barocke Triumphklänge und heutige Pop-Musik, Revue-Elemente und barockes Maschinentheater, lebende Standfotos aus Oswalt Kolles Sex-Journal, Karikierendes in der Kostümierung (der Hahnrei trägt am Hut das Hirschgeweih) und natürlich Anklänge an die heutige Hippie-Welt, für die ein Tom Jones unerreichbares, weil viel zu vitales Idol sein könnte.
Pop vor allem im Bühnenbild des begabten Günter Kupfer: überaus praktikables, weil leicht variables System großer Pappwürfel, übereinandergetürmt wie beim Kinderbaukasten, bedeckt mit einer Mixtur von alten Stichen und Gemälden, von Comicstrips und naiver Malerei. Die Chancen scheinen gut für eine Inszenierung voll Elan und Witz. Aber das Ergebnis stimmt nicht heiter, weckt eher den Ingrimm über dieses unvergorene Gebräu mit allerhand guten Elementen, die gut zusammenpassen könnten, so aber sauer aufstoßen.
Erotische Libertinage
Der bei allem szenischen, artistischen und zum Teil auch mimischen Aufwand und trotz der erotischen Libertinage in ein paar Szenen ziemlich armselige Charakter dieser Aufführung wird symptomatisch deutlich in den Fechtszenen: sehr turbulent das Ganze, aber ohne die Errol-Flynn-Perfektion, ohne die man das auch nicht ironisch verfremden kann. Büchs großes Talent hat hier nicht viel genutzt vor einer dramatischen Vorlage, die nichts mehr von Fielding hat und zu wenig eigene Substanz, daraus etwas gleichwertig Neues zu machen.
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