19. September 1970: Zum Auftakt: "Fidelio" und "Minna"

19.9.2020, 07:00 Uhr
19. September 1970: Zum Auftakt:

© Ranke

Was man am Theater tagsüber macht, konnte beobachten, wer in den letzten Wochen den Gebäudekomplex am Richard-Wagner-Platz besuchte. Eine riesige Maschinerie arbeitete mit Hochdruck für die neue Spielzeit 1970/71, die heute in der Oper mit „Fidelio“ und morgen im Schauspiel mit Lessings „Minna von Barnhelm“ eröffnet wird. Wo immer man im verwirrenden Labyrinth der vielen Gänge eine Türe öffnet, wird gearbeitet: Kostüme, Masken, Bühnenbilder, Proben. Die sogenannte „künstlerische Freiheit“ hat einen minutiösen Terminplan. Schauspieler, Sänger, Musiker dürfen nicht zimperlich sein. Geduldig müssen Sätze, Schritte, Musik-Passagen wiederholt werden. Die meisten Interpreten sind in mehreren Produktionen gleichzeitig beschäftigt – Rollenwechsel nach dem Mittagessen. Feierabend ist wirklich erst am Abend – oder in der Nacht.

Gage für Sozialisten und Faschisten

Makabres Erlebnis: Hinter einer Feuerschutztüre wird lautstark das Horst-Wessel-Lied gegrölt. Günther Tabor probt mit seinem Ensemble Horvaths „Italienische Nacht“ (Premiere: 27. September). Die „Faschisten“ und die Republikaner schreien sich in einem Wirtsgarten gegenseitig mit Kampfliedern nieder. Tabor ordnet die Statisten-Massen. Sozialisten und Faschisten, alle bekommen die gleiche Gage. Auf der Bühne der Kammerspiele steht ein Ruderboot, Requisit aus Edward Bonds „Gerettet“, mit dem die Saison auf der kleinen Bühne am 30. September eröffnet wird (Regie: Günther Wich). Dietmar Mues, neu aus Kiel nach Nürnberg engagiert, probt mit Marion Schweizer eine Szene aus dem Skandalstück, das bei seiner Uraufführung 1965 in London erregte Debatten auslöste. Anlaß war vor allem eine Szene, in der Halbstarke ein Baby im Kinderwagen steinigen. Im Ruderboot will Len (Mues) Kontakt zu dem Mädchen Pam (Schweizer) gewinnen – aber als er sich ihr nähert, bleibt sie kühl: „Du hast ja Pickel im Gesicht.“

Der Skandal ist fünf Jahre alt. Ob seine Ausläufer Nürnberg noch erreichen? Im Nürnberger Stadtrat wurde jedenfalls schon gegen das Stück polemisiert, als es noch gar nicht auf dem Spielplan stand. Vor dem Orchestergraben steht Liane Synek auf der Bühne des Opernhauses.

Die Rolle der Leonore in Beethovens Freiheits-Drama ist für Nürnberg gleich dreimal besetzt. Zur heutigen Premiere wird Claire Watson singen. Außer Liane Synek steht auch Elizabeth Kingdon noch mit dem einstudierten Part bereit. Eine ähnliche Situation wie des Fußballspielers auf der Reservebank. Generalmusikdirektor Hans Gierster hat zum Beethovenjahr zum fünften Male den „Fidelio“ (Regie: Hans-Peter Lehmann) einstudiert – aber „es ist jedesmal eine Weiterentwicklung“. In den Hauptrollen spielen heute abend: Barry Hanner (Don Fernande), Hermin Esser (Florestan) Maria de Francesca (Marzelline).

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