"Der Obama von Nürnberg": Eine Bilanz der Amtszeit von OB Maly

Sabine Stoll

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27.4.2020, 05:50 Uhr
Die heiligen Hallen des Nürnberger Rathauses wird Maly Ende April verlassen. 18 Jahre lang war er dort als Bürgermeister tätig.

© Daniel Karmann, NN Die heiligen Hallen des Nürnberger Rathauses wird Maly Ende April verlassen. 18 Jahre lang war er dort als Bürgermeister tätig.

Es ist ein merkwürdiger Abgang. Ganz ohne Lobeshymnen und Rührseligkeit. Die Gäste sind ausgeladen, die Verabschiedung ist wegen Corona abgesagt. Ulrich Maly wird am 30. April einfach die Tür hinter sich zuziehen und aus dem Nürnberger Rathaus spazieren.

Dass der offizielle Akt ausfällt, scheint ihn nicht sonderlich zu bekümmern. "Bei Verabschiedungen und am offenen Grab wird mehr gelogen als sonst. Ich kann auf Lobhudeleien verzichten", die machten nur eitel, sagt Nürnbergs scheidender Oberbürgermeister kurz vor seinem letzten Arbeitstag.

Ende April ist also Schluss, nach 18 Jahren. Der "Giftschrank" in Malys Büro ist ausgeräumt. Akten, Notizen und Briefe liegen in einem Datenschutzcontainer, darunter Schmähschriften von enttäuschten städtischen Referenten, die darin ihre Wut herausgelassen haben. "Und auch sehr, sehr schöne Werke aus der Frühzeit von Söder, als er mich noch bekämpft hat", fährt Maly hörbar amüsiert am Telefon fort. "Das habe ich mit einem Schmunzeln gelesen und dann weggeworfen." Weggeworfen? Er meint das ernst.

Maly macht seinen Schreibtisch frei, den er vor drei Legislaturperioden von dem Christsozialen Ludwig Scholz übernommen hat. Und den er jetzt ausgerechnet wieder an einen Konservativen übergeben muss: an Marcus König (CSU). Maly hätte seinen Platz selbstredend viel lieber für SPD-Chef Thorsten Brehm geräumt. Doch die OB-Wahl ist alles andere als wunschgemäß gelaufen für die Nürnberger Sozialdemokraten.

"Es ist oft ein Manko bei Männern, gerade bei starken Persönlichkeiten, dass sie keine neuen Talente aufbauen", sagt Mittelfrankens DGB-Chef Stephan Doll dazu, der Maly sehr lange kennt. Die Wahl-Niederlage Brehms dürfte dem Nimbus, der den scheidenden OB umgibt, auf Dauer aber wohl nichts anhaben. Und auch jener, der Maly einst bekämpft hat, der heutige Ministerpräsident Markus Söder (CSU), bezeichnete Maly vor nicht allzu langer Zeit als "Lichtgestalt der SPD in Bayern". Aber selbst Söder verspürte "Wehmut", als er von Malys Abschied erfahren hat.

Turbelente Zeiten zum Amtsantritt

Maly hat Wahlergebnisse eingefahren, bei denen die politische Konkurrenz leichenblass wurde. 2018 wurde er zudem zu Deutschlands beliebtestem Oberbürgermeister gekürt – und entschied sich auf dem Zenit, nicht mehr bei der Kommunalwahl 2020 anzutreten. Er wollte nicht irgendwann zur tragischen Figur werden, die den Absprung von der politischen Bühne nicht rechtzeitig geschafft hat. Der Vater zweier Kinder, der mit seiner Frau Petra in der Nürnberger Falkenheim-Siedlung lebt, der in all den Jahren im Amt zwar ergraut ist, aber immer noch so gern joggt wie am Anfang, wollte endlich wieder selbstbestimmt über seine Zeit verfügen können.

Als Maly 2002 ans Ruder kam, im Alter von 41 Jahren, wurde der Euro eingeführt. In Ostdeutschland wurden Dörfer durch die Flutkatastrophe verwüstet. 253 Arbeitsplätze gingen verloren, als das Siemens Zählerwerk seine Produktion einstellte. Mit solchen Hiobsbotschaften hatte es Maly mehrfach zu tun. Das Aus für AEG, Grundig und Quelle waren schwere Schläge für die Stadt.

"Das sind die Momente, wo man sagt, das ist halt doch nicht der schönste Job der Welt", sagt er über das OB-Amt. Das Schöne sei aber, dass die Stadt sich nicht nur erholt habe, sondern ökonomisch ein bisschen stärker geworden sei. In Malys ersten Jahren als OB erreichte die Arbeitslosenquote in der Stadt rund 14 Prozent, heute liegt sie bei etwas über fünf Prozent, was sicher nicht nur sein Verdienst ist, aber eben auch. Stephan Doll sagt: "Maly habe sich immer für die Beschäftigten eingesetzt. Er war immer ansprechbar."

Doll hält es Maly auch zugute, dass sich dieser für die Metropolregion ins Zeug gelegt hat. Das sieht auch der ehemalige IHK-Präsident Dirk von Vopelius so: "Das Wirken von Ulrich Maly geht weit über den Tag hinaus und lässt sich nicht in die üblichen Politikschubladen einsortieren. Er hat in Stadt und Metropolregion eine Kultur des partnerschaftlichen Miteinanders aufgebaut und damit das Fundament einer weithin bestaunten Wirtschaftsentwicklung der gesamten Region gelegt."

Augustinerhof und neue Uni werden an Maly erinnern

Während Malys Amtszeit haben sich die Investitionen der Stadt vervierfacht – die Kommune soll nicht mit maroder Infrastruktur an die nächste Generation übergeben werden, so das Credo. An irgendwelchen Bauten will sich der 59-Jährige aber nicht messen lassen.

Trotzdem muss an dieser Stelle zumindest der Augustinerhof zur Sprache kommen. Jahrelang lag das Filetstück mitten in der Altstadt brach, weil die Pläne für das Gelände die Bürgerschaft entzweit hatten. Heute verheilt diese tiefe und schmerzende Wunde im Herzen der Altstadt: Eine Außenstelle des Deutschen Museums wird bald eröffnet, Handel, Wohnungen und Gastronomie folgen. "Ein komplett havarierter politischer Prozess wurde zu einem guten Ende geführt. Das ist immer mein Anspruch gewesen, dass man über Parteigrenzen hinweg politische Prozesse so organisiert, dass am Ende ein ordentlicher Output herauskommt", sagt Maly dazu.

Mit seiner Amtszeit wird man auch die neue Technische Universität verbinden, die an der Brunecker Straße entstehen soll. Wobei sich Maly mit diesem Coup nicht schmücken will, sondern auf den Ex-Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) verweist, der die neue Hochschule mal eben aus dem Hut gezaubert hat. In Malys Amtszeit fällt auch der Beschluss, einen neuen Konzertsaal zu bauen. Natürlich fallen einem auch Dinge ein, aus denen nichts geworden ist: Im Volksbad plätschert immer noch kein Wasser. Und der kreuzungsfreie Ausbau des Frankenschnellwegs scheint auf den St. Nimmerleinstag verschoben.

Der "Obama von Nürnberg"

Wenn man Menschen in der Stadt nach Malys Bilanz fragt, hört man vor allem Positives. Kaum einer geht so weit wie Titus Schüller (Die Linke), der Maly als den "Obama von Nürnberg" bezeichnet, aber hinterherschiebt, "wenn man schaut, was übrigbleibt, ist das genauso ernüchternd wie bei Obama. In der Verkehrspolitik und der Sozialpolitik hat Maly nichts vorangetrieben, bei dem er ein Alleinstellungsmerkmal hätte."

Dass der Sozialdemokrat in der Umwelt- und Verkehrspolitik zu zaghaft war, diese Kritik muss sich Maly auch von wohlgesinnten Menschen gefallen lassen. Sie hätte ihm mehr Mut gewünscht bei einer gerechteren Aufteilung des öffentlichen (Verkehrs)Raums, sagt Elisabeth Most, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Bürger- und Vorstadtvereine.

Und wo steckt denn nun originär Maly drin? Das Credo von der solidarischen Stadtgesellschaft wird mit ihm verbunden bleiben. Das fällt auch Most als erstes ein, wenn man sie danach fragt. Auch die mobilen Bürgerversammlungen sind eine Erfindung des Sozialdemokraten.

Sein Redetalent sorgte für Unterhaltung

Und was fällt Maly selbst ein, wenn er an seine Bilanz denkt? Er denkt dann zum Beispiel an die Weiterentwicklung der Erinnerungskultur in der Stadt, auch am ehemaligen Reichsparteitagsgelände – "gerade an der Schwelle, wo die Zeitzeugen fast alle gestorben sind". Maly führt Dinge an, die das "Seelenleben" der Stadt beschreiben: Dass die Nürnberger in Umfragen im Großen und Ganzen zufrieden sind, wertet er als Beleg, dass es mit der Lebensqualität in der 540000-Einwohner-Stadt nicht zum Schlechtesten steht.

Eines erwähnen alle, mit denen man über den Ex-Präsidenten des Deutschen Städtetags spricht: sein Redetalent. Maly hat die Gabe, selbst öde Ratssitzungen mit einem gewissen Unterhaltungswert zu versehen und aus dem Stegreif brillant zu formulieren – meistens mit Humor. Wobei er mit den Jahren jenseits der offiziellen Anlässe schweigsamer geworden ist, wie er selbst sagt, was auch Journalisten beklagten. Warum? "Weil man irgendwann zu viel weiß, auch Dinge, die man gar nicht unbedingt wissen will."

Wenn er an seinen Abschied denkt, schlagen dann doch zwei Herzen in seiner Brust. Bei langjährigen Mitarbeitern "werde ich bittere Tränen weinen". Und wenn er auch auf die offiziellen Lobeshymnen verzichten kann, so hätte er sich doch von dem ein oder anderen Gast seiner Abschiedsfeier gerne persönlich verabschiedet. "In Nicht-Coronazeiten hätte ich wahrscheinlich die Hälfte davon umarmt."

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