Jugendamt muss immer häufiger Kinder aus Familien holen

Silke Roennefahrt

Lokalredaktion

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10.7.2019, 15:58 Uhr

Für das Jugendamt ist es das letzte Mittel, doch immer häufiger sieht die Behörde keine Alternative zu diesem drastischen Schritt: Die Zahl der Inobhutnahmen ist in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. 2015 gab es in Nürnberg 312 Inobhutnahmen, im Jahr 2018 waren es 368, auch in diesem Jahr scheint sich der Trend fortzusetzen Nürnberg ist damit keine Ausnahme, auch bundesweit steigt die Zahl der Inobhutnahmen, von 33.500 im Jahr 2010 auf 38.900 in 2017.

Sorgen machen den Fachleuten vor allem die Jüngsten unter ihren Schützlingen. In Nürnberg nahm das Jugendamt im Jahr 2013 60 Kinder unter drei Jahren aus ihren Familien heraus, fünf Jahre später waren es 79 - das ist ein Zuwachs von einem Drittel. Über die Gründe können auch die Experten nur spekulieren. "Eine eindeutige Ursache gibt es nicht", sagt Gisela Duschl, Leiterin des Kinder- und Jugendhilfezentrums in der Reutersbrunenstraße.

Drogen und Alkohol

Dass Nachbarn genauer hinschauen, dass das Personal in den Kindertagesstätten entsprechend geschult ist, dass die verschiedenen Hilfsangebote besser vernetzt sind - all das spielt aus Duschls Sicht eine Rolle. "Man erkennt das früher." Die Sozialpädagogin glaubt aber auch, dass die Gruppe der Familien, die mit massiven Problemen zu kämpfen hat, größer geworden ist.

Immer häufiger haben es die Mitarbeiter mit psychisch kranken Müttern oder Vätern zu tun, andere sind abhängig von Drogen wie Crystal Meth oder bekommen ihre Alkoholsucht nicht in den Griff. "Zunächst versuchen wir immer, die Familie zu unterstützen", betonen Susanne Schneider-Flentrup und Christine Hofmann von der Fachstelle für Vollzeitpflege. Nur wenn die Hilfe nicht greift oder die Behörde schon die Geschwisterkinder in andere Hände geben musste, sucht das Amt nach einer anderen Lösung. "Meistens sind die Familien schon länger bekannt", betont Hofmann.

Notwohnung ist voll

Mit den steigenden Fallzahlen wird allerdings die Suche nach einer anderen Unterbringung immer schwieriger. Die Kindernotwohnung ist oft überbelegt, dennoch müssen dort immer wieder auch Kinder unter drei Jahren betreut werden. Derzeit sind fünf Kleinkinder dort untergebracht, dabei sollten eigentlich alle Kinder unter sechs Jahren in einer Familie aufwachsen, sagt Hofmann. "Das ist das Ziel des Jugendamtes."

Händeringend sucht die Behörde deshalb nach Pflegefamilien und hat zudem ein neues Modell entwickelt, um mehr Familien für die anspruchsvolle Aufgabe zu gewinnen. "Pflege plus" nennt sich das Konzept, mit dem das Amt in Kooperation mit dem Pflegekinderdienst vor allem kleineren Kindern mehrfache Wechsel ersparen will.

Bislang kamen diese zunächst, wenn möglich, bei sogenannten Bereitschaftspflegefamilien unter. Dabei handelt es sich um ausgebildete Fachkräfte, die in Notsituationen schnell einspringen und die Kinder in der Anfangsphase betreuen. "Eigentlich sollten die Kinder dort nur vier Wochen bleiben, aber das kriegen wir nie hin", sagt Hofmann. Denn es fehlt an "normalen" Pflegefamilien, mit der Folge, dass auch die Bereitschaftskräfte überlastet sind.

Jetzt soll eine dritte Gruppe die Situation verbessern. Das Jugendamt sucht Menschen, die Babys und Kleinkinder sofort aufnehmen, wenn diese in Obhut genommen werden, und die mit der Unsicherheit leben können, dass die Kinder vielleicht auch wieder zu ihren leiblichen Eltern zurückkehren werden. "Wir brauchen stabile Leute, die den gesamten Prozess begleiten", so Hofmann.

Service für Pflegefamilien

Auf die damit verbundenen Herausforderungen werden die Familien in drei Seminaren vorbereitet, zudem gibt es monatliche Coaching-Treffen. Beim Pflegekinderdienst haben die Eltern einen festen Ansprechpartner. "Sie werden nicht alleingelassen", betont Schneider-Flentrup. Weil der Aufwand für die Familien höher ist, bekommen sie auch mehr finanzielle Unterstützung – so lange, bis geklärt ist, ob die Kinder auf Dauer bleiben können. Das entscheiden häufig die Familiengerichte, manchmal zieht sich das Verfahren entsprechend lange hin.

Den Jungen und Mädchen, die ohnehin in der Regel schon viel durchgemacht haben, werde so zumindest ein weiterer Wechsel erspart, sagt Duschl. "Diese Kinder
sind oft sehr verunsichert." Zu den Erwachsenen hätten sie meist keine festen Bindungen aufbauen können. "Jetzt können sie schneller im neuen Umfeld ankommen." Mit ein paar Familien hat die Behörde das Konzept schon ausprobiert, die Erfahrungen sind positiv, sagt Hofmann. "Jetzt brauchen wir nur noch mehr Mitstreiter." Bedürftige Kinder gibt es genug.

Info

Das Jugendamt in Nürnberg informiert am Donnerstag, 18. Juli, ab 19 Uhr im Kinder- und Jugendhilfezentrum in der Reutersbrunenstraße 34 alle Interessierten über das Konzept "Pflege plus". Eine Anmeldung ist nicht nötig.

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