Nürnberg als Zentrum: So will Bayern mit Wasserstoff durchstarten

Christina Merkel

THEMENTEAM FAMILIE, (HOCH-)SCHULE UND BILDUNG

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01.06.2020, 05:49 Uhr
Diese beiden Flaschen enthalten einen flüssigen, organischen Wasserstoffträger, auf Englisch "liquid organic hydrogen carrier“ (LOHC).

© Foto: Timm Schamberger, dpa Diese beiden Flaschen enthalten einen flüssigen, organischen Wasserstoffträger, auf Englisch "liquid organic hydrogen carrier“ (LOHC).

"Wasserstoff ist der Energieträger der Zukunft und wird die Arbeitsplätze der Zukunft generieren", sagt Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW). Am Dienstag hat das Kabinett im Landtag das Strategiepapier verabschiedet. Am Mittwoch sollte der Bund nachziehen – hat dann aber abgesagt. "Das hier ist auch ein Appell von Bayern nach Berlin: Kommt endlich in die Pötte, die Zukunft beginnt heute und nicht in fernen Jahren", sagt der Minister.


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Im September haben sich 35 Partner aus der Forschung, Unternehmen und Kommunen in Nürnberg zu einem Wasserstoffbündnis zusammengeschlossen. Die Geschäftsstelle des H2.B sitzt am Energiecampus auf dem ehemaligen AEG-Gelände an der Fürther Straße. "Wir wollen die Bereitschaft zur Transformation nutzen, Wirtschaft und Wissenschaft haben hier große Expertise", sagt Veronika Grimm, die dem Zentrum vorsteht und erst vor kurzem zur "Wirtschaftsweisen" berufen wurde. Mit den Partnern hat sie das Positionspapier erarbeitet, das als Grundlage der bayerischen Strategie dient.

Zehntausende Arbeitsplätze in Bayern?

Die Ziele sind groß. Bayern soll nicht weniger als Weltmarktführer für Wasserstofftechnologien werden. "Wasserstoff ist die eierlegende Wollmilchsau, nach der wir gesucht haben", sagt Aiwanger. "Damit tun wir unserer Umwelt gut und unserer Wirtschaft." Zehntausende Arbeitsplätze sollen so in Bayern entstehen und vor allem auch erhalten bleiben.


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Die Automobilindustrie und ihre Zulieferer schwächeln. Die Umrüstung soll helfen. "Mit der neuen Technik sind Alternativen möglich, um nicht schließen zu müssen oder die Fertigung gen Osten zu verlegen", erklärt der Wirtschaftsminister. Das Siegel "Made in Bavaria" werde helfen, "unsere Qualität in aller Welt zu vermarkten".

Bayerische Forscher sollen dafür die nötigen Technologien entwickeln, bayerische Firmen sollen sie in alle Welt bringen. Der Wasserstoff soll den umgekehrten Weg gehen und aus der ganzen Welt nach Bayern kommen. "Wir brauchen mehr Wasserstoff, als wir in Deutschland herstellen können", sagt Aiwanger. Noch immer über die Herstellung zu streiten, wie es auf Bundesebene geschehe, sei unsinnig. "Das wäre, als wenn in Deutschland nur Autos fahren dürften, die wir mit Öl aus Deutschland betanken können."

Unis überwinden Rivalität

Stattdessen sollen Länder wie Island, Schottland, Spanien, aber auch Russland oder Marokko, Chile und Australien günstig Energie aus Wind- und Sonnenkraft produzieren und vor Ort durch Elektrolyse im Wasserstoff speichern. Per Pipeline und Tankschiff kommt der Energieträger dann nach Deutschland. "Die Technologie dafür haben wir, die Wende gelingt aber nur, wenn weltweit alle Akteure mitziehen", fordert Aiwanger.

Nord- und Südbayern sollen vormachen, wie das geht. Die Universität Erlangen-Nürnberg und die Technische Universität München überwinden ihre Rivalitäten und arbeiten für den Wasserstoff zusammen. "An beiden Unis werden Professuren strategisch so besetzt, dass sie sich gemeinsam im weltweiten Wettbewerb erfolgreich positionieren können", sagt Peter Wasserscheid. Der Inhaber des Lehrstuhls für Chemische Reaktionstechnik in Erlangen ist Direktor am Helmholtz-Institut für Erneuerbare Energie und ebenfalls im H2.B-Vorstand. "Passend zum industriellen Umfeld sollen in Erlangen die Schritte aus der Forschung hin zum Prototypen beschleunigt werden, München setzt vor allem auf Anwendungszentren und Zertifizierungsstellen."

Die Grundlagen sind geschaffen, der große Maßstab fehlt noch. 65 Millionen Euro sind zuletzt bereits in die Wasserstoff-Forschung in Bayern geflossen. Weitere 50 Millionen Euro stehen im Haushalt, um das Tankstellen-Netz auszubauen. Jeder Landkreis soll in den kommenden zwei Jahren eine haben – zunächst vor allem für Busse und Lkw. "Die Herausforderung ist es, alle Komponenten zeitlich abgestimmt voranzubringen", sagt Grimm. Ohne Zulieferer kein Auto, ohne Auto keine Tankstellen – aber das gilt auch umgekehrt.

Die Debatte um Wasserstoff- versus Elektro-Auto will Aiwanger beenden. "Wir brauchen beides, um vom hohen CO2-Ausstoß wegzukommen", sagt er. "Unsere Strategie ist es, unseren Wissensvorsprung in Bayern zu nutzen und weiter auszubauen." Beim Wasserstoff-Gipfel auf dem Nürnberger Messegelände am 18. November sollen die Projektpartner diesen Vorsprung sichtbar machen.

19 Kommentare

SchorschClooney

@Outsider...
Danke. Geht doch. Auch ich bin der Meinung, dass H2 in der jetzt sichtbaren Zukunft für viele große Themen besser geeignet ist als für Autos.
Forschen macht trotzdem Sinn.

Outsider64

Der Begriff Ergebnisoffen wird leider viel zu oft missbraucht. Klar muss man für jede Technologie offen sein und darf nicht zu Gunsten einer schlechteren tendieren, nur weil es irgendwelche Lobbyisten durchsetzen. Leider wird "ergebnisoffen" aber auch oft von Leuten genutzt, die nicht verstehen warum eine Technologie aus physikalischen Gründen eben nicht funktionieren KANN, bzw. technisch immer unterlegen sein wird. Das ist als ob man sagen würde ich nehm nicht den Flieger von Berlin nach München, ich mache einfach einen kräftigen Sprung, stärker als alle anderen zuvor, wenn man nicht daran glaubt und man es nicht probiert wird man es nicht sehen ob es funktioniert. Jeder der etwas davon versteht aber halt dass man sich den Versuch sparen kann...

Elfilein

Vielleicht sollten wir es uns mal wieder angewöhnen, dass die Wissenschaft ergebnisoffen forschen muß. Das ist leider in Zeiten der aktuellen Kanzlerin etwas zu kurz gekommen. Wer vom Ende her denkt und sich eine bestimmte Energiequelle als Alleinigseeligmachende wünscht, liegt in der Regel daneben. Wasserstoff hat eine Zukunft. Der wird aber aller Voraussicht nach nicht aus deutschem Ökostrom Verbreitung finden. Brennstoffzellenautos werden sich nicht durchsetzen, es sei denn der Staat steigt "lenkend" über Steuern, etc. ein.

Outsider64

Das mit der Bildung mag etwas hart klingen, aber wenn Leute hier davon reden dass Wasserstoff Energie wäre, dann zeigt das doch dass sie das Grundprinzip schon nicht verstanden haben. Um es mal zu erklären: Wasserstoff ist wie Sepp schon korrekt schrieb ein ENERGIETRÄGER. Wie Benzin auch. Wasserstoff kommt nicht von nichts. Er wird aktuell meist aus Erdgas hergestellt mit Aussicht darauf dass irgendwann große Mengen per Elektrolyse aus Ökostrom hergestellt werden könnten. Trotzdem ist es so dass eben sehr große Mengen vom Strom nötig sind und verloren gehen bis er am Elektromotor des Brennstoffzellenautos ankommt durch die mehrfache Wandlung/Kühlung/Transport/Kompression. Wenn ich den Strom in Batterien von Elektroautos lade, dann komme ich mit dem gleichen Strom fast 5 mal so weit. Wo also soll der Fünffache Strom her kommen? Wo es doch schon genügend Leute die behaupten wir wären garnicht in der Lage den ganzen Verkehr hier auf Elektro umzustellen, weil nicht genügend Strom da wäre... Und denkt ihr den kann man ohne Ressourcenaufwand herstellen? Auch wenn Solarzellen und Windkraft sehr effizient sind was das Verhältnis zwischen investierter Energie zu abgegebener Energie während der Lebensdauer betrifft, die müssen trotzdem hergestellt werden und irgendwo hin gestellt und in Betrieb gehalten werden.
Niemand behauptet, dass aktuelle E-Autos der Weisheit letzter Schluss sind, aber das entwickelt sich doch auch weiter. Wasserstoff tanken dauert ne viertel Stunde, in der Zeit kann man mit aktueller Technik immerhin schon Strom für etwa 200 km laden und es wird noch besser. Obwohl das für viele Anwendungsfälle eh keine Rolle spielt. Viele Leute stecken einfach daheim an wenn sie heim kommen und in der Früh wenn sie weg fahren wieder aus. Das Auto ist immer voll und man muss nie zum Tanken fahren.
Und ja: bei allem was der Mensch so treibt wird irgendwo die Umwelt beeinflusst. Aber es gibt mehr als genügend Rohstoffe für die Akkus. Und das beste daran: während bei Verbrennern hinterher der Rohstoff einfach weg, weil verbrannt ist, ist beim Elektroauto der Akku mit allen Rohstoffen noch da. Wenn das Auto mal verschrottet wird kommt der Akku raus, wird vielleicht nochmal 10 Jahre als Stationärspeicher genutzt und danach werden alle Rohstoffe wieder entnommen und neue Akkus daraus gebaut.
Noch ein kleiner Denkanstoß für Leute die die Situation realistisch sehen: den e-Golf den ich bestellt habe, gab es bis vor kurzem noch ab 16.400 Euro neu ab Werk. Mit LED-Scheinwerfer, Automatik, Komfortsitze, beheizbare Windschutzscheibe, großes Discover Pro Navi, Standheizung, Zweizonenclimatronic, … Eine Wartung kostet bei dem Auto etwa 130 Euro. Auch wenn man reell nur 200 km damit schafft, als Pendlerauto ist das doch optimal. Die PV Anlage auf meinem kleinen Einfamilienhäuschen produziert jährlich Strom für 60.000 km elektrisches Fahren zum Preis von weniger als 3 Cent/kWh, der Verbrauch des Autos liegt bei etwa 15 kWh/100km. Vergleicht diese Wartungs- und Energiekosten mal mit Verbrennern... Da die Anlage weit mehr produziert als ich verfahre, kann ich fast meine kompletten gefahrenen km damit abdecken, außer im Winter könnte es mal knapp werden. Aber auch dann werden die Energiekosten nie teurer als Diesel, die Steuer hingegen entfällt. Ebenso Zahnriemen, Ölwechsel, Auspuff, Kupplung, Schalt-/Automatikgetriebe, Turbo, Lima, Einspritzung, Zündung, … TÜV kostet weniger weil keine AU.

Sepp475

Sorry für den zweigeteilten Post, hab mich vorhin verklickt. der Anfang von meinem Kommentar ist etwas weiter unten :)
, in Zukunft wird es aber zwingend notwendig sein, solche Speicher ins Netz einzubauen, da Batterien nicht die nötige Kapazität bieten können. Ein solches Konzept würde mit Batterie-PKW, nicht wasserstoffgetriebenen Fahrzeugen, funktionieren.
2. Das Volumen eines Wasserstofftanks ist deutlich größer als das eines vergleichbaren Dieseltanks. Dadurch hat z.B. der Mirai einen deutlich kleineren Kofferraum als sein Pendant mit Verbrennungsmotor. In der Praxis stellt das eine deutlich größere Einschränkung dar als das hohe Gewicht eines E-Autos.
3. Der "saubere" Wasserstoff im Vergleich zur "schmutzigen" Batterie ist nur ein Mythos. Wasserstoffautos benötigen ebenfalls eine moderat dimensionierte Batterie, da die Brennstoffzelle selber ihre Leistung nur langsam anpassen kann und deswegen ein Puffer zwischen ihr und dem Motor eingebaut werden muss. Auch die Zelle selber enthält verschiedenste ungesunde Materialien, allen voran der Platinkatalysator, der das Herzstück der Brennstoffzelle darstellt. Dieser muss aktuell übrigens alle paar Jahre ausgetauscht werden, weil der derzeit aus Erdgas (!) gewonnene Wasserstoff einigen Kohlenstoff enthält, der den Kat vergiftet.
4. Die in Kalifornien sehr gut besuchten Wasserstofftankstellen haben immer wieder das Problem, dass sie nach mehreren Tankvorgängen so viel Druck verloren haben, dass der nächste Wagen über 10 Minuten warten muss, bis der Druck wieder hergestellt wird. Der Tankvorgang dauert übrigens auch länger als bei einem Verbrenner. Jedes Auto, das mit Druckwasserstoff betankt wird, wird in Zukunft an vollen Tankstellen dieses Problem haben. Die Fahrzeuge mit Flüssigwasserstoff hingegen haben ein noch viel größeres Problem: Der Wasserstoff verdampft im Tank mit der Zeit. Wenn das Auto einige Wochen abgestellt wird (z.B. Urlaub), ist der Tank komplett leer, wenn man zurückkommt.
5. Die einzige Lösung für die Transportprobleme aus 4. sind die im Artikel erwähnten LOHCs, also Trägersubstanzen, die sich einfacher handhaben lassen als Wasserstoff selbst. Bei Verwendung dieser Substanzen kommen aber noch zwei weitere, verlustreiche Prozesse dazu, die bei kleinen Anlagen (Auto) nicht wirtschaftlich sind.
Da ist es geschickter, den Wasserstoff in einem weiteren Prozesschritt mit CO2 zu Methan (Erdgas) reagieren zu lassen, dieses ins bestehende, deutschlandweite Erdgasnetz einzuspeisen und die Autos, für die eine Batterie keine Option ist, mit CO2-neutralem Erdgas aus Überschussstrom zu betanken. Erdgasmotoren sind eine bewährte und seit Jahrzehnten erfolgreich eingesetzte Technik, die zum Beispiel für Busse, LKW, Landwirtschaft und Baumaschinen eine sinnvolle Alternative zur Batterie wäre. Der Gesamtwirkungsgrad ist zwar niedriger als beim Wasserstoff, dafür ist die Handhabung viel einfacher und die Antriebe deutlich billiger.