Jet stürzte im Reichswald ab: Tragisches Unglück vor 20 Jahren

8.2.2021, 05:57 Uhr
Am 8. Februar 2001 stürzte ein Flugzeug in einem Waldstück bei Kraftshof ab.

© Eduard Weigert Am 8. Februar 2001 stürzte ein Flugzeug in einem Waldstück bei Kraftshof ab.

Ein eigenartiges Pfeifgeräusch, ein taumelndes Flugzeug, ein Knall, dann eine riesige schwarze Rauchwolke, Brand- und Kerosingeruch: Zahlreiche Zeugen schilderten der Lokalredaktion, was sie am Nachmittag des 8. Februar 2001 gehört, beobachtet und gerochen hatten.

Um 15.42 Uhr stürzte ein Learjet in ein Waldgebiet zwischen Flughafengelände und dem Stadtteil Kraftshof. Kurz zuvor war die neunsitzige Maschine vom Typ LR 35, Baujahr 1981, eines italienischen Charterunternehmens am Flughafen Nürnberg mit dem Ziel Rom gestartet. Um 15.36 Uhr meldete sich der Pilot im Tower und berichtete von einem Problem mit dem linken Triebwerk. Er kündigte seine Rückkehr zum Flughafen an.

Feuerwehr in Alarmbereitschaft

Am Airport war man alarmiert: Die Werksfeuerwehr mit 15 Mann Besatzung und Einsatzfahrzeugen hielt sich in der Nähe der Landebahn bereit. Die Einsatzkräfte sahen aus der Ferne, wie das Flugzeug über dem Stadtteil Buch einschwebte, sich plötzlich über die linke Tragfläche drehte und dann zwischen den Bäumen verschwand.


Der Flughafenfeuerwehr, die bereits nach wenigen Minuten am Unglücksort eintraf, bot sich ein Bild der Verwüstung. Das Flugzeugwrack stand in Flammen, konnte aber mit Schaum schnell gelöscht werden. Der vordere Teil der Maschine war in unzählige Teile zerborsten, eine Turbine, Sitze, Kabel, Verkleidungsteile, Papiere und Karten lagen über den Waldboden verstreut. Die Insassen des Flugzeugs, der Pilot (33), sein Co-Pilot (22) und ein Techniker (46), konnten nur noch tot geborgen werden.

Unmittelbar nach dem Flugzeugunglück begannen die Ermittlungen. 

Unmittelbar nach dem Flugzeugunglück begannen die Ermittlungen.  © Eduard Weigert

Unmittelbar nach dem Absturz begannen umfangreiche Ermittlungen: Die Polizei sperrte den Unglücksort weiträumig ab und gründete eine 60-köpfige Arbeitsgruppe. Noch am gleichen Tag trafen Experten der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung (BFU) mit Sitz in Braunschweig ein. Die Ermittler stellten damals Beweise sicher – und gingen der Frage nach: Warum mussten die Männer sterben?

Zwei Jahre später bringt die BFU ihr Untersuchungsergebnis heraus. Demnach war der Absturz eine Verkettung unglücklicher Umstände, sowohl menschlicher, als technischer Natur: "Der Unfall ist darauf zurückzuführen, dass das linke Triebwerk zirka drei Minuten nach dem Start ausfiel und das anschließende Verfahren für die Einmotorenlandung unzureichend durchgeführt wurde...", schreiben die Experten. In dem Bericht ist detailliert nachzulesen, warum das linke Triebwerk ausfiel: Die Turbine, aus der mehrere Blätter ausgebrochen waren, war schrottreif und hätte längst ausgetauscht werden müssen.

Probleme schon beim Start

Der verunglückte Jet war vor seinem Start in Nürnberg bei der Firma Aero-Dienst zur Wartung – allerdings nur zur Überholung des rechten Triebwerks. Diese wurde von dem Unternehmen einwandfrei ausgeführt, so die BFU. Das Nürnberger Unternehmen hat also nichts mit dem Unglück zu tun. Dass es schon beim Start Probleme gab, belegen die Sprachrekorder, die an der Unglücksstelle gefunden und ebenfalls von der BFU ausgewertet wurden.

Auf den Mitschnitten aus dem Cockpit diskutieren Pilot Alejandro M., ein sehr erfahrener Flieger mit über 2500 Flugstunden, und sein Co-Pilot Stefano de P., ob es nicht zu riskant sei, zu fliegen, weil die Tanks ungleich befüllt waren. Das förderte nach Auswertung der Experten später bei der Notlandung das Trudeln des Jets. Auch ein Messgerät funktionierte nicht. Die Männer entschlossen sich nach Rücksprache mit Techniker Juan Luis L., der ebenfalls an Bord war, trotzdem in Richtung Rom zu starten.

Was sich wenige Minuten später in der kleinen Maschine abgespielt hat, liest sich wie ein Krimi: Der Steigflug wird in 2000 Metern Höhe jäh gestoppt, weil das linke Triebwerk streikt. Eigentlich, so berichten erfahrene Piloten, ist ein Flugzeug auch dann noch flugtauglich und man kann es sicher zu Boden bringen. Das Verhalten in solchen Situationen werde in Aus- und Fortbildung immer wieder geübt.

Im Cockpit beginnt jedoch eine fatale Kette menschlichen Versagens: Es kommt zu Missverständnissen, etwa, ob die Bremsklappen eingefahren werden müssen. "Do it!" schreit der Pilot seinen Kollegen an und gibt vollen Schub aufs rechte Triebwerk. Doch da ist es bereits zu spät: Die Maschine taumelt schon und schmiert dann über links ab. Checklisten, die es für solche Notsituationen gibt, seien nicht abgearbeitet worden, sagen die BFU-Fachleute.

Auch die Kommunikation mit der Flugsicherung sei nicht optimal gelaufen: Zweimal wurde der Pilot aufgefordert die Funkfrequenz zu wechseln. "Dieser Wechsel der Frequenzen lenkte die Besatzung von anderen Aufgaben ab und kostete unnötig Zeit", kritisiert der Untersuchungsbericht.

Familien der Verunglückten trauern in Italien

Während in Nürnberg intensiv ermittelt wird, trauern die Familien der Verunglückten. Die Leichen können zunächst nicht nach Italien gebracht werden, weil sie erst in der Rechtsmedizin untersucht werden müssen. Der Jüngste, der 22-Jährige Co-Pilot Stefano di P., lebte laut italienischer Medien noch bei seinen Eltern. Alejandro M. (33) hinterließ eine Frau und zwei Kinder, darunter eine erst wenige Wochen alte Tochter. Der 46-Jährige Techniker Jean Luis L. hatte ebenfalls eine Ehefrau und eine damals achtjährige Tochter.

Für die drei Männer gab es nach Ansicht der Experten keine Chance: "Der Unfall war für die Insassen des Flugzeugs nicht überlebbar", so der BFU-Bericht.