Scheinheilige Debatte um Özil: Von den US-Amerikanern lernen
10.7.2018, 11:29 UhrWir fassen noch einmal kurz zusammen: Kurz bevor Joachim Löw bekannt gegeben hat, welche 27 Fußballer damit rechnen dürfen, zum endgültigen Aufgebot für die Weltmeisterschaft in Russland zu gehören, lassen sich Ilkay Gündogan und (nicht zum ersten Mal) Mesut Özil mit einem Mann fotografieren, der unter anderem dafür hat sorgen lassen, dass in der Türkei in den letzten beiden Jahren 160.000 Menschen festgenommen wurden, einem Mann, der das Gegenteil sämtlicher Werte vertritt, für die der deutsche Fußballbund vermeintlich einsteht.
Gündogan und Özil werden trotzdem für die WM nominiert. Oliver Bierhoff, DFB-Direktor, erklärt die Diskussion um dieses Foto für beendet und zu einem von Medien unnötig aufgebauschten Thema.
Deutschland unterliegt Mexiko 0:1. Deutschland gewinnt 2:1 gegen Schweden. Deutschland verliert gegen Südkorea mit 0:2. Zum ersten Mal scheitert eine deutsche Mannschaft in der Vorrunde einer WM.
Vor allem ein Spieler wird verantwortlich gemacht
Trotz guter Statistiken und sehr viel schlechteren Kollegen wird dafür vor allem ein Spieler sozial medial, von der AfD und auflagenstarken Medien verantwortlich gemacht - Özil. In einem Interview mit der Welt sagt Bierhoff, dass man überlegen müssen, "sportlich auf Özil zu verzichten" und dass Özil das, was man von ihm erwarte, "aus bestimmten und offensichtlich Gründen nicht habe sagen können".
Einen Tag später relativiert er diese Aussagen aus von von ihm und weiteren drei Medienprofis autorisierten Interview. Medien kritisieren dieses völlig missratene Krisen- und Personalmanagement. Trotzdem bekräftigt DFB-Präsident Reinhard Grindel Bierhoffs Aussagen.
Lothar Matthäus bedankt sich persönlich bei Vladimir Putin mit den Worten: "Vielen Dank für diesen World Cup, Mister President." Zwei Tage später schreibt Matthäus in seiner Kolumne auf skysport.de, dass Özils Nationalmannschaftskarriere beendet sei, wenn er sich nicht zu dem Foto mit Erdogan äußere.
WM-Podcast: Weinende Südamerikaner und gute Läufer
Puh. Blicken wir doch lieber in ein anderes großes Fußballland, in dem diesen Sport viele Mädchen und Jungen mit großer Freude nachgehen, dessen Nationalmannschaft aber ebenso nicht mehr in diesem Turnier vertreten ist - schon allein, weil sie gar nicht erst hatte teilnehmen dürfen. Blicken wir, genau, in die USA.
Denn anders, als es das Klischee vorschreibt, interessiert man sich in den Vereinigten Staaten durchaus für die Fußball-WM. Baseball ist wichtiger, das jährliche Sommertheater in der Basketballliga NBA ohnehin, danach aber kommt schon das Turnier in Russland, nicht in jeder Nachrichtensendung, nicht auf den ersten Sportseiten.
Über den World Cup wird intensiv berichtet
Berichtet und vor allem geredet wird über den World Cup aber intensiv, wenn auch nicht immer so, wie wir das aus Deutschland kennen. Willkommen bei "Pardon my take", dem Podcast von Barstool Sports.
Man kann dieses Gespräch von Dan "Big Cat" Katz und Henry "Handsome Hank" Lockwood durchaus mit dem Doppelpass von Sport1 vergleichen - mal abgesehen, dass die Komik nicht unfreiwillig, sondern bewusst entsteht, dass es Katz und Lockwood offen eingestehen, wenn sie vor der Aufnahme getrunken haben und dass es ob seiner erschütternden Offenheit und politischen Unkorrektheit sehr viel unterhaltsamer ist.
Zwei Typen unterhalten sich also über Sport, miteinander, aber auch mit prominenten Gästen, zuletzt ging es um LeBron James in Los Angeles, aber eben auch um Fußball.
Zum Beispiel redeten sie über Neymar, der die Gesetze der Physik außer Kraft setzt, der sich das Genick hält, wenn sein Schienbeinschoner touchiert wird und dessen Ausscheiden schon aus Unterhaltungsgründen zu bedauern ist; über die schönsten Momente des Turniers, wenn breiige, weiße Typen in England jedes Tor feiern, in dem sie sich gegenseitig mit Bier überschütten; und über einen Fifa-Skandal, der in Europa noch gar nicht diskutiert wird.
"Die nächste WM findet während der Football-Saison statt, weil sie sie in die verfxxxte Wüste schicken", sagt also Big Cat. "Sie werden alles ändern. Die Spieler dürfen die Hände benutzen, weil die Füße zu heiß sein werden. Ich liebe Fußball, aber wenn ich mich zwischen Fußball und Football entscheiden muss, ist das ein no-brainer.
Du hast es verkackt, Fifa! Die Sklaven auf den Baustellen, die offensichtliche Korruption, darüber kann ich hinwegsehen. Aber gegen Football anzutreten? Du bist raus!“ Wie schön wäre es, wenn man auch die Diskussion über die öffentliche Darstellung des deutschen Fußballs so beenden könnte. Du bist raus, Bierhoff! Du bist raus, Grindel!
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