Krise - und jetzt? Wie Corona Nürnbergs Innenstadt verändert
23.5.2021, 06:12 UhrEin Bummel durch die Innenstadt ist zurzeit ein Wechselbad der Gefühle. Auf dem Hauptmarkt gibt es Erdbeeren und quietschfrischen Spargel, der Stand mit den Schnittblumen ist gut besucht, die gebündelten Tulpen und Rosen versprühen Farbe und Laune. Einige Schritte weiter: Die Museumsbrücke ist gesäumt mit Menschen, die auf die Pegnitz schauen, Eis essend, in den Händen To-Go-Becher.
Doch die klassischen Einkaufsstraßen wirken verlassen. Schwermut zieht durch Kaiserstraße, Karolinenstraße, Breite Gasse. Als sei der Treck weitergezogen und habe Beton, mit Kaugummi befleckte Straßen und dunkle Schaufenster zurückgelassen.
Diese Restaurants in der Region haben Corona nicht überlebt.
Es ist was los
Der Eindruck täuscht, hinter den geschlossenen Türen ist was los – wenn auch viel weniger als in früheren Zeiten: 460 Einzelhandelsbetriebe gibt es in dem Gebiet, das man Innenstadt nennt und das im engeren Sinne die Fläche innerhalb der Stadtmauer meint. Dazu kommen 285 gastronomische Betriebe, Handwerk wie Optiker, Friseure, Bäckereien, Goldschmiede. Es gibt Dienstleistungsunternehmen, Ärzte und Physiotherapeuten, Galeristen, Architekten, Museen, Kinos, Fitnessstudios. Nach Angaben des Statistikamts sind das zusammen 2207 Betriebe oder Niederlassungen mit 20.896 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.
Die Karolinenstraße zählt zu den 15 beliebtesten Einkaufsstraßen Deutschlands. Der Karstadt an der Lorenzkirche ist, ebenso wie der Kaufhof in der Pfannenschmiedsgasse/Königstraße und der Karstadt in Langwasser, vorerst gerettet: Der Bund sagte einen Kredit aus dem staatlichen Wirtschaftsstabilisierungsfonds zu. Mit dem Geld soll der Betrieb der Warenhauskette aufrecht erhalten werden.
Wenig Geschäftigkeit
Die Zusage war im Januar. Doch seitdem haben die Inzidenzzahlen in Nürnberg nicht viel Geschäftigkeit zugelassen. "Click & Meet", "Click & Collect", mal mit Schnelltests, mal ohne, mal mit Termin, mal ohne – Betriebe leiden unter der Planungsunsicherheit, manch einer schließt das Geschäft lieber vorübergehend und hofft auf baldige Erleichterungen. Unabhängig davon verändert sich die Innenstadt.
So hat beispielsweise die Einkaufsmeile Karolinenstraße in der Krise mächtig verloren: 2020 ging die Passantenfrequenz um 38,4 Prozent gegenüber 2019 zurück. Die Stadtverwaltung steuert entgegen, mit Projekten, Initiativen, Hilfsangeboten.
Dennoch: "Die konkreten Auswirkungen der Corona-Krise auf die Zahl der Insolvenzen im Sommer 2021 können derzeit nicht seriös abgeschätzt werden", sagt Wirtschaftsreferent Michael Fraas. "Je länger der Lockdown anhält, desto schwieriger wird die Lage für viele Betriebe insbesondere im Einzelhandel, in der Gastronomie und Hotellerie."
Hinter den Türen der Bar Europa
Im Dezember packte Karel Jahns der Corona-Blues. Der Himmel düster, das Wetter kalt, fast jeder Parkplatz leer. Und das in der Inneren Laufer Gasse, wo die Autos an den Wochenenden auch mal gerne in der zweiten Reihe halten, weil es – normalerweise – gar so voll ist. Die "Bar Europa" ist eine feste Anlaufstelle für Cocktail-Freunde, seit vielen Jahren sind Jahns und sein Team im Stammhaus der Traditions-Hutmacherei "Brömme" ansässig. "Ich hab’s befürchtet, dass der Lockdown so lange geht", sagt Jahns, "weil es mit dem Impfen so lange gedauert hat."
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Den Stillstand hat der Barkeeper genutzt, um seinen Laden mit Holzpaneelen aufzumöbeln, er hat Bilder umgehängt, Leuchtreklame angebracht. Seit dem letzten Jahr hat Jahns einen Lieferservice: Alle 250 Cocktails der Karte können bestellt werden, fertig gemixt und eingeschweißt kommen sie nach Hause. Ein ernst gemeinter Gag. "Wir wollen uns zeigen, damit wir nicht vergessen werden." Mitte, Ende Juni, hofft Karel Jahns, ist der Inzidenzwert so gesunken, dass er die Außenbestuhlung öffnen darf.
Stress beim Küchen-Loesch
Ein Dichtungsring für die Kaffeemaschine? Eine grüne Kochlöffelablage? Ein Fisch-Dörr-Gerät? Klaus Harl hat dies und hunderttausende Dinge mehr auf 1400 Quadratmetern versammelt, die sich quer über vier verbundene Häuser ziehen. "Küchen-Loesch" an der Lorenzkirche ist eine Institution, seit Generationen. "Die Kundenbindung ist sehr groß", weiß Harl, "das ist unser Pfund auch in der Corona-Zeit."
Weil "Click & Meet" wegen hoher Inzidenzzahlen nicht mehr möglich ist, bestellen die Kunden online oder sie rufen an und lassen sich beraten. Die Ware ist dann abzuholen oder "Nürnberg liefert", der gemeinsame Lieferdienst des Nürnberger Einzelhandels, bringt sie an die Haustür. Die Nachfrage ist gut, lassen diese Zeiten doch die Freude an der Häuslichkeit wachsen. Zuerst kam der Backformen-Boom, dann kauften die Leute Küchenmaschinen, dann Grills, sagt Harl: "Und jetzt zerreißen wir uns schier zwischen Telefon und allem anderen." Der Aufwand, verglichen zum Verkauf, sei viel größer. "Hoffentlich können wir bald wieder aufmachen."
Achterbahnfahrt im Gold Thai
Pariyai Engel rührt im Wok, jetzt gerade kocht sie für ihre Familie Mittagessen. Es ist beschaulich im "Gold Thai Imbiss". Leider. Die zierliche Frau wirkt winzig hinter der langen, breiten Theke. Ben Engel, einer ihrer Söhne, erinnert sich an den 2. November. An diesem Tag trat der Lockdown in Kraft, damals ahnte er bereits, dass dieser Zustand noch länger geht – "aber nicht bis in den Mai".
Im "Gold Thai Imbiss" gibt es seit 15 Jahren thailändische Küche auf hohem Niveau. Zunächst war der kleine, stets gedrängt volle Imbiss in der Hirschelgasse beheimatet, im März 2018 zog er in die Innere Laufer Gasse, "eine Toplage, wir waren super besucht". Wenn man den Außenbereich mitzählt, sagt Ben Engel, haben hier 140 Gäste Platz. Seit November halte man sich mit Gerichten zum Mitnehmen über Wasser. Finanzielle Hilfen hat der "Gold Thai Imbiss" bekommen, "dafür sind wir dankbar", auch bei der Miete sei man der Familie entgegen gekommen. " An manchen Tagen ist absolut nichts los, manchmal geht was", erzählt Ben Engel. "Es ist wie eine Achterbahnfahrt." Nun hoffen er und seine Familie darauf, dass sie bald den Außenbereich öffnen dürfen. "Alles ist vorbereitet. Wir stehen in den Startlöchern."
Neuanfang beim Glückskind
Vor 38 Jahren begannen Brigitte Hirner und ihre Schwester mit dem Verkauf von hochwertiger Kindermode, "damals gab es in Nürnberg acht Boutiquen mit ähnlichem Sortiment", erinnert sie sich. Inzwischen haben alle aufgegeben, und auch das "Glückskind" in der Bankgasse an der Lorenzkirche wird im Juli die Segel streichen. Wer nun vor Ort Kleidchen und Mützchen von ausgefallenen Marken kaufen möchte, müsse nach München, bedauert Hirner. "Textil, speziell im Kinderbereich, ist schwierig", erklärt sie, 7000 Euro Miete, dazu noch Nebenkosten – "die Lagen in der Innenstadt sind nicht mehr leistbar."
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Gegenüber anderen Einzelhändlern war das "Glückskind" noch im Vorteil, denn als Geschäft mit Babybedarf durfte es immer öffnen. Dennoch hatten die Hirners im Januar und Februar zu, weil die Innenstadt wie leer gefegt war. Zwischenzeitlich hatten sie einen Online-Shop, den Aufwand zusätzlich zu einem Laden könne aber kein Einzelhändler stemmen. Trotzdem ist Brigitte Hirner positiv gestimmt, denn das "Glückskind" soll erhalten bleiben. Das Geschäft zieht ans Rathaus, wird sich auf Kinderwägen spezialisieren. "Einzelhandel wandelt sich immer. Durch Corona geschieht alles im Zeitraffer."
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