Wolfgang P. vor Gericht
"Reichsbürger"-Prozess: Die Fakten und Hintergründe
18.10.2017, 21:00 UhrIm September feierte Wolfgang P. seinen 50. Geburtstag, er verbrachte ihn hinter Gittern. Am 19. Oktober 2016 wurde er festgenommen – seither sitzt er in U-Haft. Sollte er wegen Mordes und versuchten Mordes in drei Fällen, so der Vorwurf von Staatsanwalt Matthias Held, verurteilt werden, gingen die Gefängnistore kaum vor seinem 70. Geburtstag wieder für ihn auf. Eine lebenslange Haftstrafe in Bayern bedeutet fast 22 Jahre hinter Gittern, wird die besondere Schwere der Schuld festgestellt, sind es 23 bis 25 Jahre.
Fahrlässige Tötung, Totschlag oder Mord: Laut Anklage fasste P. seinen Mordplan mindestens zwei Monate vor der Razzia. Er habe möglichst viele Polizisten töten wollen. Mit elf Schüssen feuerte er durch die geschlossene, teilweise verglaste Wohnungstüre auf die Beamten. Die Verteidiger Susanne Koller und Michael Haizmann bestreiten jede Tötungsabsicht. P. habe geschossen, weil ihn die Razzia im Schlaf überraschte, die Polizei habe er nicht erkannt. Die Verteidigung strebt als Minimalziel eine Verurteilung wegen Totschlags an – fahrlässige Tötung, gefährliche Körperverletzung, das seien die Tatbestände, über die man allenfalls sprechen könne, so die Anwälte zu Prozessbeginn.
Fakten und Hintergründe
Mordmerkmale: Mörder ist, so heißt es in Paragraf 211 des Strafgesetzbuches unter anderem: wer aus "niedrigen Beweggründen" oder "heimtückisch" einen arg- und wehrlosen Menschen tötet. Wie arg- und wehrlos können geschulte SEK-Beamte sein, wenn sie 30 Kurz- und Langwaffen bei einem polizeibekannten Verdächtigen sicherstellen sollen? Und wie heimtückisch ist die Tat?
Termin am Tatort: Letzte Woche tagte das Gericht vor Ort. Im Haus in Georgensgmünd – es steht mittlerweile unter Zwangsverwaltung und ist unbewohnt – spielten SEK-Beamte verschiedene Lichtsituationen nach. Sinn und Zweck des Schauspiels: Es galt herauszufinden, wie gut das Blaulicht vor dem Haus zu sehen und wie deutlich das Martinshorn auch im Inneren des Hauses zu hören war, ob P. also den Polizeieinatz erkannte. Die Wahrnehmung ist unterschiedlich. In der Verhandlung stellte die Vorsitzende Richterin Barbara Richter-Zeininger fest, sie und ihre Kollegen hätten in allen Szenarien Blaulicht wahrgenommen. Die Verteidigerin hält dagegen, dass bei mehreren Lichtquellen kein Blaulicht mehr erkennbar war.
Umstrittener Polizeieinsatz: Die Verteidigung kritisiert die Razzia als dilettantisch. P. verließ regelmäßig das Haus, etwa um seine Selbstverteidigungskurse zu geben. "Man hätte ihn im Jogginganzug in seinem Studio abpassen können", so Anwältin Koller. Die Vizechefin der Polizei Roth – sie hatte das SEK angefordert – hält dagegen: Mitarbeiter des Landratsamtes hätten auf jeden Fall das Haus in Georgensgmünd betreten müssen, um P.s Waffen sicherzustellen. Weil sich P. gegen eine Überprüfung sperrte, galt er als unzuverlässig. Eine neue Waffenbesitzkarte erhielt er nicht und auch nach Aufforderung gab er die Waffen nicht ab. Sie habe nicht ausschließen können, dass P. auch außerhalb seines Hauses Waffen bei sich trägt, so die Polizeibeamtin. Einen riskanten Einsatz gegen den erfahrenen Kampfsportler im öffentlichen Raum wagte sie nicht.
Reichsbürger: Dass die Bundesrepublik Deutschland nicht wirklich existiert, erklärte P. immer wieder, die These ist bis heute auf seiner Facebook-Seite nachzulesen. Und er schmiedete einen Bündnispakt: In einem in Schnörkelschrift verfassten Papier versprachen sich das "Haus P." und das "Haus Ur" Unterstützung – "wirtschaftlich, politisch als auch militärisch". Bündnispartner des "Haus Ur" ist Adrian Ursache.
Adrian Ursache: Der ehemalige "Mister Germany" ist bekennender Reichsbürger – ihn hatte Wolfgang P. erst im August 2016 in Sachsen-Anhalt besucht. Am 24. August 2016 versuchte die Polizei, das Haus des selbst ernannten Königs des Staates "Ur" wegen einer Grundschuld zu räumen. P. war vor Ort, er hatte sich mit seinem Freund solidarisiert. Am 25. August, das SEK sollte die Räumung vollziehen, lieferte sich Ursache eine Schießerei mit den Beamten. Wegen versuchten Mordes steht Ursache derzeit vor dem Landgericht Halle.
Inspiration Ursache? Nur drei Tage vor der Razzia am 19. Oktober saß Wolfgang P. im Nürnberger FKK-Club Venezia. Dort erzählte er beim Poker-Spiel, dass er demnächst Besuch vom SEK oder der Polizei bekommen werde. Er kündigte an, dass er sich seine Waffen nicht einfach abnehmen lassen wolle. Dabei stieß er, so ein Zeuge, Drohungen wie "bei mir kommen die nicht rein, ein paar von denen nehm’ ich mit" aus.
Der "Mensch Wolfgang": Das Leben des 50-Jährigen begann mit einer ungeheuren Gewalterfahrung, wie Psychiater Michael Wörthmüller berichtet. P. war sieben Monate, als sich seine Mutter das Leben nahm und dabei versuchte, auch den Säugling zu vergiften. Heute sorgt sich P. seit Jahren schon vor Kriminalität und Übergriffen durch Institutionen, ebenso wie vor den Abgasfahnen von Flugzeugen, die er für "Chemtrails" hält, Chemiewolken also, mit denen Staaten angeblich um die Weltherrschaft kämpfen. 2001 warf ihn ein schwerer Verkehrsunfall aus der Bahn: Er erlitt ein Schädel-Hirn-Trauma und galt ein gutes Jahrzehnt lang als erwerbsunfähig. Der Psychiater hält ihn für voll schuldfähig.