Ausgerechnet im Derby

Nicht herausragend, aber verlässlich: Nürnbergs neue Nummer 1 belohnt sich mit erster Weißer Weste

Sara Denndorf

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21.10.2024, 16:06 Uhr
Jan Reichert freute sich nicht nur über den Derbysieg, sondern auch über seine erste Weiße Weste.

© Sportfoto Zink / Melanie Zink Jan Reichert freute sich nicht nur über den Derbysieg, sondern auch über seine erste Weiße Weste.

Das erste Mal war für Jan Reichert ganz besonders: Ausgerechnet gegen den Erzrivalen, ausgerechnet im Frankenderby blieb der 23-Jährige erstmals als Torwart der Club-Profis ohne Gegentor. Zwar lag der Fokus nach dem 4:0-Kantersieg des 1. FC Nürnberg in Fürth freilich auf der Offensive, Angreifer Mahir Emreli wollte aber auch die Leistungen seines Torhüters in den vergangenen Wochen nicht unerwähnt lassen: "Vor allem freue ich mich auch für Jan. Er hat uns schon in vielen Spielen gerettet und heute konnten wir zusammen mit ihm einen Zu-Null-Sieg feiern."

Tatsächlich zählt Reichert in der laufenden Zweitliga-Saison zu den verlässlichsten und stabilsten Kräften im Club-Kader – eine Tatsache, die nicht selbstverständlich ist. Erst im Sommer wurde der 23-Jährige zur neuen Nummer 1 ernannt. Die Entscheidung brachte ein gewisses Risiko mit sich, verbuchte der Schweinfurter doch zu diesem Zeitpunkt erst ein einziges Spiel im deutschen Profifußball. Aber: Der junge Keeper zahlte das Vertrauen kontinuierlich zurück und präsentierte sich bislang als sicherer Rückhalt für den Altmeister.

Zwar ist der Zweitliga-Neuling bisher in keiner Kategorie überragend, zählt sogar laut "kicker"-Noten zu den schwächeren Torhütern der 2. Bundesliga. Zugleich ist er aber – ebenfalls nach "kicker"-Noten – der drittbeste Nürnberger mit einem Notendurchschnitt von 3,39. Nicht überragend, aber solide – das gilt auch für sämtliche Statistiken.

Vor dem neunten Spieltag, an welchem der Club beim Erzrivalen auf der anderen Seite der Stadtgrenze gastierte, kassierten nur vier Mannschaften noch mehr Gegentreffer als der 1. FC Nürnberg: Jan Reichert musste sechzehnmal hinter sich greifen, laut den "Expected Goals Against"-Statistiken von "fbref.com" hätte der Nürnberger Traum- und Traumata-Club nur 14 Gegentore fangen müssen. Damit hält sich die Anzahl der tatsächlichen Tore und erwarteten Tore in etwa die Balance, was für eine vernünftige, wenn auch nicht herausragende Torwartleistung spricht. Außerdem geht keines der Gegentore auf die Kappe des Keepers, der sich keine Fehler vor Gegentoren zu Schulden kommen ließ.

Zur Einordnung: Acht Zweitligisten verbuchten nach dem neunten Spieltag mehr als zwei Tore mehr, als es die gegnerischen Chancen erwarten ließen. Am Unglücklichsten agiert in dieser Kategorie der 1. FC Köln um Ex-Fürther Jonas Urbig, der statt der erwarteten 12,4 Gegentreffern gleich 18 Tore hinnehmen musste. Sein Nachfolger Nahuel Noll steht in dieser Kategorie unangefochten auf dem ersten Platz: Das Kleeblatt ließ mit 21,6 Expected Goals Against die hochkarätigsten Chancen aller Zweitligisten zu, weist aber bislang nur 14 Gegentore auf – darunter die vier Treffer, die sie im Frankenderby kassierten.

Auffälligkeiten bei Strafraumbeherrschung und im Seitenvergleich

Zurück zu Reichert: Nürnbergs Keeper spielt bislang also sehr vernünftig, hält, was er halten muss und befindet sich auch hinsichtlich seines klassischen Torwartspiels voll im Soll: Mit 30 Paraden rangiert der 23-Jährige auf dem achten Tabellenplatz laut "fbref.com", Daten von "fotmob" zufolge parierte er 65,2 Prozent der Schüsse, was ligaweit den zehnten Platz bedeutet. Auch hier landet Reichert also im soliden Mittelfeld.

Interessant ist hierbei die Verteilung der Gegentore und der Paraden aufs Tor gesehen: Nur zwei der 16 Gegentore schlugen auf der rechten Seite des Torhüters im Tor ein, die gewissermaßen seine Schokoladenseite zu sein scheint. Das zeigt eine interaktive Karte des Portals "fotmob". Visierten die Schützen indes die linke Hälfte des Tores an, musste sich Reichert deutlich häufiger geschlagen geben.

Bei einem Blick auf die Zahlen fällt eine weitere Statistik auf. Manuel Neuer, der mitunter das Spiel als "Sweeper Keeper" prägte, steht für viele Aktionen außerhalb des Strafraums, wo er als mitspielender Torwart Bälle abläuft und damit die Tiefe der hochstehenden Abwehr sichert. Jan Reichert indes kommt in bisher neun Saisoneinsätzen auf nur drei Klärungsaktionen außerhalb des Sechzehners. Das ist Ligatiefstwert.

Man könnte diesen Wert als Symptom einer Schwäche des ehemaligen Schweinfurt-Torwarts bewerten. Aber: Gewissermaßen resultiert dieser Wert auch aus der grundsätzlichen Herangehensweise beim Club, der oftmals sehr tief verteidigt, sodass manche Bälle kurz vor dem Strafraum beispielsweise eher von tiefstehenden Innenverteidigern als von einem aufgerückten Torwart geklärt werden. Entsprechend ist die durchschnittliche Distanz der Klärungsaktionen bei keinem Zweitligatorwart niedriger als bei Reichert (10,9 Meter).

Eine andere Anforderung des Torwartspiels, die der Nürnberger Schlussmann selbst zu seinen Stärken zählt, lässt sich indes in keiner Statistik bemessen, aber auf dem Platz vermerken: Der junge Keeper dirigiert und pusht sein Team, im "Club-Podcast" erklärte er: "Es ist meine Art, von hinten heraus laut zu agieren und meine Vorderleute zu coachen."

Gegen die SpVgg Greuther Fürth gelang dies herausragend gut: Die gesamte Mannschaft pushte sich, spielte sich in einen Rausch, verteidigte über weite Strecken vernünftig und wenn doch einmal ein Schuss durchkam, dann war Reichert stets zur Stelle. "Ich bin unglaublich stolz darauf, wie wir den Plan umgesetzt haben. Mit welchem Mut und welcher Gier. Ich freue mich für die Mannschaft, dass sie so einen Schritt gemacht hat", bilanzierte demnach Cheftrainer Miroslav Klose, der in dieser Saison schon einige Probleme zu lösen und kleinere Krisen zu bewältigen hatte. Die Torwartposition indes zählte nicht dazu – dank eines nicht herausragenden, aber verlässlichen Rückhalts namens Reichert.

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