Wohltuendes Beispiel für Wiederaufbau

Als der Albrecht-Dürer-Platz noch Milchmarkt hieß: Ein Eckhaus aus Nürnbergs Glanzzeit

Sebastian Gulden

7.3.2023, 11:05 Uhr
So sah der Albrecht-Dürer-Platz - seinerzeit Milchmarkt - anno 1716 aus, als ihn Johann Adam Delsenbach in einem Kupferstich festhielt. Das heutige Haus Nr. 3 ist das zweite Gebäude von links neben dem Sebalder Pfarrhof.

© Johann Adam Delsenbach So sah der Albrecht-Dürer-Platz - seinerzeit Milchmarkt - anno 1716 aus, als ihn Johann Adam Delsenbach in einem Kupferstich festhielt. Das heutige Haus Nr. 3 ist das zweite Gebäude von links neben dem Sebalder Pfarrhof.

Nürnbergs Altstadt hat im Zweiten Weltkrieg unendlich viel verloren. Die Bauherrn, Stadtplaner und Architekten der Nachkriegszeit versuchten sich mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg am Wiederaufbau. Ein Beispiel, das wohl die meisten Menschen als gelungen bezeichnen würden, stellen wir heute vor: das Haus Albrecht-Dürer-Platz 3.

Der Juwelierladen von 1902

"Antiquariat" ist – gleichwohl in Spiegelschrift – das erste Wort der "Unendlichen Geschichte" und gleichzeitig der erste Schauplatz dieser weltberühmten Reise in die Welt der Fantasie. Autor Michael Ende wusste um den Zauber jener Schatzkammern der Bibliophilie, in denen alte Bücher, Karten, Grafiken und derlei mehr darauf warten, dass ein Liebhaber sie entdeckt.

Anfang der 1990er Jahre eröffneten Sonja und Herbert Heubeck ihr Antiquariat im Erdgeschoss des Hauses Albrecht-Dürer-Platz 3. Wer an den großen Arkaden vorbeiflanierte, den lockten über Jahrzehnte kostbare Folianten, seltene Kinderbücher, antike Grafiken und handgemachte Papierwaren.

Das Antiquariat Heubeck prägte lange Jahre die Adresse. Ende 2022 verkündete es, das Ladengeschäft aufzugeben.

Das Antiquariat Heubeck prägte lange Jahre die Adresse. Ende 2022 verkündete es, das Ladengeschäft aufzugeben. © Ngoc Nguyen

Die Tradition des Handels mit exquisiten Waren in dem Anwesen reicht zurück bis an den Beginn des vergangenen Jahrhunderts: 1902 eröffnete Josef Wenzel Nowak, vermutlich ein Zuwanderer aus Böhmen, im Erdgeschoss seinen Juwelierladen, dessen Schaufensterfront er 1907 durch den Architekten Mathias Fahrnholz im modischen Jugendstil umbauen ließ. In den 1930er Jahren fand man an derselben Adresse die Antiquitätenhandlung Georg Schreyer. Ihm folgte nach dem Zweiten Weltkrieg Johann Martin Nowka, dessen Geschäfte offenbar so gut liefen, dass er 1961 das Schloss Deining bei Neumarkt erwerben konnte.

Das Quartier der reichen Kaufleute

Seinerzeit hatte das stattliche Anwesen bereits Jahrhunderte auf dem Buckel: Das Milchmarktviertel, in dessen Zentrum es steht, gehörte in reichsstädtischer Zeit zu den Adressen der Mächtigen und Betuchten. Neben dem einflussreichen Kaufmann, Stifter und Bürgermeister Hans VI. Tucher (Nr. 9) feilte hier Ende des 15. Jahrhunderts Anton Koberger (Nr. 4) an seiner Karriere als Buchdrucker und Verleger.

Der Albrecht-Dürer-Platz 3 im Jahr 1953. Der Entwurf für den Wiederaufbau von Friedrich Seegy hielt sich eng an das verlorene Original. Die Hausmadonna war 1953 noch nicht an ihrem Platz.

Der Albrecht-Dürer-Platz 3 im Jahr 1953. Der Entwurf für den Wiederaufbau von Friedrich Seegy hielt sich eng an das verlorene Original. Die Hausmadonna war 1953 noch nicht an ihrem Platz. © unbekannt, Sammlung Stefan Schwach

2016 zeigte sich das Haus weitgehend im originalen Zustand. Allein die ungeteilten "Bruchbudenfenster" taten und tun dem qualitätvollen Gebäude keinen Gefallen.

2016 zeigte sich das Haus weitgehend im originalen Zustand. Allein die ungeteilten "Bruchbudenfenster" taten und tun dem qualitätvollen Gebäude keinen Gefallen. © Sebastian Gulden

Auch die Hausnummer 3 konnte auf eine lange Geschichte zurückblicken und stammte im Kern mindestens aus dem späten Mittelalter. Im frühen 19. Jahrhundert gehörte das Haus Johann Erhard Krämer, dem königlich-bayerischen Rentamtmann und Verwalter des Freiherrlich-von-Hutten’schen Damenstifts . Er war es wohl auch, der das Innere im Stil des Biedermeier umgestalten ließ.

Volltreffer am 2. Januar 1945

Wer in Nürnbergs Geschichte weniger bewandert ist, könnte glatt denken, bei dem bestehenden Haus handle es sich um jenen jahrhundertealten, wenngleich geglätteten und modernisierten Bau. Weit gefehlt: Beim britischen Luftangriff am 2. Januar 1945 erhielt das Haus einen Volltreffer, der nur Reste der Südfassade und der Brandwand gegen das westliche Nachbargrundstück stehen ließ.

Der Albrecht-Dürer-Platz 1935 vor der Kriegszerstörung.

Der Albrecht-Dürer-Platz 1935 vor der Kriegszerstörung. © ehem. Staatl. Bildstelle und Denkmalsarchiv, Archiv VNP

Mit dem Gebäude gingen all seine historischen Kostbarkeiten unter, die der Kunsthistoriker Fritz Traugott Schulz noch 1907 dokumentiert und fotografiert hatte: das Treppenhaus und das Prunkzimmer mit Ausstattung im Geiste des Biedermeier und das hölzerne Rokoko-Chörlein, das man im 18. Jahrhundert an der Ostfassade angebracht hatte. Dafür ziert seit 1953 eine Hausmadonna von unbekannter Hand die Gebäudeecke an der Einmündung der Füll.

Zahl und Anordnung der Fenster übernommen

Was wir heute sehen, ist das Verdienst des Wiederaufbaus, der sich hier eng an das verlorene Original hielt. Architekt Friedrich Seegy übernahm Kubatur, Dachform, Zahl und Anordnung der Fenster nebst weiteren prägenden Details und übersetzte alles in die versachlichte Formensprache der frühen Nachkriegszeit.

Nicht zu vergessen: 1945 lagen die Straßen rund um den Dürer-Platz in Schutt und Asche. Das Albrecht-Dürer-Denkmal blieb erhalten und ragte aus den Ruinen.

Nicht zu vergessen: 1945 lagen die Straßen rund um den Dürer-Platz in Schutt und Asche. Das Albrecht-Dürer-Denkmal blieb erhalten und ragte aus den Ruinen. © Stadtarchiv Nürnberg A39 Fi A 21

Das schmale, im Krieg ebenfalls vernichtete Nachbarhaus Füll 2 wurde in den Neubau einbezogen. Unter den Trümmern entdeckte man 1952 im Kellerbereich skulptierte Mauerteile der Romanik, bei denen es sich vielleicht um wiederverwendete Reste (sogenannte "Spolien") eines anderen Gebäudes handelte, möglicherweise gar um Bauteile von St. Sebald, denn in der Füll 2 wohnte dereinst der Mesner der Kirche. Da Seegy auch hier die alte Baulinie und die Dachausrichtung wiederaufnahm, blieb die historische Situation nachvollziehbar.

Hochwertiges Beispiel für den "Nürnberger Weg"

Der Nachkriegsbau Albrecht-Dürer-Platz 3/Füll 2 ist ein typisches, aber auch hochwertiges Beispiel für den "Nürnberger Weg" des Wiederaufbaus, der vorzugsweise auf das Bewahren der historischen Strukturen setzte anstatt auf den radikalen Bruch, wie man ihn etwa in Hannover oder Kassel vollzog. Das offenbar verbrannte Chörlein fand keinen Nachfolger. Dafür erhielt die Südostecke des Hauses eine Hausfigur, eine Madonna auf der Mondsichel, die ein uns unbekannter Bildhauer in vergröberten historisierenden Formen schuf.

Zumindest in Wolfgang Petersens Filmfassung der "Unendlichen Geschichte" verschwindet das Antiquariat mitsamt Herrn Koreander von einem Tag auf den anderen. Protagonist Bastian findet nur noch den ausgeräumten Laden vor. Ähnlich geht es nun den früheren Kunden des Antiquariats Heubeck. Immerhin: Das Geschäft wird es auch weiterhin geben, wenngleich nur noch als Internethandlung (www.antiquariat-heubeck.de). Und auch das Haus wird bleiben: als Denkmal eines Wiederaufbaus mit Fingerspitzengefühl.

Diese Serie lädt zum Mitmachen ein. Haben Sie auch noch alte Fotos von Ansichten aus Nürnberg und der Region? Dann schicken Sie sie uns bitte zu. Wir machen ein aktuelles Foto und erzählen die Geschichte dazu. Per Post: Nürnberger Nachrichten/Nürnberger Zeitung, Lokalredaktion, Marienstraße 9, 90402 Nürnberg; per E-Mail: redaktion-nuernberg@vnp.de

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