Söder im Exklusiv-Interview: "Schwarz-Grün kann interessant sein"
8.2.2021, 05:52 UhrAuf die Frage, ob Sie die Kanzlerkandidatur anstreben, haben Sie oft gesagt, mein Platz ist in Bayern. Gilt das noch?
Söder: Ich sitze doch gerade in Bayern.
Mit Franz-Josef Strauß und Edmund Stoiber hat es schon zwei CSU-Kanzlerkandidaten gegeben, die gescheitert sind. Ist das der Grund, warum Sie die Kandidatur nicht anstreben, trotz guter Umfragewerte?
Söder: Wir müssen uns jetzt vor allem um Corona kümmern. CDU und CSU haben ein klares Verfahren, das zu großer Geschlossenheit führen wird. Die Parteivorsitzenden werden um Ostern ihren Parteien einen gemeinsamen Vorschlag unterbreiten. Die Grünen wollen im Übrigen erst nach Ostern entscheiden, wer ihr Kandidat oder ihre Kandidatin sein wird. Warum sollten wir uns jetzt beeilen? Die SPD hat ihren Kandidaten im September benannt. Ein besonderer Vorteil ist daraus bisher nicht erkennbar.
Was muss denn von der politischen Großwetterlage her passieren, dass Sie sagen "Ich will die Kandidatur und ich mach's"? Sie haben hervorragende Umfragewerte.
Söder: Historisch gesehen war es schon in Bayern nicht einfach, einen Franken in München zu akzeptieren. Ob dann erst ganz Deutschland es auf Dauer besonders attraktiv fände, dass ein Bayer in Berlin regiert, wäre noch mal etwas anderes. (lacht) Trotzdem: Wir spekulieren nicht, sondern warten das besprochene Verfahren ab.
Sie waren vor ein paar Jahren noch einer der unbeliebtesten Ministerpräsidenten. Jetzt schweben Sie auf einer Wolke der Zustimmung. Schmeichelt es Ihrem Ego?
Söder: Natürlich sind gute Umfragen schöner als schlechte. Aber nur, weil sich darin die Akzeptanz der Politik zeigt.
Ich glaube allerdings nicht, dass man die Umfragewerte in Zeiten von Corona in ein normales politisches Koordinatensystem übertragen kann. Das wird sich im Laufe der Zeit wieder auf ein normales Maß einpendeln.
Wie attraktiv ist Schwarz-Grün?
Söder: Die Union hat in den vergangenen Jahren sehr viele konservative Positionen geräumt. Angefangen von der Wehrpflicht, der Atomenergie, die Frauenquote und der Ehe für alle.
Keine Frage von konservativ oder modern
Gibt es denn noch einen konservativen Kern in der Union?
Söder: Veränderung ist weder Aufgabe noch Verlust des Bestehenden. Man kann auf neue Fragen nicht immer die alten Antworten geben. Die Wehrpflicht gab es, um die Verteidigungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland im Kalten Krieg zu gewährleisten. Die Bundeswehr hat heute einen anderen Auftrag, und dem müssen wir gerecht werden.
Die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen im öffentlichen Leben auch über eine Quote ist für mich keine Frage von konservativ oder modern, sondern von normal, vernünftig und selbstverständlich. Es geht nicht um die alten Schablonen, sondern um die Frage, was zu einer modernen bürgerlichen Politik gehört. Das ist die Bewahrung der Schöpfung genauso wie Weltoffenheit, Chancengleichheit, Bodenständigkeit und Technologiefreundlichkeit. Trotzdem haben traditionelle Werte nichts von ihrem Glanz verloren. Wir übersetzen sie nur in die moderne Zeit.
Als Hauptgegner der Union haben Sie die Grünen ausgemacht. Die SPD haben Sie mehr oder minder abgeschrieben. Andererseits haben Sie vor kurzem gesagt, dass Schwarz-Grün für viele Menschen attraktiv sein könnte. Wie erklären Sie diesen Widerspruch?
Söder: Die langjährige Große Koalition leistet in der Krise ordentliche Arbeit. Aber was kommt danach? Die SPD neigt dazu, für moderne Themen leider Antworten aus der Vergangenheit zu entwickeln: höhere Schulden, höhere Steuern und im Zweifelsfall Hartz IV abschaffen. Das ist der verengte programmatische Ansatz der SPD. Das reicht nicht. Wir haben neue große Aufgaben vor uns: Die Bewahrung der Schöpfung und die Bekämpfung des Klimawandels mit einem modernen Wachstumsbegriff, der effizient, aber auch ethisch ist. Und wir wollen soziale und innere Sicherheit in einer unruhiger werdenden Welt gewährleisten.
Nach dem gegenwärtigen Stand glaube ich, dass es eine Sympathie vieler Menschen für eine neue Konstellation mit Inspiration gibt. Das könnte Schwarz-Grün sein. Aber die Grünen müssen sich entscheiden, ob sie den bürgerlichen Weg einschlagen wollen oder doch lieber in der linken Ecke stehen bleiben.
Grüne Politik ohne grüne Partei
In Österreich scheinen Schwarze und Grüne reibungslos zusammenzuarbeiten. Ein Vorbild?
Söder: Eines ist für mich klar: Man kann auch grüne Politik ohne die grüne Partei machen. So wie in Bayern. Wir machen mehr Photovoltaik, als die Grünen im Landtag fordern. Wir pflanzen mehr Bäume als andere und entwickeln Konzepte zum "Urban Farming". Man kann Ökologie voranbringen, ohne Ideologie. Da werden die Grünen noch viel Realitätssinn zeigen müssen. Aber wenn man in einer Woche mit Saskia Esken und Hubert Aiwanger gut zusammenarbeiten kann, dann schafft man es auch mit Annalena Baerbock und Robert Habeck.
Hat der Freistaat den Mietvertrag für das Zukunftsmuseum in Nürnberg zu großzügig verhandelt?
Söder: Die Außenstelle des Deutschen Museums Nürnberg ist ein ganz tolles Projekt. Wir werden uns noch viele Jahre darüber freuen. Es ist alles nach Recht und Gesetz entschieden worden. Das hat die jüngste Diskussion im Wissenschaftsausschuss des Landtags erst wieder gezeigt. Der Freistaat hat außerdem gar nicht verhandelt, sondern das Deutsche Museum.
Finanzierung für das 365-Euro-Ticket: VGN macht dem Freistaat Druck
Wie zufrieden sind Sie denn mit der Arbeit des CSU-Oberbürgermeisters Marcus König? Hat er sich mit dem Mobilitätspakt und dem Ziel, ein 365-Euro-Ticket einzuführen, zu sehr festgelegt?
Söder: Marcus König ist ein sehr guter OB. Die Idee für das 365-Euro-Ticket stammt ja von mir. Daher freue ich mich, dass es so großen Anklang findet. Das heißt aber nicht automatisch, dass der Freistaat alles bezahlen muss. Wir haben schon jetzt riesige Summen beigesteuert, mit denen der Einstieg in das 365-Euro-Ticket möglich wurde.
Hilft der Freistaat beim 365-Euro-Ticket?
Das 365-Jahresticket im ÖPNV kann auf Dauer nur mit finanzieller Hilfe des Freistaats angeboten werden. Wie sind die Pläne des Freistaats?
Söder: Wir haben unsere Unterstützung für das 365-Euro-Ticket ja bereits in unserem Haushalt hinterlegt. Aber wir können die Kosten für Nürnberg nicht einfach übernehmen. Das ist eine Frage für ganz Bayern und muss auch noch im VGN geklärt werden. Im Übrigen wird man in den nächsten Jahren die finanziellen Folgen von Corona beachten müssen. Denn die Pandemie hat die Haushalte kräftig durcheinandergewirbelt.
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Letztes Jahr hat der Freistaat nahezu alle Zusatzkosten für die Kommunen ausgeglichen. Wie der Bund kann auch Bayern das alles nicht endlos finanzieren. Auch Nürnberg muss überlegen, wo Prioritäten und Schwerpunkte sind.
Es gibt viel Kritik vonseiten der Eltern und Schüler am Unterricht in Zeiten von Corona. Sind Sie mit der Arbeit Ihres Kultusministers zufrieden?
Söder: Schulpolitik führt nicht zwangsläufig zu Begeisterung. Wir können nur versuchen, es so gut wie möglich zu machen, und im besten Sinne der Schülerinnen und Schüler zu handeln. Der Distanzunterricht vor Weihnachten war mangelhaft. Das musste besser werden – und es ist besser geworden. Der Distanzunterricht scheint an weiterführenden Schulen nun sogar so gut zu laufen, dass sich Abiturienten eine Verlängerung wünschen. Bei den Grundschülern ist der Distanzunterricht schwieriger. Wir werden unabhängig von Corona die Digitalisierung in der Schule weiter voranbringen müssen.
Abiturienten verweigern Präsenzunterricht
Nicht als Ersatz für den Präsenzunterricht, sondern auf Dauer als Ergänzung. Der Distanzunterricht könnte künftig mehr als Videokonferenz stattfinden. Bei der Digitalisierung hapert es in Deutschland mehr im Alltag als bei der Spitzenforschung. Das gilt für Schule, öffentliche Verwaltung oder auch für den Mobilfunk.
"Unser Platz ist in Mögeldorf"
Zum Abschluss wollen wir Sie noch mit einem Gerücht konfrontieren, das in der Stadt die Runde macht: Es heißt, Sie würden mit Ihrer Familie nach Röthenbach oder Rückersdorf umziehen. Was sagen Sie dazu?
Söder: Das habe ich auch schon gehört. Wieder so eine Fake News. Natürlich bleiben meine Frau und ich in Nürnberg wohnen. Man könnte es so sagen: Unser Platz ist in Mögeldorf. (lacht)
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