Olympische Spiele in Paris

"Ein großes Missverständnis": Deshalb hat Nürnbergs Boxer bei Olympia viel geweint

Lukas Schlapp

Volontär

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9.8.2024, 05:00 Uhr
Im Boxring und vor den olympischen Ringen machte er eigentlich eine gute Figur. Doch für Omid Ahmadi Safa bleibt Olympia und Paris in schlechter Erinnerung.

© IMAGO / USA TODAY Network, Omid Ahmadi Safa Im Boxring und vor den olympischen Ringen machte er eigentlich eine gute Figur. Doch für Omid Ahmadi Safa bleibt Olympia und Paris in schlechter Erinnerung.

Ein Geflüchteter trainiert in einer ziemlich einfachen Boxhalle in der Nürnberger Südstadt. Sein Ziel: Olympia 2024 in Paris. Und dann qualifiziert er sich auch noch. Der Plot eines Drehbuchs? Nein. Doch im Leben von Omid Ahmadi Safa wirkt einiges wie ein Hollywood-Skript. Er wird im Iran geboren, trainiert hart und wird ein erfolgreicher und beliebter Kickboxer - sogar Asienmeister. Er vertritt den Iran international. Doch dann kommt der große Bruch in seinem Leben.

Bei einem Turnier an der Adriaküste macht Omid Ahmadi Safa 2021 ein Foto. Neben ihm steht ein israelischer Athlet. Eine Provokation für das iranische Mullah-Regime. Ahmadi Safa glaubt, dass er in Gefahr ist. Am nächsten Tag soll er im Turnierfinale antreten. Doch der Kickboxer steigt stattdessen in einen Zug und flüchtet nach Deutschland.

Als neue Heimat wird ihm Nürnberg zugewiesen. Den Rest findet er selbst: einen Boxverein - (den 1. ASC Nürnberg Süd in der Südstadt), einen Trainer (Harald Retzer) und eine Sparringspartnerin (Marie Retzer). "Ich habe zwei Jahre alles danach gerichtet, dass ich es nach Paris schaffe", erinnert sich der 31-Jährige.

Omid Ahmadi Safa tritt fürs "Refugee Team" an

Und er ist erfolgreich. Für Deutschland kann er nicht antreten, dafür fehlt ihm die Staatsangehörigkeit. Omid Ahmadi Safa fährt aber für das Olympische Flüchtlingsteam nach Paris. Eine Mannschaft aus Sportlerinnen und Sportlern, die aus ihren Heimatländern flüchten mussten. Betreut wird der Iraner vom Deutschen Boxsport-Verband und trainiert vom erfahrenen Coach Ralf Dickert - der wird später noch wichtig. Vom Internationalen Olympisches Komitee erhält er ein Stipendium und kann bei Trainingscamps in Thailand oder im Saarland dabei sein. Omid Ahmadi Safa ist in Topform, eine Olympia-Medaille ist nicht ausgeschlossen - alles läuft nach Plan.

Doch der erste kleine Dämpfer folgt sogleich. Traditionell finden die ersten Boxkämpfe der leichtesten Gewichtsklasse in den allerersten Tagen der Olympischen Spiele statt. Omid Ahmadi Safa möchte sich auf seinen ersten Kampf am Sonntag perfekt vorbereiten. Dem im Weg steht jedoch die Eröffnungsfeier, bei der die Olympia-Teilnehmer mit Schiffen über die Seine fahren. Der 51 Kilogramm schwere Boxer entscheidet sich für seinen sportlichen Ehrgeiz. Während tausende Athleten in Paris Willkommen geheißen werden, sitzt er im Deutschen Haus und verfolgt einen Live-Stream.

Olympia: Boxkampf gegen Roscoe Hill

Im Ring muss er am ersten Olympia-Sonntag gegen den US-Amerikaner Roscoe Hill antreten. Manche Berichterstatter versuchen daraus etwas Größeres zu machen: Iran versus USA. Doch Ahmadi Safa lässt sich in Interviews auf solche Narrative nichts ein. Trainiert wurde sein Widersacher Roscoe Hill vom weltbekannten und ehemaligen Schwergewichtsweltmeister George Foreman. Auch das klingt nach Hollywood und der Boxkampf in der Pariser Arena hält das, was er verspricht.

In der ersten Runde entscheiden alle Kampfrichter einstimmig, auf einen Sieg für Roscoe Hill. Der Iraner vermutet im Nachhinein, dass das auch an seiner Kampfart liegt: "Ich komme aus dem Kickboxen. Sie mussten sich erst an mich gewöhnen." In der zweiten Runde ist Omid Ahmadi Safa stärker, er landet einige Treffer. Hill wirkt überrascht. Drei Kampfrichter sehen den Iraner im Vorteil, zwei den US-Amerikaner. Omid Ahmadi Safa hat die Möglichkeit diesen Kampf in der dritten Runde zu gewinnen. Die Halle in Paris ist laut. "Omid! Omid! Omid!" ruft die große Mehrheit der Zuschauer. Doch dann kommt es zum Drama, das es sonst nur im Spielfilm - oder eben im Sport gibt.

Ralf Dickert zu Ahmadi Safa: "Du musst ihn K.O. schlagen"

Der Boxer aus der Nürnberger Südstadt bespricht sich mit dem Bundestrainer. "Du hast auch die zweite Runde verloren. Du musst ihn jetzt K.O. schlagen", soll Ralf Dickert seinem Schützling in etwa mitgeteilt haben. Der Kommunikationsfehler liegt nur zwischen Trainer und Boxer. Die Zuschauer in der Pariser Arena, vor dem Fernseher oder der Kommentator im Livestream wissen hingegen, dass das nicht stimmt. "Ich habe mich im Ring gefragt, wie das sein kann. Beide Runde verloren?", erinnert sich der Iraner. Es ist "ein großes Missverständnis" mit großen Folgen. Denn in der finalen Runde kämpft Ahmadi Safa "nur mit dem Herz, ohne den Kopf". Sogar für den Laien am Fernseher ist erkennbar, dass diese Runde von Ahmadi Safa unkoordiniert ist. Alle Punktrichter stimmen auf Rundensieg für Hill. Dieser entscheidet damit auch den Boxkampf für sich.

Für Omid Ahmadi Safa folgen schwere Stunden und Tage. Er zieht sich in sein Zimmer zurück und weint viel. Er denkt zu diesem Zeitpunkt noch, dass er alle Runden verloren hätte. Erst zwei Tage nach dem Boxkampf schafft es der Nürnberger Olympia-Teilnehmer, den Kampf am Smartphone wieder anzuschauen. Als er das wahre Ergebnis der zweiten Runde erstmals sieht, ist er schockiert. Er wird wütend, weint wieder und spricht sich schließlich noch mit seinem Trainer Ralf Dickert aus. Ob wirklich wieder alles gut zwischen den beiden ist, wird im Gespräch mit Ahmadi Safa nicht wirklich klar.

"Ich konnte Paris nicht genießen", sagt er im Rückblick. Auch zur Abschlussfeier wollte er nicht mehr bleiben, er fährt lieber zurück nach Nürnberg. Los Angeles 2028 wäre ein naheliegender Traum. "Ich muss mich aber jetzt aber auch um andere Sachen kümmern", sagt er. Er möchte besser Deutsch lernen, mit seiner nachgezogenen, iranischen Frau zusammenziehen und sich im Profiboxen versuchen. Im Gespräch merkt man Omid Ahmadi Safa aber an, dass ihn ein zweites Mal Olympia reizt. Es würde passen - zu dieser Geschichte mit Auf und Abs, die es so auch in Hollywood geben könnte.

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