Umweltsünde Avocado: Darf man die grüne Frucht noch essen?
20.9.2019, 14:39 UhrAus Hipster-Cafés, Sushi-Lokalen und veganen Kochbüchern ist sie nicht mehr wegzudenken: Die Avocado gilt als "Superfood". Die weltweite Nachfrage ist seit den 1990er Jahren explodiert, hat sich allein in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt verdreifacht.
"Ohne diese Statistik zu kennen, kann ich diese Zahlen aus unserem Laden bestätigen", sagt Ulrike Wolf, Gesellschafterin der alteingesessenen Nürnberger Lotos-Naturkostläden. Noch vor einer Generation wussten höchstens grüne Freaks etwas mit der weder süßen noch pikanten Riesenbeere anzufangen. "Ab den 2000er Jahren hat die Avocado dann einen steilen Weg nach oben genommen", sagt Wolf. Nach ihren Produktionsbedingungen, gesteht sie, erkundige sich bisher aber kein Kunde.
Durstige "Rassekatze von Frucht"
Tausende Kilometer entfernt von den feinen Avocado-Salaten hat der Appetit darauf ganze Ökosysteme ins Ungleichgewicht gestürzt. Denn die Tropenfrucht ist ein Ressourcenfresser, wärme- und extrem wasserbedürftig. Als "Rassekatze von Frucht" bezeichnete sie einmal die "Zeit". Ein Kilo davon verbraucht bis zur Ernte schätzungsweise 1000 Liter – damit übertrifft die Pflanze viele Obst- und Gemüsesorten. In trockenen Anbaugegenden wie Mexiko, Israel oder Südafrika fehlt dieses Wasser dann der Bevölkerung.
In der Provinz Petorca in Chile hat sich dieses Problem dramatisch zugespitzt. Flüsse sind versiegt, Wüsten wachsen, und die Einwohner sitzen auf dem Trockenen – weil die Großbauern Wasser entweder illegal abzweigen oder aufgekauft haben.
Weniger ist mehr
"Wenn ich Europäer wäre", so zitiert eine ARD-Reportage den chilenischen Wasserrechts-Aktivisten Rodrigo Mundaca, "und wüsste, mit welchen Konsequenzen die Avocados, die ich esse, produziert werden, glaubt mir, ich würde keine Avocados mehr essen." Andererseits weiß der Agraringenieur auch, dass ein Boykott Chile, dem drittgrößten Avocado-Produzenten der Welt, nicht automatisch hilft. Mundaca plädiert vielmehr für maßvolleren Anbau.
Aus Sicht von Frank Braun vom Nürnberger Nachhaltigkeitsverein Bluepingu gibt es so lange für Kunden in Deutschland nur einen Rat: Mäßigung und Selektion. Wer seinen Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit leisten wolle, könne Avocado zum einen "als besonderen Genuss und nicht täglich" nutzen, sagt Braun. Zum anderen empfehle es sich, Bio-Ware zu wählen, beispielsweise aus Spanien, wegen der kürzeren Transportwege. Er selbst kaufe zudem keine gereiften Avocados, sondern lasse sie daheim reif werden. Die Früchte kommen immer unreif in Europa an, wo sie in den Niederlanden in Hallen nachreifen. Ihre komplizierte Temperierung und Begasung verbrauchen enorm viel Energie.
Ähnlich antwortet Nicole Scharrer vom Nürnberger Menschenrechtszentrum. "Weniger ist mehr." Hohe Nachfrage verschiebe die Produktionsbedingungen zum Unguten. Wer verantwortungsvoll einkaufen wolle, komme nicht umhin, sich über die Herkunft im Laden zu informieren. In der Praxis oft ein mühsames Unterfangen. Allerdings gebe es durchaus Positivbeispiele für weniger schädlichen Anbau. Nicole Scharrer führt das Hochland von Kenia an: Hier wüchsen die Avocados größtenteils bei Kleinbauern heran, ohne Chemikalien und künstliche Bewässerung. Das Land sei dort fruchtbar und regenreich.
Peru ist besser, Mexiko schlechter
Auch der Nürnberger Umweltreferent Peter Pluschke (Die Grünen) plädiert für einen Mittelweg. Es gebe keinen Anlass, die Avocado als "böse Frucht" zu verdammen, sofern man sie in den feuchteren Gebieten Mittelamerikas kultiviere. Dort, "irgendwo zwischen Kolumbien und dem Süden Mexikos", liege ihr natürlicher Standort mit ausreichenden Regenmengen. Chile, wesentlich weiter südlich gelegen, ist dagegen ein Trockenland. Pluschkes Tipp: "Achte auf die Herkunft der Früchte und du kannst einschätzen, wie umweltverträglich die Produktion ist."