Bergamo-Profi Gosens: Ein Bericht aus der Corona-Hölle
23.3.2020, 05:48 UhrSeine Geschichte ist eine der schönsten der bisherigen Fußball-Saison. Die vom hierzulande lange unbekannten Fußballer aus Emmerich, der als 18-Jähriger bei einem Probetraining von Borussia Dortmund einst mit Pauken und Trompeten durchfiel und erst in Arnheim, in Almelo und vor allem in Bergamo zu einem erstklassigen Profi reifte.
Valencia und zurück ins "Epi-Zentrum der Corona-Krise"
Die halbe Bundesliga soll jetzt hinter ihm her sein und das nicht erst nach dem Einzug ins Champions-League-Viertelfinale am 10. März im leeren Estadio Mestalla von Valencia. Seitdem ist Gosens Leben nicht mehr so, wie es einmal war.
Weil, wie Gosens erzählt, fast der halbe FC Valencia im Nachgang positiv auf das Coronavirus getestet worden ist, hat ihn sein Verein in häusliche Quarantäne geschickt. Gosens darf seit zwölf Tagen nicht mehr raus und das ist auch gut so, mit Schutzmaske und Handschuhen nur noch zum Einkaufen. "Bergamo", erzählt der junge Mann am Samstagabend via Skype im "Sportstudio" des ZDF, "ist ja so etwas wie das Epi-Zentrum der Corona-Krise."
Tatsächlich ist die Sterberate in keiner anderen Stadt Italiens höher; die bereits sehr schmal angelegten Todesanzeigen in der größten Tageszeitung Bergamos ziehen sich aktuell über zehn Seiten und mehr. Robin Gosens und seine Freundin kriegen das alles hautnah mit - sind dem aber hilflos ausgeliefert. Wie auch fast alle anderen Einwohner der lombardischen Metropole. Also geht es für ihn nur noch darum, das eigene Leben und allseits bekannte Risikogruppen zu schützen - indem er sein Appartement nicht mehr verlässt.
"An Traurigkeit nicht zu überbieten"
Schon am Samstag vor einer Woche hatten sie Gosens für die Sendung zugeschaltet; damals wirkte er zwar schon niedergeschlagen, aber noch einigermaßen zuversichtlich, dass der Horror alsbald ein Ende finden möge. Eine gute Woche später spricht er deutlich langsamer, seine Mimik verrät blankes Entsetzen. "Die Bilder sprechen für sich", sagt Gosens mit geknickter Stimme, "es ist an Traurigkeit nicht zu überbieten, was bei uns gerade passiert."
Im digitalen Zeitalter ist es nicht schwer, auf dem Laufenden zu bleiben, auch Gosens informiert sich, so gut er kann. Sein Vereinspräsident verschickt WhatsApp-Nachrichten, auch der eine oder andere Kollege aus der Gruppe des größtmöglichen Champions-League-Außenseiters - der spätestens mit dem 4:3 in Valencia aufstieg, um die Sterne vom Himmel zu holen. Gelandet sind Atlanta und Gosens in der Hölle.
Läufe im Hinterhof, Todesdramen vor der Haustür
Im kleinen Hinterhof versucht er mit täglichen Übungen und sogar Läufen, einigermaßen fit zu bleiben. "Mein Highlight des Tages", sagt Gosens, der ansonsten damit beschäftigt ist, nicht der allgemeinen, um sich greifenden Verzweiflung zu verfallen. Was unmöglich ist angesichts der täglich steigenden Zahl von Todesdramen vor seiner Haustür.
Was möglich ist: Den Rest der Welt und besonders Deutschland eindringlich zu warnen vor Verhältnissen wie zurzeit in Bergamo, wo Ärzte auf den hoffnungslos überfüllten Intensivstationen entscheiden müssen, bei wem eine künstliche Beatmung noch mehr Sinn machen dürfte und bei wem weniger.
"Uns sterben die Menschen weg und man kann gar nichts tun"
"Ich hoffe, ich bete, dass wir ein schreckliches Vorbild für alle anderen Länder sein dürfen", sagt Gosens im ZDF, eine seiner Kurznachrichten in den vergangenen Tagen lautete: "Uns sterben die Menschen weg und man kann gar nichts tun."
Also appelliert Gosens eindringlich an die Vernunft der noch Unvernünftigen in seiner Heimat. Wie das Gesundheitssystem nicht nur in Bergamo binnen weniger Tage kollabiert ist, "sollte eine Warnung sein, sich auf so einen Zustand vorzubereiten", sagt Gosens, besonders jenseits der Alpen, "ein erschütternderes Beispiel gibt es aktuell nicht." Als Bergamo.
Gosens' Warnung: "Unterschätzt die Situation nicht!"
50.000 Euro ihrer Champions-League-Prämie haben die Atalanta-Profis an Krankenhäuser gespendet, 10.000 mehr als die Ultras aus der "Curva Nord". Jeder möchte helfen, allerdings wissen viele nicht, wie. Auch Robin Gosens muss deshalb weitestgehend tatenlos mit anschauen, wie das Coronavirus ein Opfer nach dem anderen fordert.
Gosens gibt ehrlich zu, anfangs auch zu sorglos gewesen zu sein. "Ich hoffe, dass wir zumindest das sein können: ein Vorbild, wie es nicht gemacht werden sollte, bittebitte tut mir den Gefallen und bleibt drinnen, meidet die soziale Kontakte und unterschätzt die Situation nicht, es wird so enden wie in Bergamo." In der Geisterstadt, wo neulich eine der schönsten Geschichten der Fußball-Saison geschrieben wurde.
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