Analyse

Eine Umstellung - und plötzlich ist alles anders? Wie die Dreierkette den Club-Erfolg beeinflusst

Sara Denndorf

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12.11.2024, 05:00 Uhr
Routinier und Youngster: Robin Knoche und Finn Jeltsch formen zusammen mit Ondrej Karafiat derzeit die scheinbare Stammbesetzung der Dreierkette.

© Sportfoto Zink / Daniel Marr Routinier und Youngster: Robin Knoche und Finn Jeltsch formen zusammen mit Ondrej Karafiat derzeit die scheinbare Stammbesetzung der Dreierkette.

Der Mensch sehnt sich nach einfachen Antworten – in der Politik, im Alltag, im Sport. Aber auf komplexe Fragen gibt es oft keine einfachen Antworten. Und für Milliarden unterschiedliche Sachverhalte gibt es selten eine allgemeingültige Lösung. So verhält es sich auch mit dem Fußball: Auf die Frage, welches Spielsystem ist das Beste, gibt es wenn überhaupt im Videospiel "FIFA" (beziehungsweise "EA FC") eine eindeutige Antwort. In der Realität aber gibt es für jede einzelne Fußballmannschaft auf dieser Welt, eigentlich sogar für jeden einzelnen Spieler und jedes Spiel gegen jeden Gegner eine individuelle Antwort. Beim 1. FC Nürnberg lautet die Antwort dieser Tage scheinbar: 3-4-1-2. Der Club scheint nach einem desaströsen Saisonbeginn inzwischen eine Formation gefunden zu haben, die die Stärken seiner Spieler betont und die Schwächen kaschiert.

Zuvor schien das nicht der Fall gewesen zu sein. Wenngleich der Nürnberger Aufschwung freilich nicht allein mit der Systemumstellung zu begründen ist, so legen die Ergebnisse der vorherigen Spieltage doch nahe, dass sich die Mannschaft mit Dreierkette und Doppelsturm nun sichtlich wohler fühlt. Fasst man alle Statistiken aus Spielen, in denen der Club mit einer Viererkette auftrat, zusammen und stellt sie jenen der Dreierkette-Spielen gegenüber, sind letztere in sämtlichen Kategorien besser: mehr Torabschlüsse, mehr erwartete Tore (xG), mehr Ballbesitz, mehr Torabschlüsse aus dem Positionsspiel, mehr Pässe und weniger zugelassene Schüsse.

Auch die tatsächlichen Spielergebnisse, seit Miroslav Klose im Gastspiel bei Hannover 96 erstmals eine Dreierkette aufstellte, sprechen für die Umstellung: drei Siege, zwei Remis, eine Niederlage. Und es braucht nicht einmal Ergebnisse oder Statistiken, sondern bei diesem eklatanten Unterschied zwischen dem 1. FC Nürnberg im Herbst und dem 1. FC Nürnberg im Spätsommer genügt ein Blick auf die Spiele.

Erst dynamisch mit abkippendem Sechser, dann statisch mit Erfolg

Noch zu Saisonbeginn fand die Elf von Cheftrainer Miroslav Klose, die zu diesem Zeitpunkt freilich auch noch nicht eingespielt war und die Spielidee des Trainers komplett verinnerlicht hatte, kaum Lösungen im Spielaufbau, sobald die Gegner Mann gegen Mann gepresst haben. Die Folge waren zahlreiche lange Bälle, kaum Dynamik im Spiel, kaum kontrollierte Angriffe und in Folge schlicht wenig sehenswerter und auch nur durch glückliche Verkettungen vereinzelt erfolgreicher Fußball. Bereits damals scheint der Coach die Probleme im Spielaufbau erkannt zu haben und etablierte deshalb mitunter Florian Flick als abkippenden Sechser, der sich in die Abwehrkette fallen ließ und das Aufbauspiel unterstützen sollte – mit mäßigem Erfolg.

Gegen Hannover setzte Klose dann erstmals nicht auf eine dynamische, sondern auf eine statische Dreierkette dreier Innenverteidiger und begründete diese Entscheidung damals wie folgt: "Die Systemumstellung war in erster Linie, um stabiler zu sehen", sagte der Übungsleiter der Mannschaft, die die fünfmeisten Gegentore aller Zweitligisten kassiert hat – und auch gegen Hannover sowie gegen Münster jeweils zwei Gegentreffer hinnehmen musste.

Aber: Gegen Münster feierte der Club, dessen Trainer zu diesem Zeitpunkt zumindest öffentlich angezählt schien, einen wichtigen Sieg und leitete damit eine Erfolgsserie ein. Die darauffolgende Länderspielpause scheint Wunder bewirkt zu haben: So sahen die in letzter Zeit nicht unbedingt von attraktiven Fußball verwöhnten FCN-Fans plötzlich gewisse Muster im Offensivspiel, von Wechselbewegungen über das Spiel über den Dritten bis hin zu "Give and Go". Der 1. FC Nürnberg zeigt plötzlich mitreißenden Angriffsfußball.

Klare Verbesserungen in sämtlichen Statistiken

So erspielte sich der Club seit dem 3:2-Erfolg gegen Münster in jedem Spiel mehr erwartete Tore, als dass er erwartete Gegentore zuließ. Das war bislang in der gesamten Saison nur ein einziges Mal der Fall, nämlich beim 2:1-Erfolg gegen Ulm, dessen xG-Wert maßgeblich durch den Elfmeter zustande kommt. Zugleich agiert der Klose-Club defensiv deutlich gefestigter, ließ seit dem Sieg gegen Münster durchschnittlich nur 1,16 erwartete Gegentore pro Partie zu. Zur Einordnung: Hätte der Club diesen Wert schon seit Saisonbeginn verbucht, würde er die nach "Expected Goals Against" zweitbeste Defensive der Liga stellen.

"Mit dem aktuellen System haben wir das richtige gefunden, sodass jeder Spieler das Maximum herausholen kann. Das war vielleicht am Anfang noch ein bisschen schwierig. Jetzt weiß jeder seine Aufgabe und jeder weiß, was zu tun ist", bilanzierte etwa Julian Justvan zuletzt und spricht damit einen wichtigen Punkt an: Jeder Spieler kann das Maximum herausholen.

Dreierkette passt zu den Spielerprofilen im Kader

So profitiert beispielsweise die zuletzt etablierte Dreierkette maßgeblich von der Umstellung: Finn Jeltsch etwa, der schon früher mitunter auf der Sechser-Position zum Einsatz kam, taucht mitunter am gegnerischen Strafraum auf und schiebt im eigenen Ballbesitz oftmals auf die Mittelfeld-Position vor. "Ich finde es auch sehr, sehr gut, auf die Sechs zu gehen, nach vorne zu schieben, mein Tempo einzubringen", sagte der Youngster nach dem Kaiserslautern-Spiel. Zwar fühle er sich in der Innenverteidigung dennoch wohler, er schätzt aber seine Rolle und Freiheit im Spiel mit Ball. Ein Beleg für den Offensivdrang des Abwehrtalents: Der 18-Jährige kommt laut dem Portal "FotMob" auf neun Dribblings in der laufenden Saison – mehr als jeder andere Zweitliga-Innenverteidiger.

Auch Jeltschs Nebenmänner, der stets souveräne Ondrej Karafiat sowie der zentral aufgebotene Robin Knoche profitieren von der Umstellung. Der Kapitän erklärte: "Ich habe noch mehr Zugriff, noch mehr Leute um mich herum, was mir zugutekommt und hoffentlich auch den Mitspielern." Ebenso wie Youngster Jeltsch tritt auch Knoche immer wieder tief in der gegnerischen Hälfte in Erscheinung, bereitete etwa den Nürnberger Ausgleichstreffer beim 1:1 in Hamburg mit einem Steckpass an der Strafraumkante vor.

Mehr Variabilität und Selbstvertrauen im Spielaufbau

Abgesehen von den individuellen Freiheiten und Vorteilen des Systems und Kloses Interpretation birgt die Dreierkette ganz strukturell auch ihre Vorzüge im Spielaufbau. Der Club kann leichter eine Überzahl in seiner ersten Aufbaulinie schaffen, variabler agieren und sich damit das kontrollierte herausspielen aus der Abwehr erleichtern. Zwar erfordert diese Spielweise technisch versierte, ball- und passsichere Halbverteidiger, und bringt auch ein größeres Risiko mit, als den Ball schlichtweg zu schlagen. Aber: Die inzwischen selbstbewusste traut sich auch zuletzt etwa gegen Hoffenheim, Hamburg und Kaiserslautern, den spielerischen Ansatz zu wählen – und ist damit gewissermaßen das, was Miroslav Klose (vielleicht eher von den Offensivkräften) fordert: "nicht greifbar". So analysierte etwa Oliver Baumann, Torwart der TSG Hoffenheim, das Pokalduell wie folgt: "Wir bekamen keinen Zugriff gegen Nürnberger, die sehr gute Abläufe hatten." Auch die gegnerischen Coaches der vergangenen beiden Spieltage, nämlich Steffen Baumgart oder Markus Anfang, richteten lobende Worte an den Klose-Club. Lautern-Trainer Anfang konstatierte etwa: "Wir haben gegen ein Top-Zweitligamannschaft gespielt." Eine Formulierung, die noch vor wenigen Wochen in Zusammenhang mit dem 1. FC Nürnberg fernab jeglicher Realität zu sein schien.

Natürlich ist nicht nur die Umstellung auf eine Dreierkette und einen Doppelsturm das ausschlaggebende Kriterium für die Trendwende. Finn Jeltsch fasste zusammen: "Es hat alles zusammengespielt: die Systemumstellung, dass die Mannschaft sich erst finden musste, es funktioniert nicht alles von Anfang an. Natürlich sind auch alle gerade gut in Form." Auch Kapitän Knoche argumentierte nach dem Kaiserslautern-Spiel ähnlich: "Am Anfang haben uns viele ausgelacht, aber wir haben immer gesagt, dass wir ein bisschen Zeit brauchen. Es ist nun mal mit den jungen Spielern so, bis sie verstehen, bis wir dieses System gefunden haben, wie wir Fußball spielen wollen, die Abläufe funktionieren, jeder sich ein bisschen kennengelernt hat – das braucht einfach Zeit."

Also: Die Systemumstellung ist nicht der alleinige Faktor für den gegenwärtigen Erfolg – aber ein Mitgrund. Zwar wird die Nürnberger Entwicklung wohl nicht linear exakt so weitergehen, da sich natürlich auch die Gegner zunehmend dieser Spielweise adaptieren können, dennoch spricht es für Miroslav Klose, diese Chance zur Umstellung erkannt und vollzogen zu haben – wenngleich es einige Wochen dauerte. Aber die Frage, was ist das beste System, kann eben nicht immer gleich beantwortet werden: Das ist in jeder Mannschaft, bei jedem Spieler, gegen jeden Gegner anders. Eine alternative Antwort wäre: jene Formation, die am besten zu den Spielern passt. Das wäre beim Club dann derzeit das 3-4-1-2 – und endlich eine relativ einfache Antwort, nach der man sich doch immer sehnt.

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