Kräutermischungen in Nürnberg: Risiko in jedem Päckchen
13.11.2017, 05:57 Uhr"Nach Kräutermischung: Jugendliche reglos am Tisch" schrieb die NZ über eine Meldung der Bundespolizei vor einigen Monaten. Die Beamten teilten damals mit, dass die 17-Jährige bewegungslos im Hauptbahnhof an einem Tisch sitzend gefunden wurde – "als wäre sie ihrer Sinne beraubt worden". Der Rettungsdienst brachte die junge Frau in eine Klinik.
"Kräutermischungen sind in der Nürnberger Szene längst etabliert", sagt Sandro Rösler. 2005 tauchten diese synthetischen Cannabinoide auf dem Drogenmarkt auf. Rösler arbeitet bei Enterprise 3.0, einer
Drogenberatungsstelle für junge Menschen bis 21 Jahre, die zur Mudra gehört. Mit seinen Kollegen kümmert er sich dort um Jugendliche, die Drogen nehmen. "Wir sprechen mit ihnen über ihren Konsum, bauen Vertrauen auf und versuchen, Lösungswege zu finden", umschreibt Rösler seine Arbeit.
Auch Professor Wolfram Scheurlen kennt das Problem mit den Kräutermischungen. Wenn Jugendliche wie die 17-Jährige im Hauptbahnhof mit Vergiftungserscheinungen aufgegriffen werden, kommen sie auch in die Cnopf’sche Kinderklinik, wo Scheurlen Chefarzt ist. Oft seien die jungen Menschen bewusstlos oder verwirrt. "Es gibt auch welche, die randalieren."
Viel tun könnten Ärzte und Pfleger nicht, wenn Konsumenten von "Legal Highs" eingeliefert werden: Meist legen sie einen intravenösen Zugang, überwachen die Körperfunktionen und machen einen Bluttest. Daher wisse man, dass die meisten zusätzlich zu den Kräutermischungen auch Alkohol konsumieren, erklärt Scheurlen. Die chemisch-synthetischen Substanzen hingegen, die in den Drogen enthalten sind, seien weder im Blut noch im Urin nachweisbar.
Im Gegensatz zu einer Heroin-Überdosis, wo man dem Patienten Naloxon verabreichen könne, gibt es dafür auch kein Gegenmittel. "Da kann man nur Daumen drücken", sagt der Chefarzt. "Das macht es auch so schwierig: Sie kriegen einen bewusstlosen Patienten mit Herz-Kreislauf-Problemen, aber wissen nicht, was der haben kann, weil Sie es nicht nachweisen können."
Zwischen 30 und 40 Fälle pro Jahr gibt es in der Cnopf’schen Kinderklinik. Die Zahlen könne man jedoch mal zwei nehmen, weil auch ins Südklinikum Jugendliche eingeliefert werden, die Kräutermischungen geraucht haben, sagt Scheurlen. Bisher sei die Jüngste gerade einmal 13 Jahre alt gewesen.
Konsequenzen sind weitgehend unbekannt
Was richtet der Konsum dieser chemischen Substanzen in den jungen Körpern an? "Wir wissen es nicht", sagt Scheurlen. Im Gegensatz zu Cannabis gebe es keine Studien, keine Erkenntnisse über die Langzeitschäden – dafür sei die Droge noch zu neu. "Wir wissen aber, dass es stark abhängig macht. Das sogenannte Craving, diese Gier nach einer erneuten Dosis, muss sehr hoch sein. Deutlich höher als bei Cannabis." Auch Entwicklungs- und Konzentrationsstörungen seien zu erwarten. "Wir bewegen uns bei den Kräutermischungen aber noch in einem medizinisch ungeklärten Raum."
Bei Scheurlen in der Klinik schlagen vor allem Flüchtlinge und Jugendliche aus Heimen auf. Er habe jedoch das Gefühl, dass die Fallzahlen leicht zurückgegangen sind, seit die Polizei die Königstorpassage verstärkt kontrolliere. Männer und Frauen konsumieren die Kräutermischungen im Verhältnis 2:1, sagt Scheurlen, "aber die Frauen sind schwer am Aufholen". Die Jugendlichen, die in die Klinik kommen, werden auch an die Mudra verwiesen.
Etwa 500 Klienten betreut die Beratungsstelle Enterprise 3.0 im Jahr, sagt Sandro Rösler. Bei den Nürnberger Jugendlichen sei Cannabis weitverbreitet, dazu Partydrogen wie Ecstasy sowie Kräutermischungen. Der Sozialpädagoge glaubt, dass der Konsum von "Legal Highs" ein sehr regionales Phänomen sei, das mit der strafrechtlichen Verfolgung von Cannabis zusammenhänge.
In Frankfurt etwa habe die Szene keine Probleme mit Kräutermischungen. "Und in den Niederlanden kennen die das gar nicht", weiß Rösler. Wo die Behörden besonders streng kontrollieren, etwa in Bayern und Baden-Württemberg, seien die synthetischen Drogen für viele Jugendliche eine Alternative zu Cannabis.
Dabei seien die Kräutermischungen sehr viel gefährlicher, sagt Rösler. Denn die Substanzen und Stoffe sind nicht erforscht: "Zum Teil wirken sie mehr als 500-mal so stark wie Cannabis." Zudem rufen sie schneller und intensiver Entzugserscheinungen hervor. "Das können Krampfanfälle oder Panikattacken sein. Auch die Gier nach mehr ist intensiver als bei starkem Cannabiskonsum."
"Russisch Roulette" mit der Gesundheit
Zu alldem kommt noch hinzu, dass die Jugendlichen bei jedem Konsum quasi Russisch Roulette spielen: "Niemand weiß, was in den Päckchen drin ist." Man könne am selben Tag vom selben Händler drei Päckchen "Jamaika" kaufen. Beim ersten passiere vielleicht nichts, weil kein Wirkstoff drin ist, beim zweiten jedoch könne man schon nach drei Zügen eine Panikattacke bekommen.
Eine Lösung könnte für Rösler die staatliche Regulierung des Cannabismarktes sein. Verkaufen dürfte man es dann aber nur in Fachgeschäften, wo strenge Altersbestimmungen gelten und Jugendliche nichts bekommen. Außerdem sollte der Staat Rechtssicherheit schaffen und Grenzwerte ähnlich wie beim Autofahren unter Alkoholeinfluss einführen. Erst ab 0,5 Promille müssen Erwachsene in Deutschland bei Verkehrskontrollen in der Regel mit Konsequenzen rechnen. Bei Werten darunter darf man noch fahren. Ähnlich sollte es beim Cannabis gehandhabt werden, fordert der Sozialpädagoge. "Denn wenn der Rausch nach einem Cannabis-Konsum vorbei ist, sind die Abbaustoffe noch lange nachweisbar, obwohl man schon wieder nüchtern ist."
Cannabis ist aber ein natürlicher Stoff, dessen Risiken direkt mit dem Einstiegsalter und der Konsumfrequenz zusammenhängen, sagt Sandro Rösler. Die Risiken von Kräutermischungen hingegen seien für jede Konsumentengruppe so gut wie unkalkulierbar. Der Markt werde also für eine viel gefährlichere Substanz geöffnet.
Und trotz der repressiven Drogenpolitik steige die Zahl der Konsumenten bis heute an. Auch die Verfügbarkeit von illegalen Substanzen sei höher denn je. "Deshalb lohnt es sich, einen Blick über den Tellerrand zu wagen", ist Rösler überzeugt: Deutschland könne von den Erfahrungen anderer Länder mit liberaleren drogenpolitischen Modellen durchaus lernen.
Wolfram Scheurlen ist da anderer Meinung: "Als Jugendmediziner bin ich gegen eine Legalisierung von Cannabis." Vielmehr müsse man immer und immer wieder auf die große Gefährlichkeit der Kräutermischungen hinweisen. "Weder der Dealer noch der Hersteller und erst recht nicht der Konsument weiß, was da wirklich für ein Dreck drin ist."
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