6. Juni 1969: Schicksal des Torso wird bald geklärt
6.6.2019, 07:00 UhrSie kletterten auf den Torso, besahen sich das Dach, das nur zu einem Fünftel wetterfest abgedeckt ist, ließen sich im dritten und zweiten Stockwerk das Wasser durch die rissigen Decken auf den Kopf tropfen und besichtigten zu guter Letzt die Räume der Nürnberger Symphoniker und des Kneippvereins sowie die Halle des Katastrophenschutzes und kamen zu der Überzeugung, daß die Kongreßhalle durchaus noch für mehr Firmen und Vereine nutzbar gemacht werden kann.
Mit dem Rundgang entsprach die Verwaltung einem Antrag der CSU-Fraktion am 28. April im Bauausschuß: „Man muß endlich einmal zentral alle Möglichkeiten untersuchen, welchen Zwecken der Torso zugeführt werden kann. Das ewige Schwanken zwischen: ,Reißen wir ab oder nicht?‛ muß ein Ende haben!“
Mögen gestern noch so viele Nürnberger über den herniederprasselnden Regen geschimpft haben, Baureferent Schmeißner stimmte er zumindest zwei Stunden lang froh; er konnte den Stadträten an unzähligen Beispielen beweisen, in welch miserablem Zustand sich die Kongreßhalle an den meisten Ecken und Enden befindet. Sonnenschein hätte viele Schäden in ein milderes Licht getaucht. „Das Bild hier spricht für sich. Die Kongreßhalle hat nie ein richtiges Dach bekommen“, stellte der Baureferent fest. Seine Begleiter sahen es mit eigenen Augen: riesige Wasserpfützen auf dem Dach und in den zwei obersten Etagen, in denen sich Firmen eingemietet haben – unzählige Tauben kommen als weitere Untermieter hinzu – , alte Kulissen und Holzstapel.
Die Stadträte machten sich ihre Gedanken über den trostlosen Anblick, der sich ihnen bot. Ihre Meinungen reichten von: „Der Vorschlag des BdA aus dem Jahre 1954, das Ganze in die Luft zu sprengen, war gar nicht so schlecht“, Stadtrat Werner Lippert (FDP), über: „Ein Wunder, daß die gelagerten Firmenerzeugnisse nicht davongeschwommen sind“, Stadtrat Langenberger (SPD), bis: „Was soll man mit diesem Mist noch anfangen?“, Stadtrat Ludwig Imhof (CSU). So nebenbei vernahmen sie auch noch, wenn sie es nicht schon wußten, daß für die Kongreßhalle, so wie sie nach dem Kriege der Stadt „geschenkt“ wurde, 80 Millionen Reichsmark ausgegeben worden sind; ein vier- bis fünfmal so hoher Betrag wäre für den Endausbau erforderlich gewesen. Baureferent Schmeißner führte weiter Regie.
Über den weit ausgedehnten Innenhof dirigierte er seine Begleiter durch knöcheltiefes Wasser – Schmeißner: „Der Boden ist zwei Meter tief betoniert und nicht kanalisiert“ – in die „gute Stube“ der Nürnberger Symphoniker im südlichen Seitentrakt der Kongreßhalle, wo er feststellte: „Wir sind froh, daß so etwas Schönes daraus geworden ist“. Die Stadträte, die bisher die Räume nur vom Hörensagen kannten, staunten erst einmal über den holzgetäfelten und mit einem spiegelnden Parkettboden ausgestatteten Konzertsaal, die schmucken Büroräume und vieles mehr.
Als die Besichtigungskommission auch noch die Bleibe des Kanuvereins mit ihren übersichtlich aufgehängten Booten und dem behaglichen Clubraum sowie die Halle des Katastrophenschutzes – Zwischenbemerkung: „Mensch, die haben ja mehr Fahrzeuge als die Feuerwehr!“ – gesehen hatten, waren sie sich zumindest in einem Punkt klar: „Da sieht man, was durch Eigeninitiative erreicht werden kann. Wir müßten noch viel mehr Vereine und Verbände haben, die so handeln!“ Zuerst aber müssen die Stadträte handeln, wenn es in der Sitzung am 18. Juni um die Frage geht: „Geben wir 852.000 Mark für ein Dach und weitere 250.700 Mark für einen zweiten Lastenaufzug aus oder nicht?“
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