Abbiege-Assistent
Nürnberg: Wenn der tote Winkel zur tödlichen Gefahr wird
19.8.2021, 17:30 UhrDer tote Winkel kann zur tödlichen Falle werden. Vor allem dann, wenn Busse oder Lkws rechts abbiegen, kann das für Fußgänger oder Radfahrer eine große Gefahr sein. Ein Problem, das auch auf Nürnberg zutrifft. Davon zeugen frühere Unfallorte mit Kreuzen und sogenannte Ghostbikes - ein Begriff, dessen Ursprung sich im US-Bundesstaat Missouri finden lässt. Sie sind weiß lackiert, manchmal hängen Blumen daran. In Missouri wurden 2003 die ersten Ghostbikes aufgestellt. Sie haben zwei Aufgaben: Einerseits sollen sie das Gedenken an die Opfer aufrechterhalten, andererseits dienen sie als Warnung.
Radlerin starb noch an der Unfallstelle
Die weißen Räder stehen in Nürnberg an Stellen, an denen Radfahrer umkamen, die in den toten Winkel eines Lkw geraten waren. So auch die 30-jährige Katharina. Sie war am 18. Juni 2019 mit dem Fahrrad im Umkreis des Dutzendteichs unterwegs. An der Einmündung der Seumestraße in die Jitzhak-Rabin-Straße geschah das, was sich keiner vorstellen mag: Ein Lkw riss die Radfahrerin mit. Sie starb noch an der Unfallstelle.
Seit Jahren fordern Organisationen wie der ADFC, dass der Abbiege-Assistent für Lkw zur Pflicht wird. Bis heute gibt es lediglich eine Vorgabe der Europäischen Union. Bei einem Treffen auf dem Gelände der Bereitschaftspolizei in Nürnberg, hat nun auf Anregung des bayerischen Innenministeriums die Maschinen-Firma MAN einen Schulbus mit Abbiege-Assistenten gezeigt. Hört man Innenminister Joachim Herrmann zu, dann liegt es am ÖPNV, den Städten und Kommunen, ihre neuen Fahrzeuge mit der technischen Sicherheitsanlage auszurüsten. "Es gibt eine Bezuschussung des Freistaates, das soll ein größerer Anreiz sein", sagt Herrmann. Eine EU-weite verpflichtende Einführung von Abbiege-Assistenten ist erst ab Juli 2022 für neue Fahrzeugtypen und ab Juli 2024 für neue Fahrzeuge vorgesehen. Eine Pflicht zum Nachrüsten gibt es nicht.
100.000 ABC-Schützen in Bayern
Herrmann habe aber ganz bewusst die Mitte der Sommerferien für diesen Termin gewählt, um mit dem neuen Abbiege-Assistenten für Schulbusse zu werben. Denn in gut drei Wochen beginnt im Freistaat wieder der Unterricht. "Mehr als 100.000 Kinder werden sich in Bayern dann erstmals auf den Weg in die Schule machen." Seine Botschaft: Eltern sollen schon jetzt den Weg mit den künftigen ABC-Schützen einüben. "Gehen Sie den Schulweg in beide Richtungen ab und binden Sie mögliche Hilfen wie Zebrastreifen und Druckknopfampeln mit ein", appelliert Herrmann an die Eltern.
Tatsächlich ist die Zahl der jungen Unfallopfer, die auf dem Schulweg (schwer) verletzt oder gar getötet wurden, seit den 70er Jahren deutlich zurückgegangen. Dennoch, so Herrmann, hat es 2019 und 2020 jeweils ein Kind gegeben, das auf dem Schulweg ums Leben kam. "Jedes Kind, das auf seinem Schulweg zu Schaden kommt, ist eines zu viel."
Rotes Ampelmännchen schlägt Alarm
Abbiege-Assistenten sollen helfen, solche Unfälle in Zukunft zu vermeiden. Doch wie funktioniert eigentlich so ein technisches System? Auf dem Gelände der Bereitschaftspolizei in Nürnberg steht ein Schulbus. An der Windschutzscheibe und am Heck ist jeweils eine Kamera angebracht. Für den Busfahrer gibt es innen einen kleinen Monitor, der anzeigt, ob sich ein Fußgänger oder ein Radfahrer im toten Winkel befindet. "Auf dem Bildschirm taucht ein gelbes Ampelmännchen auf, das der Busfahrer im Augenwinkel sehen kann, wenn er gerade nicht direkt drauf schaut", erklärt Heinrich Degenhart von MAN. Ein rotes Ampelmännchen taucht dann auf, sobald jemand dem Bus gefährlich nahe kommt oder der Bus ihm. Begleitet wird das Männchen von einem akustischen Warnton, um den Fahrer verstärkt darauf aufmerksam zu machen.
Die Anfragen nach Fahrzeugen, die mit diesem System ausgestattet sind, nehmen zu, stellt Degenhart fest. "Jeder zehnte Bus, den wir europaweit ausliefern, ist damit ausgerüstet." In diesem Zusammenhang sind mittlerweile auch nahezu alle Lkw (Müllabfuhr, Bauhof) der Stadt Nürnberg mit Abbiege-Assistenten ausgerüstet. "Nur diese Fahrzeuge, die bis ende des Jahres oder anfang nächsten Jahres sowieso ausgemustert werden, haben ihn nicht", sagt Bürgermeister Christian Vogel auf Nachfrage.
Auch die Nürnberger Verkehrsbetriebe rüsten ihre Flotte aus. "Im Zuge der Neubeschaffung haben wir bisher 43 Busse damit ausgerüstet. Heuer kommen weitere 39 dazu", sagt VAG-Sprecherin Elisabeth Seitziger. Die VAG hat derzeit rund 200 Linienbusse in Betrieb.
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