Nach ihrer Wahl war Benigna Munsi überwältigt. "Es ist unbeschreiblich. Ich bin megaglücklich", sagte die 17-jährige Gymnasiastin. Neben Schauspielerin wollte sie das schon immer werden: Nürnberger Christkind. "Ich wollte immer Christkind werden, seit ich nicht mehr ans Christkind geglaubt habe", betont sie und muss selbst lachen über diesen Widerspruch. Am Dienstag, den 12. November, zeigt sich Benigna erstmals im goldenen Gewand der Christkindfigur, bevor sie am 29. November dann ihre wichtigste Aufgabe erfüllen wird, den "Christkindlesmarkt" von der Empore der Frauenkirche aus zu eröffnen.
Dabei wird sie den Prolog mit den traditionellen Worten beginnen: "Ihr Herrn und Frau’n, die Ihr einst Kinder wart, Ihr Kleinen, am Beginn der Lebensfahrt, ein jeder, der sich heute freut und morgen wieder plagt: Hört alle zu, was Euch das Christkind sagt!"
Benigna war in der vergangenen Woche von einer Jury zum neuen Christkind von Nürnberg gewählt worden. Zuvor hatte sie mit weiteren Bewerberinnen in Online-Votings und bei Zeitungslesern die meisten Stimmen auf sich vereint. Einen Tag später postete der AfD-Kreisverband München-Land auf seinem Facebook-Kanal Benignas Bild und schrieb darüber in Anspielung auf die Ureinwohner Amerikas: "Nürnberg hat ein neues Christkind. Eines Tages wird es uns wie den Indianern gehen." Hunderte Internetnutzer verteidigten die junge Frau daraufhin. Der AfD-Kreisverband löschte den Post und entschuldigte sich.
Zahlreiche christliche Symbolfiguren
Munsi ist gebürtige Nürnbergerin, ihr Vater ist indischer Herkunft und besitzt nach eigenen Angaben seit 20 Jahren ausschließlich die deutsche Staatsbürgerschaft, auch ihre Mutter ist Deutsche. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) sprach von der "hämischen Fratze des Rassismus", den die Rechtsaußenpartei als ihre Geisteshaltung immer gerne leugnen wolle. "Man könnte heulen über so viel Menschenfeindlichkeit", bemerkte Oberbürgermeister Ulrich Maly (SPD).
Aber woher kommt eigentlich die Figur des "Christkinds", was symbolisiert sie und warum muss es ein Mädchen sein? Zwischen den zahlreichen Gaben- und Heilsbringern Sankt Martin, Nikolaus, Weihnachtsmann, Santa Claus, den drei Heiligen Königen und dem Jesuskind ist es gar nicht leicht, den Überblick über die christlichen Symbolfiguren an Weihnachten zu behalten.
Das Christkind verdankt seine Entstehung Martin Luther. Anstelle des Nikolaus ließ der Reformator im Hause Luther seine Kinder vom "Heiligen Christ" bescheren. Mit der Abkehr von der katholischen Heiligenverehrung entstand daraus das Christkind, das vor allem in protestantischen Regionen zum gabenbringenden Wesen wurde. Das Jesuskind in der Krippe wich einer erwachsenen Figur, die wie zuvor der Nikolaus den Kindern gegenüber auch eine mahnende Aufgabe hatte. "Sie übernahm Merkmale des Verkündigungsengels und der Heiligen Lucia. Auch die weiblichen Elemente der Maria sind eingegangen", erklärt die Volkskundlerin Susanne von Goessel-Steinmann, warum das Christkind immer als mädchenhafte Figur erscheint.
In Nürnberg verschmolz das Christkind mit dem Weihnachtsengel zu einem engelähnlichen Wesen in goldenem Gewand mit blonden Locken und goldener Krone, wie Stadtsprecher Siegfried Zelnhefer erläutert. Die hier ansässigen vielen "Dockenmacher" (Puppenmacher) und Metallschläger machten die Figuren zu den Rauschgoldengeln, die bis heute typisch sind für Nürnberg und seinen Christkindlesmarkt. Jede gewählte Nürnbergerin schlüpfe deshalb nicht nur in die Rolle, sondern auch in die Hülle des Nürnberger Christkinds, sagt Zelnhefer.
Auch Benigna wird daher wie ihre Vorgängerinnen ein goldenes Gewand und eine goldene Krone bekommen - und eine blonde Perücke, unter der ihre langen schwarzen Haare verschwinden werden. "Es ist eine künstliche Figur, die immer dieselbe ist und wiedererkennbar sein soll", sagt Zelnhefer. Unverrückbar sei daher auch die Festlegung auf ein Mädchen. "Über die Frage, ob das Christkind nicht auch ein Junge sein kann, hat es schon einmal eine Diskussion gegeben", erinnert er sich. Vor etwa 30 Jahren habe sich ein Junge mit langen blonden Haaren um das Amt beworben, unterstützt von einer Boulevardzeitung. Aber es nützte nichts. Die Statuten waren dagegen.
Heute ist das Christkind eine feste Marke und die vielleicht wichtigste Botschafterin der Stadt. Die Eröffnung des Christkindlesmarkts vor rund 20.000 Menschen auf dem Nürnberger Hauptmarkt übertragen Fernsehsender aus aller Welt. Eine Untersuchung habe gezeigt, dass Nürnberg neben Lebkuchen und Bratwürsten, seinem mittelalterlichen Gepräge und seiner NS-Vergangenheit am meisten mit dem Christkind assoziiert werde, so Stadtsprecher Zelnhefer.