Impftouristen und Coronatests

Korruption im Gesundheitswesen: In diesen Fällen ermitteln Nürnberger Staatsanwälte

Ulrike Löw

E-Mail zur Autorenseite

9.9.2021, 06:00 Uhr
Korruption im Gesundheitswesen: In diesen Fällen ermitteln Nürnberger Staatsanwälte

© Werner Krueper, epd

Wo es etwas zu holen gibt, wird betrogen - eine Binsenweisheit, eigentlich. So verwundert es wenig, dass der Gesundheitssektor besonders anfällig ist für Betrug und Korruption. Die Wirtschaftsmacht ist riesig, wie ein Blick in die Datenbank des Statistischen Bundesamtes verdeutlicht: 410,8 Milliarden Euro wurden im Jahr 2019 im deutschen Gesundheitssystem umgesetzt, umgerechnet sind dies 4944 Euro je Einwohner. Im Jahr 2018 lagen die Gesundheitsausgaben noch bei 390 Milliarden Euro.

In der Pandemie werden Milliarden in das System gepumpt

All dies war vor Corona. Die geschätzten Ausgaben für 2020 liegen bei 425,1 Milliarden Euro. Noch sind die Auswirkungen der Pandemie nicht vollständig absehbar - doch fest steht: Zur Bekämpfung von Corona wurden weitere Milliarden ins System gepumpt. Und fest steht auch: Die Unsicherheit und Panik, die Corona mit sich bringt, wird von Betrügern ausgenutzt.

Korruption im Gesundheitswesen: In diesen Fällen ermitteln Nürnberger Staatsanwälte

© Ulrike Löw, NNZ

Unsaubere Deals bei Masken, Rechnungen für Corona-Tests, die es nie gab, der Verdacht, dass viel zu viele Intensivbetten staatlich subventioniert wurden, die Unterschlagung von Impfstoff - Korruption im Gesundheitswesen empört die Öffentlichkeit.

Abrechnungsbetrug kann auch zu Gesundheitsschäden bei Patienten führen

Und in der Pandemie zeigt sich deutlicher denn je: Abrechnungsbetrug führt nicht nur bei den gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen zu enormen Ausfällen - für die letztlich die Versicherten aufkommen müssen - sondern kann auch für Gesundheitsschäden bei Patienten sorgen.

Ein System, in dem es um viel Geld geht, gezielt zu kontrollieren, ist daher zwingend - und dies geschieht in Bayern von Nürnberg aus seit knapp einem Jahr. Am 15. September 2020 nahm die Zentralstelle zur Bekämpfung von Betrug und Korruption (ZKG) im Gesundheitswesen die Arbeit auf, nun ziehen Richard Findl und Matthias Held eine erste Bilanz. Als Leitender Oberstaatsanwalt führt Richard Findl die Behörde, Matthias Held fungiert als Sprecher.

In jedem Heilberuf gibt es schwarze Schafe

Schon vor der Corona-Pandemie wussten die Ermittler, dass es keinen Heilberuf gibt, in dem nicht betrogen wird. Ärzte mischen mit, aber auch Apotheker, Pflegedienste und Patienten. "Doch natürlich", so Findl, "wollen wir keinesfalls bestimmte Berufsgruppen innerhalb der Heilberufe unter Generalverdacht stellen". Sein Fokus liegt seit 2016, damals war er noch in München tätig, auf Abrechnungsbetrügern und korrupten Ärzten.

14 Staatsanwälte führen die Ermittlungen

Und auch Vizechef und Oberstaatsanwalt Torsten Haase kennt die Tricks von Betrügern seit vielen Jahren aus seiner Tätigkeit in der Wirtschaftsabteilung der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth. In der ZKG arbeiten keine jungen Juristen, vielmehr besetzen 14 Staatsanwältinnen und Staatsanwälte mit einigen Jahren Berufserfahrung zwölf Vollzeitstellen. Um schlagkräftig zu agieren, wurden die drei bayerischen Schwerpunktstaatsanwaltschaften München I, Nürnberg-Fürth und Hof zur ZKG zusammengefasst.

Die Pandemie zwang auch die Mitarbeiter der Zentralstelle ins Homeoffice, doch Behördenchef Findl lobt das Engagement und die Schlagkraft sorgte bereits für Schlagzeilen:

Beispiel 1: Katastrophale Zustände in einem Pflegeheim

Seit Mai 2020 ist die Seniorenresidenz Schliersee im Fokus der Staatsanwaltschaft München II - über Jahre hinweg sollen Bewohner pflegerisch schwer vernachlässigt worden sein. Die Staatsanwaltschaft schilderte stark unterernährte Heimbewohner, Bewohner mit offenen Wunden und katastrophale hygienische Zustände. Die Rede war von Windeln, die nicht gewechselt wurden und alkoholisierten Pflegekräften. Körperverletzungsdelikte bei 88 Bewohnern werden geprüft und in 17 Todesfällen die Todesursache, auch ein Corona-Ausbruch im April 2020 wird untersucht. Damals rückten Bundeswehr-Sanitäter an, um die Versorgung der Heimbewohner zu gewährleisten.

Im März 2021 ließ die Nürnberger ZKG das Seniorenheim erneut von mehr als zwei Dutzend Polizeibeamten durchsuchen, diesmal ging es zwar "nur" um den finanziellen Schaden, doch der enge Zusammenhang von Betrug und Gesundheitsschäden durch pflegerische Vernachlässigung liegt auf der Hand. "Der Verdacht lautet, dass das Heim zu wenige Mitarbeiter beschäftigte, aber die vollen Beträge für das Personal bei den Pflegekassen abgerechnet hat", so Sprecher Matthias Held. Die Seniorenresidenz wird nun geschlossen.

Beispiel 2: Impftouristen aus Italien

Am 21. Mai 2021 erhielten im Hotel Hilton Munich Airport mehr als 100 Hotelangestellte aus Sardinien eine Biontech-Pfizer-Spritze - doch diese Touristen verfügen weder über einen deutschen Wohnsitz noch über eine deutsche Krankenversicherung. Das Ressort Forte Village hatte seine Belegschaft als Impftouristen von Italien nach Bayern fliegen lassen, am selben Tag ging es wieder zurück. Die ZKG ließ mehrere Gebäude in München durchsuchen. Der Verdacht: Bestechung und Bestechlichkeit sowie Unterschlagung des Impfstoffes. Noch wird unter anderem gegen einen Apotheker, Ärzte und einen Rechtsanwalt ermittelt.

Die geänderte Organisation der ZKG ist mehr als eine andere Struktur in der Behörden-Bürokratie: Die Ermittler müssen die komplizierte Materie lesen und auch verstehen können - um die schwarzen Schafe in den weißen Berufen auch zu finden.

"Besteht ein Anfangsverdacht, müssen wir natürlich gründlich prüfen", sagt Richard Findl. Für eine Hausdurchsuchung braucht es grundsätzlich eine richterliche Anordnung, doch natürlich wissen auch die Ermittler, dass massiver Polizeieinsatz Nachbarn an die Fenster lockt, den Ruf der Betroffenen in der Umgebung ruinieren kann und am Ende auch bei einem Freispruch Misstrauen bleibt. Keiner will Schuldige auf freiem Fuß und Unschuldige hinter Gittern, doch das ist viel verlangt im komplexen Gesundheitssystem mit vielen Beteiligten, Leistungserbringern, Versicherern und Abrechnungsdienstleistern.

Die Unterstützung - noch sucht die ZKG gelernte Kaufleute aus dem Gesundheitswesen - für die Kripo und die Staatsanwaltschaft kommt daher auch von Mitarbeitern, die in der "weißen Branche" gelernt haben. Medizinisches Fachpersonal, Pflegeexperten und Mitarbeiter von Krankenkassen dienen als Wissenshelfer, denn häufig sind die Methoden des Betrugs nur für Fachleute durchschaubar. Es sei denn, ausgerechnet Polizisten werden geprellt...

Beispiel 3: Zuviel abgerechnete Corona-Tests

Im Juni 2021 wurde die Zuständigkeit der ZKG auf Testzentren erweitert - bislang laufen 33 Verfahren, 18 befinden sich noch in der Vorprüfung, in 15 Verfahren wird ermittelt, unter anderem in Passau. Hier geriet ein Corona-Testzentrum, sehr nahe an einer Polizeiinspektion angesiedelt, unter Verdacht. Einige der privat versicherten Beamten stutzten nämlich über wiederholt abgerechnete - aber nicht durchgeführte - Tests. Das Ermittlungsverfahren läuft.

Großes Dunkelfeld des Betrugs

Der Spitzenverband der Krankenkassen vermutet ein extrem großes Dunkelfeld des Betruges. Denn die Fälle sind nur schwer aufzudecken, schließlich haben jene, die wirklich wissen, was passiert ist, häufig auch kein Interesse daran, davon zu erzählen. Und angezeigt wird selten. Da mit dem Ausbruch von Corona weitere Milliarden geflossen sind, steigen nach Einschätzung der Experten auch die Betrugsfälle und damit die Schäden.

Die ZKG hat in ihrem ersten Jahr 570 Verfahren bearbeitet. Einzelne Verfahren (teilweise von den Staatsanwälten aus früheren Tätigkeiten in die Behörde gebracht) wurden bereits durch Urteil beendet. So wurde gegen die Ínhaberin eines Fahrdienstes wegen Betrugs in 60 Fällen (96 000 Euro Schaden) eine Freiheitsstrafe von eineinhalb Jahre, ausgesetzt zur Bewährung, verhängt.

Trauriger Spitzenreiter der Ermittlungen, so Richard Findl, seien die ambulante Pflegedienste. Hier zeigt sich ein echtes Problem im Gesundheitsystem: Durch Abrechnungsbetrug versickern nicht nur Unsummen - ohne Wirkung für Patienten zu entfalten. Tatsächlich kann die unheilvolle Kombination aus Pflegenotstand und Betrug das Leben einzelner Patienten, die als Pflegefall zu Hause versorgt werden, gefährden - wenn kriminelle Pflegedienste statt qualifizierter Kräfte billige Aushilfen schicken. Doch abgerechnet wird Fachpersonal.

Auch ein Lob eines Spitzenverbandes der Krankenversicherer kann sich die Nürnberger ZKG in die Bilanz schreiben. Bislang hat die Bayerische Staatsregierung als einziges Bundesland eine Zentralstelle bei einer Generalstaatsanwaltschaft eingerichtet.

3 Kommentare