Wenn jede Sekunde zählt: Unterwegs mit dem Nürnberger Baby-Notarzt
17.08.2020, 06:00 Uhr
Es ist der Horror aller Eltern: Das Kind atmet nicht mehr. Mitte Januar bemerkte der ältere Sohn von Familie Weber (Name geändert), dass sein sechs Wochen alter Bruder leblos und ohne Atemfunktion in seinem Bettchen lag. Sofort alarmierte er seine Eltern. "Der Kleine sah ganz entspannt und glücklich aus", erinnert sich der Vater. Doch er erkannte den Ernst der Lage und handelte in Sekundenschnelle.
Sofort begann er mit der Reanimation und drückte mit zwei Fingerkuppen in den kleinen Brustkorb. Parallel dazu rief seine Frau, die sich gerade um den Zwillingsbruder kümmerte, die Einsatzkräfte. Die Integrierte Leitstelle unterstützte den Vater telefonisch bei der Herzdruckmassage, bis acht Minuten später die Rettungssanitäter eintrafen.
Lebensrettendes Instrument
Kurz danach kam der Babynotarztwagen an den Einsatzort. Es waren knappe zehn Minuten, die dem Säugling das Leben retteten. Das Herz des Jungen fing wieder an zu schlagen, der drohende plötzliche Kindstod konnte gerade noch rechtzeitig verhindert werden. "Ich hatte danach vor Schreck einen Kreislaufkollaps", erzählt der Vater des Kleinen. "Auf so eine Situation ist man einfach nicht vorbereitet."
Frühchenstation: Leben retten an der Belastungsgrenze
Zwei Wochen verbrachte das Baby im Krankenhaus, bevor es wieder zurück zu seiner Familie durfte. Dass es keine Folgeschäden davonträgt, ist vor allem der schnellen Rettungskette zu verdanken. Der Vater ist sich sicher: "Ohne den Babynotarztwagen hätte unser Kind nicht überlebt."
Im vergangenen Jahr feierte der Babynotarztwagen 40-jähriges Jubiläum. 1979 etablierten die Johanniter den speziell ausgerüsteten Rettungswagen für Früh- und Neugeborene. In Notfällen wie dem der Familie Weber rückt zudem ein Kinderarzt mit aus. Dieser wird meist aus der Cnopfsche Kinderklinik an der Hallerwiese dazugerufen, auch das Klinikum Nürnberg und das Fürther Klinikum unterstützen die Einsätze.
Auf den ersten Blick sieht das Fahrzeug aus wie ein gewöhnlicher Notarztwagen mit grellen orangen und gelben Kacheln. Schaut man jedoch genauer hin, erkennt man außen den Schriftzusatz "Baby". Innen ist der Unterschied sofort klar: Wo sonst die Transportliege fest verankert ist, steht ein Inkubator mit mehreren Monitoren, dahinter einige Sauerstoffflaschen.
Frühchenstation: Leben retten an der Belastungsgrenze
Dämpfung für den Schutz
Unter dem Inkubator sorgt eine spezielle Dämpfung für den Schutz der Säuglinge. Schon kleine Schlaglöcher können den zarten Köpfen extreme Schäden zufügen. Beatmungsgeräte mit nur fingergroßen Masken, eine Liegefläche mit Infrarotlampe, Babyschalen – die Sonderanfertigung des Notarztwagens ist mit allen wichtigen medizinischen Geräten für die kleinen Patienten ausgestattet.
Das Rettungsfahrzeug ist hauptsächlich bei Komplikationen rund um die Geburt im Einsatz. Wenn beispielsweise ein Frühchen in einem Krankenhaus geboren wird, das nicht über die Technik verfügt, den Winzling selbst intensivmedizinisch zu betreuen, rückt der Baby-Notarztwagen an. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche – das Modell ist in Bayern einzigartig.
Besonders die Cnopfsche Kinderklinik pflegt einen engen Kontakt zu den Johannitern. Bevor die Notfallsanitäter den Babynotarzt-Wagen fahren dürfen, hospitieren sie zwei Wochen in der Neonatologie der Klinik und lernen den Umgang mit Säuglingen. "Für mich ist es ein Ritterschlag, den Wagen fahren zu dürfen", sagt einer der beiden Rettungssanitäter von den Johannitern.
Einsätze in der Metropolregion
Rund 200 bis 250 Mal im Jahr rückt der Wagen aus. Die Einsatzkräfte übernehmen Notfälle aus Nürnberg, Erlangen oder Fürth, teilweise fahren sie sogar bis nach Weißenburg oder Neustadt an der Aisch.
Professor Michael Schroth, Chefarzt der Neonatologie der Cnopfschen Kinderklinik, betont den besonderen Teamgeist seiner Mitarbeiter. "Das Engagement ist das Entscheidende", sagt er. Ohne den Zusammenhalt der Belegschaft würde das ganze System nicht funktionieren, ist sich Schroth sicher.
Die Transporte seien immer gewährleistet, egal wie gut oder schlecht die personelle Lage im Haus gerade sei. "Die Jungs von den Johannitern sind sehr flexibel, die holen einen Arzt auch mal von zu Hause ab, wenn es schnell gehen muss", lobt er die Notfallsanitäter.
Kinderstationen in Bayern geschlossen: So ist die Lage in Franken
Der Baby-Notarztwagen ist seit vier Jahrzehnten ein fester Bestandteil des Nürnberger Rettungsdienstes und wird, wie jeder andere Wagen auch, vom Rettungsdienst Bayern finanziert. In Deutschland gibt es nur in vereinzelten Städten ähnliche Fahrzeuge.
Wie wichtig er im Notfall ist, zeigt sich besonders im Fall der Familie Weber. Sie konnten sich gleich zwei Mal auf ihn verlassen. Die Zwillingsjungs kamen Anfang Dezember, vier Wochen zu früh, zu Hause in St. Jobst zur Welt. Auch hier war der Baby-Notarztwagen innerhalb weniger Minuten vor Ort und brachte Mutter und Kinder wohlbehalten in die Cnopfsche Kinderklinik.
Die Familie erfuhr erst später, dass ein solches Auto gar nicht zur Standardausstattung eines Krankenhauses gehört. "Ich war entsetzt, als ich davon gehört habe. Ich bin davon ausgegangen, dass jede Klinik darüber verfügt", sagt der Vater. Er und seine Frau haben sich davor nie Gedanken darüber gemacht: "Wir waren ganz unbedarft. Jetzt wissen wir: Das hätte auch ganz anders ausgehen können."
Erste-Hilfe-Kurs in der Kinderklinik
Mittlerweile ist bei Webers wieder etwas Ruhe eingekehrt. Der kleine Patient erholt sich weiter. Die beiden älteren Kinder verarbeiten das Geschehene spielerisch, aus Legosteinen bauten sie ein Krankenhaus und besuchten mit ihren Eltern einen Erste-Hilfe-Kurs in der Kinderklinik.
"Erste Hilfe ist bei kleinen Kindern ein ganz anderes Paar Stiefel", sagt er. Den Rettungskräften und dem Team der Neonatologie ist er dankbar, dass beide Male alles glimpflich ausgegangen ist. Er hofft, dass der Baby-Notarztwagen auch weiter für Säuglinge in der Region da ist.
Rund um die Uhr ist der Baby-Notarztwagen einsatzbereit. Auf so eine Situation ist man einfach nicht vorbereitet. Wir wissen jetzt: Das hätte auch ganz anders ausgehen können.
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7 Kommentare
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ohweh
@gomer: dann ist die Bezahlung ja gewiss nicht so mies wie manch es darstellen möchten.
Ich kenne sehr, sehr viele Berufe die da deutlich drunter liegen.
Klar - es könnte immer noch etwas mehr sein, das denken sich auch die Milliardäre.
Aber man liegt hiermit im Mittelfeld was die Kohle betrifft. Das sollten die Rettungsdienstler auch mal zu hören bekommen, nicht immer nur alles negative Stimmung machende.
ohweh
@waldgeist75: gottseidank brauche ich aktuell weder Altenpflegerin noch Feuerwehr oder Sanitäter. Das kann sich aber alles schnell ändern.
Ich denke mal, die meisten würden gern mal 20 meter oder sogar 50 meter laufen - nur da stehen die dann genauso verboten. In der Fürther Innenstadt, ich glaube es war in der Nähe vom Mariensteig gewesen stand die gute. Etwas weiter standen welche von der Polizei, ein bissler noch weiter welche vom Radio. Die üblichen Verdächtigen waren allerdings nicht zu erkennen, daher meine provokannte Frage nochmal: wen wolle man da dann abschleppen?
Und, informieren Sie sich mal bitte über die Umstände der moibil pflegenden und dann versuchen Sie das mal selber nachzusimulieren. Sie würden kläglich scheitern. Und.... der "Egoismus" - welche der vorstehend genannten Autos wurden von Egoisten gefahren?
Damit auch mit keiner falsch versteht - ich bin immer kurz davor mich als Denunziant zu betätigen, wenn an der ehem. Pflisterschule ein Testosteroni bewusst auf dem schraffierten Feld parkt, locker lässig aussteig und nichts ausser sich selbst zum Haus gegenüber bringt und dann mit dem selben schweren Equipment wieder zum Auto zurückhoppelt.
Da kann man gerne gleich abschleppen. Und wenn es der "Michel" ist, der auch nix zu schleppen hat ebenso.
Waldgeist75
@oweh
Dann die Parksituation - habe gestern mal wieder so Kurvenparker gesehen. U. a. auch von einer der anerkanntesten Hilfsorganisation Deutschlands eine mobile Altenpflegerin. Soll die dann auch abgeschleppt werden?
Ja, warum nicht? Unterliegen sie den so genannten Sonderrechten? Bislang nicht, könnte man aber ändern. Oder wenn man aber die Zahl der zugelassenen Fahrzeuge pro Haushalt (ausgenommen es stehen entsprechend Parkflächen auf Privatgrund zu Verfügung - Hof, Garage etc) anpasst, haben auch die mobilen Krankenpfleger mehr Platz. Abgesehen davon, ist dieser Personengruppe auch mal ein Weg von 20m mehr zuzumuten. Es geht da nicht direkt um Leben und Tod.
Und wenn sie mal in einer Einfahrt stehen, ist das wohl mehr zu verantworten, als wenn ein Rettungsweg komplett "dicht gemacht wird".
Damit mich niemand falsch versteht... Ich mag Autos, respektiere aber auch die einschlägigen Vorschriften und "verlange" lediglich dass der Egoismus und die immer mehr einschleichende Faulheit mancher Verkehrsteilnehmer entsprechend belohnt wird und mancher Verkehrsteilnehmer zum Nachdenken angeregt wird. Und das geht nur mit dem Geldbeutel oder mit dem "liebsten Kind" - dem Auto.
Man muss nicht immer direkt ins Wohnzimmer fahren (siehe auch Helikopter-Eltern).
Ein Knöllchen wg Parken habe ich in fast 30 Jahren nur 1x bekommen. Und das hab´ ich mir gemerkt.
Gomer
@ oweh,
Die Bezahlung im Rettungsdienst ist noch schlechter als im Krankenhaus: je nach Organisation nach TVÖD oder AVR Stufe 6 - 8, entsprechend Qualifikation.
Im Krankenhaus kann man bis Stufe 9 verdienen, als Stationsleitung je nach Anzahl der Mitarbeiter bis Stufe 12.
ohweh
Wir können über jeden froh sei, der uns in solchen Notsituatinen hilft froh sein.
Ebenso wie wir über jeden froh sein können, der uns mit Essen, Stom, Frischwasser usw. versorgt.
Nun haben meine zwei Vorkommentierenden Fragen in den Raum gestellt die ich aufgreifen will:
sind die Rettungskräfte wirklich schlecht bezahlt (hier weiß ich es wirklich nicht). Es gab ja lange das Vorurteil, dass Erzieherinnen schlecht bezahlt seien - die NN hat das ja in einem Artikel neulich widerlegt. Und das war schon mal gut so.
Dann die Parksituation - habe gestern mal wieder so Kurvenparker gesehen. U. a. auch von einer der anerkanntesten Hilfsorganisation Deutschlands eine mobile Altenpflegerin. Soll die dann auch abgeschleppt werden?
Wie stellt man sich - seitens der Kommentierenden - das so vor mit dem Abschleppen? Wer, wer nicht etc.?