Risiko für die Schifffahrt: Viele Schleusen in Bayern sind marode
27.8.2019, 05:49 UhrDie Wasserstraßen im Freistaat sind wie die Arterien im menschlichen Blutkreislauf. Wenn eine davon verstopft, droht dem gesamten System der Totalausfall. Ein beklemmendes Beispiel für dieses Phänomen ist die Schleuse Riedenburg, die in diesem Sommer zweimal innerhalb weniger Wochen durch Havarien beschädigt wurde und das fragile Verkehrsnetz kollabieren ließ.
Insgesamt ging über drei Wochen lang nichts mehr auf dem Main-Donau-Kanal, denn anders als im Straßennetz gibt es auf Bayerns Flüssen und Schifffahrtskanälen in der Regel keine Umfahrungsmöglichkeiten. Mehr als 200 Schiffe saßen tagelang fest, der wirtschaftliche Schaden geht in die Millionen.
Solche Szenarien könnten sich in den kommenden Jahren durchaus wiederholen, denn viele Bauten des deutschen Wasserstraßennetzes sind marode. Ein Großteil der Schleusen und Wehre im Freistaat hat seine technisch-wirtschaftliche Nutzungsdauer von 80 bis 100 Jahren bereits erreicht, einige Anlagen sind schon deutlich früher sanierungsbedürftig geworden oder müssen durch Neubauten ersetzt werden.
Viel Geld wurde gar nicht abgerufen
"Die Infrastruktur entlang der Wasserwege wurde jahrelang auf Verschleiß gefahren", kritisiert Fabian Spieß vom Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB). Wichtige Unterhaltungs- und Ausbaumaßnahmen seien von der Bundeswasserstraßenverwaltung nicht bedarfsgerecht umgesetzt worden.
"Rund eine Milliarde Euro pro Jahr sind für den reinen Unterhalt der Bauwerke an den deutschen Flüssen und Schifffahrtskanälen nötig, doch mehr als zehn Jahre lang wurden jeweils nur 650 bis 700 Millionen dafür im Bundeshaushalt eingestellt", schimpft BDB-Präsident Martin Staats. Und ein erheblicher Teil dieses Geldes sei von den Ämtern vor Ort gar nicht abgerufen worden, weil es ihnen an Ingenieuren fehle, die die entsprechenden Sanierungs- und Neubauprojekte planen und umsetzen können.
Rund 30 Prozent des Personals in der Bundeswasserstraßenverwaltung wurde in den vergangenen 25 Jahren abgebaut, und das rächt sich nach Staats’ Ansicht nun massiv. Mittlerweile habe zum Glück ein Umdenken stattgefunden, und es sei wieder mehr Geld für zusätzliche Stellen bewilligt worden. Im Mai dieses Jahres wurde außerdem im Bundesverkehrsministerium der "Masterplan Binnenschifffahrt" vorgestellt. Unter anderem soll hier geprüft werden, ob sich im Bundesverkehrswegeplan 2030 verankerte Wasserstraßenbauprojekte beschleunigt umsetzen lassen.
Zu wenige Ingenieure verfügbar
Martin Staats ist dennoch skeptisch: "Die Versäumnisse der Vergangenheit kann man nicht so schnell wieder korrigieren", sagt der Interessenvertreter der deutschen Binnenschiffer, der auch Vorstand der MainSchifffahrts-Genossenschaft eGmbH ist. Zudem würden Arbeitgeber um die sinkende Zahl von Fachkräften konkurrieren. Junge Ingenieure gingen lieber in die freie Wirtschaft als in den öffentlichen Dienst.
In Bayern ist unter anderem der Zustand der Kanalschleusen in Kriegenbrunn und in Erlangen kritisch. Beide Anlagen wurden zwar erst Anfang der 1970er Jahre in Betrieb genommen, doch schon wenige Jahre später waren erste Reparaturarbeiten nötig. Durch undichte Fugen drang Wasser und spülte Boden unter den Schleusen aus.
Inzwischen weiß man, dass diese frühere Bauweise ihre Tücken hat. Heutzutage fertigen Konstrukteure Schleusenkammern aus einem Guss und fugenfrei, und so wird in den kommenden Jahren auch der komplette Neubau dieser beiden Schleusenanlagen am Main-Donau-Kanal auf diese Weise realisiert werden. Beide Projekte werden jeweils mit deutlich über 200 Millionen Euro zu Buche schlagen, 2027 beziehungsweise 2028 sollen die Bauarbeiten abgeschlossen sein.
Die meisten Schleusen am Main wiederum sind zwar erheblich älter, doch angesichts höherer Materialstärken auch robuster. "Unsere Vorfahren haben da noch erheblich mehr Beton verbaut", sagt Marisa Schneider vom Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt Aschaffenburg. Nichtsdestoweniger ist man auch hier bei den jährlichen Inspektions- und Reparaturarbeiten nie vor bösen Überraschungen gefeit.
"Gewisse Bereiche an einer Schleuse bekommen Sie während des Betriebs nie zu sehen", erklärt Schneiders Kollegin Mareike Bodsch, die als Leiterin des Wasserstraßen-Neubauamtes Aschaffenburg für die Grundinstandsetzung oder eben den Ersatz maroder Bauten zuständig ist. Erst wenn die Schleusenkammer trockengelegt sei, kann man das Ausmaß der Schäden feststellen und entsprechend reagieren.
Totalausfälle drohen
Einmal pro Jahr wird die gesamte Main-Donau-Verbindung, also Main, Main-Donau-Kanal und Donau, für zwei bis drei Wochen gesperrt, damit dringende Reparaturen erledigt werden können – etwa die Instandsetzung von undichten Fugen oder der Wechsel der Schleusentore. Dennoch droht angesichts der vielerorts in die Jahre gekommenen Bausubstanz an einigen Schleusen immer wieder mal ein Ausfall, wie er in anderen Bundesländern in den vergangenen Jahren schon vorgekommen ist.
Noch kritischer sieht Mareike Bodsch den Zustand einiger Wehre in ihrem Zuständigkeitsgebiet. "Da haben wir ein ganz aufmerksames Auge drauf, denn da können die Folgen eines Ausfalls noch gravierender als bei einer Schleuse sein", erklärt die Expertin. Wenn ein Wehr defekt sei, dann werde unter Umständen nicht nur der Schiffsverkehr ausgebremst, sondern bei Hochwasser das umliegende Land überschwemmt.
Schlechte Noten für viele Anlagen
Der durch Bayern fließende Teil der Bundeswasserstraßen ist rund 700 Kilometer lang. Hierbei handelt es sich um 310 Kilometer am Main, 172 Kilometer am Main-Donau-Kanal und 213 Kilometer an der Donau. Für den Unterhalt dieser Abschnitte ist der Bund zuständig, dazu kommen einige bayerische Landesgewässer wie der Ludwigskanal, der Inn, der Lech und die Isar, für die der Freistaat verantwortlich ist.
Insgesamt gibt es in Bayern 49 Schiffsschleusen des Bundes, hiervon entfallen 27 auf den Main, 16 auf den Main-Donau-Kanal und sechs auf die Donau unterhalb von Kelheim. Außerdem muss sich die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung in Bayern um den Unterhalt von 40 Wehren kümmern, die den Zu- und Abfluss der Gewässer regulieren.
Die Schleusen werden regelmäßig inspiziert und mit Zustandsnoten von 1 bis 4 bewertet. Ein Großteil der Anlagen hatte in den vergangenen Jahren die Note 3 erhalten, die einen dringenden Sanierungsnachweis ausweist. 2016 veröffentlichte der Bund entsprechende Zahlen: Demnach sind in Süddeutschland 81 von 83 Schleusen reparaturbedürftig.
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