Corona kurios:
Katzwang: Das Wirtshaus auf der Inzidenzwert-Grenze
15.5.2021, 07:00 UhrEine davon verläuft durch Katzwang und splittert sich auch noch fünffach genau im Gasthof Schmidt auf, an der Rennmühlstraße gelegen, in Rufweite der Bürgerbüros Süd der Stadt Nürnberg. Eine Stadionrunde weiter in südlicher Richtung markiert der Kappelberg die Grenze zur Stadt Schwabach – hier gelten andere Gesetze, erst recht seit Montag, als die Biergärten in der Goldschlägerstadt geöffnet wurden.
Schwabachs Biergärten: Oasen in der Corona-Wüste
Die Schmidts haben auch einen Biergarten. Der bleibt zu, bis die Stadt Nürnberg die Freigabe zu Öffnung erteilt. Ein Standortnachteil im Jahr 2021, der durch die Gebietsreform 1972 entstand. "98 Prozent der Katzwanger wollten damals nach Schwabach eingemeindet werden", erinnert sich Thomas Schmidt. Daraus wurde nichts, geblieben ist ihm lediglich die Telefonnummer mit der Vorwahl 09122, in der Nachbarschaft gilt dann schon die 0911.
"Notlösung to go"
Thomas Schmidt verteufelt nicht alles: "Die November-Hilfe war wirklich gut", fällt ihm ein, doch danach reihte sich Enttäuschung an Enttäuschung – auch bei den Gästen, weil die Öffnung immer wieder hinausgeschoben wurde. Die Notlösung war togo, das freudig begrüßt wurde, nicht nur weil die Gäste ein Essen bekamen, sondern auch zu wenigsten einen menschlichen Kontakt pro Tag Gelegenheit hatten. Für die Schmidts bedeutet die Notlösung 70 Prozent weniger Umsatz: "Da kriegens koan Pfennig, sagt mein Steuerberater." Ein Segen ist da, dass das Wirtshaus seit 1968 im Familienbesitz ist und nicht auch noch eine Pacht hereingewirtschaftet werden muss.
Alles wie im vorigen Jahr? "Nein", sagt Thomas Schmidt, "die Großhandelsschiene funktioniert nicht mehr." Um zum Beispiel das Fleisch vor dem Vergammeln zu retten, wird es "jetzt gerade über die Discounter vertickt". Ein Wiederanlaufen des Betriebes wäre auch eine Frage des Personals. Durch die Schließung seit November fehlt dem Service das Trinkgeld: "Das ist bei uns der halbe Lohn." Und ein Grund, sich einen anderen Job zu suchen. Ob eine Rentnerin wiederkommt, weiß Thomas Schmidt noch nicht, und eine Frau fällt auf jeden Fall wegen Schwangerschaft aus.
Da hockt jeder an einem Tisch
Eine Erfahrung aus dem vergangenen Jahr ist auch, dass die togo-Gäste vorerst nicht kommen – und dass viel Papier produziert wird. "Voriges Jahr haben sich bei uns 100000 Zettel angehäuft", kritisiert Schmidt das Krisenmanagement, "und es hat keinen Fall für eine Nachverfolgung gegeben. Und ich habe auch von den Kollegen keinen gehört." Dem Argument von Kontaktbeschränkung stellt der Wirt seine Kapazität gegenüber - innen: "Ich habe 160 Sitzplätze, unter der Woche kommen 50 bis 60 Gäste, da hockt jeder an einem Tisch."
An einem Tisch hat inzwischen die Familie Platz zum Essen Platz genommen. Student Lukas, Abiturient Kilian, Realschüler Lorenz, Mittelschüler Jakob und Grundschülerin Hannah wurden teilweise mit dem Telefon zusammengetrommelt. "Mit fünf Kindern muss man sich jeden Tag neu erfinden", seufzt die Mutter Marion. Denn sie verteilen sich auf fünf Bildungseinrichtungen in drei verschiedenen Städten.
Wer da wo gerade Homeschooling oder Präsentunterricht hat, ist eine Wissenschaft für sich. Ein besonders krasses Beispiel ist Realschüler Lorenz, der in den letzten sieben Monaten seine Schule nur ein paar Tage von innen gesehen hat. Auslöser für die Quarantäne noch vor Weihnachten war im Religionsunterricht ein infiziertes Mädchen aus einer anderen Klasse. Die ausschließlich Jungs aus der Ethik-Gruppe blieben verschont.
Schnelltest- statt Abistress
Kilian hat grade das Deutsch-Abi hinter sich gebracht. Schwieriger als mit der Gedichtinterpretation hat er sich zuvor bei der Entscheidung, ob er einen Schnelltest durchführen lassen sollte. Die Konsequenzen eines positiven Tests ließen ihn lange Zeit zaudern. Auf den letzten Drücker rang er sich dann doch durch, als viele Teststationen schon geschlossen hatten. Natürlich durfte Chaffeurin Marion eine Sonderschicht einlegen.
Doch das sind praktische Hürden, viel mehr belastet die Mutter, was die Bedingungen der Pandemie mit der Familie macht: "Da kommst du nicht hinterher, die sind auf ihren Zimmern und sitzen und machen. Ich rufe sie mittlerweile telefonisch zum Essen." Die Schule selbst "ist immer wieder ein Streitthema", erzählt Marion Schmidt vom Alltag, "weil die Routine des Schulbesuches fehlt, kommen sie jetzt öfter zu spät als früher".
Die viele Technik im Kinderzimmer ist der Mutter ebenso ein Dorn im Auge wie der Mangel am gesellschaftlichen Leben: "Das sind eineinhalb verlorene Jahre. Das Schuljahr geht sang- und klanglos zu Ende." Kilian musste vergangenes Jahr nicht nur auf eine Feier zum 18. Geburtstag verzichten, sondern wird auch keine Abifeier haben.
Lorenz und Jakob starten im Herbst in ihre Abschlussklassen, beide ausgebremst und in der Pubertät. Da hat die Tochter noch ein Stück hin. "Hannah macht das ganz gut", lobt die Mutter ihre Zweitklässlerin und hört erleichtert nach der Testodyssee vom Vorabend Kilians Einschätzung nach dem Deutsch-Abi: "Hat gepasst!" Das gilt in Franken als euphorisch, ob in Schwabach oder in Nürnberg.
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