Fürth
So tickt der Kleeblatt-Trainer: Stefan Leitl im großen Porträt
31.5.2021, 06:00 UhrWie kann einer am Tag nach dem bisher größten Erfolg seiner Berufslaufbahn nur so aufgeräumt daherkommen? Okay, der Trainingsanzug des Ausrüsters sitzt an Spieltagen zumindest vor dem Anpfiff etwas akkurater, der Drei-Tage-Bart darf ausnahmsweise auch noch einen vierten Tag sprießen und unter den Augen glaubt man ein paar Fältchen zu erkennen, die bei der letzten Pressekonferenz noch nicht da waren, aber sonst? Die Frisur sitzt, der Blick ist glasklar, die Sätze kommen gerade heraus.
War in Leitls Bierflasche heimlich doch nur Wasser?
Während sich von den Fußballern der SpVgg Greuther Fürth am Montag beim Eintrag ins Goldene Buch der Stadt einige hinter Sonnenbrillen verstecken und die Kehlen heiser sind vom Grölen des ewigen Aufstiegsschlagers ("Niemeeeehr zweite Ligaaaa!"), erweckt Stefan Leitl den Eindruck, als habe er am Abend zuvor seine Bierflasche immer wieder heimlich mit Wasser aufgefüllt.
"Es wurde mir immer nachgesagt, dass ich ein mega-großes Talent war, aber mit meinem Talent nicht sorgfältig umgegangen bin", sagt der Fußball-Trainer über den Fußball-Spieler Stefan Leitl. Als Trainer hat er das offenbar nicht vor.
Der Choreograf des zweiten Fürther Bundesliga-Aufstiegs hat auf einem weißen Plastikstuhl auf dem Rasen des Sportpark Ronhof Platz genommen. Die Stadt hat ihr Zeremoniell wegen der Pandemie an die frische Luft verlegt, vor wenigen Minuten hat Leitl zum Füller gegriffen und Oberbürgermeister Thomas Jung vermutlich ein sehr sauberes Autogramm gegeben, jetzt soll er noch einmal über dieses Fußball-Wunder und natürlich auch ein bisschen über sich selbst sprechen.
Über sich selbst spricht Leitl nicht unbedingt mit großem Vergnügen, aber er wirkt dabei auch nicht wie sein Vorgänger im sehr selten besetzten Amt des Fürther Aufstiegstrainers. Mike Büskens, der Choreograf des ersten Aufstiegs im Jahr 2012, schien es manchmal fast körperliche Schmerzen zu bereiten, wenn er mit Medienvertretern über andere Themen als die Leidenschaft zum Fußball sprechen sollte. Seine Stimme wurde dann immer sehr leise.
Leitl war schon immer ein Offensivspieler, kein Verteidiger
Leitl ist da anders. Wobei auch er einsilbig werden kann, wenn ihm eine Frage nicht passt, wenn er seine Mannschaft oder sich selbst angegriffen fühlt. Leitl schaut dann nach unten, nach links und rechts, aber auf keinen Fall Richtung Fragensteller. Er scheint erst innerlich den Kopf zu schütteln und tut es dann manchmal auch für alle sichtbar, bevor er zum Gegenangriff übergeht.
Stefan Leitl war schon immer ein Offensivspieler. Kein Verteidiger.
Als jüngster von fünf Brüdern fing der gebürtige Münchner beim FC Ismaning mit dem Kicken an, sein mega-großes Talent führte ihn bald zum FC Bayern. "Mit 18 Jahren wurde ich dort Profi und wusste nicht wohin mit mir", sagt der 43-Jährige heute. Er blieb ohne Bundesligaeinsatz in München, wechselte zum SV Lohhof in die Regionalliga, zum 1. FC Nürnberg, wo er zumindest kurz die erste Liga kennenlernen durfte, danach pendelte er bei der Spielvereinigung Unterhaching, dem SV Darmstadt 98 und dem FC Ingolstadt immer zwischen der zweiten und der dritten Liga hin- und her, bevor er 2013 seine aktive Karriere beendete.
"Ich habe nicht gesagt, dass ich weg will"
Dass Leitl als Trainer so aufgeräumt daherkommt, liegt auch daran, dass er es als Spieler nicht war. Es habe ihm ein Trainer gefehlt, hat er einmal gesagt, der ihm vermitteln hätte können, worauf es im Fußball ankommt. Erst in Ingolstadt fand er in Benno Möhlmann diesen Trainer, aber der vermittelte ihm zunächst einmal, dass es mit 36 vielleicht an der Zeit wäre, das mit dem Fußballspielen endlich mal sein zu lassen. Um ihm dann eine Karriere als Trainer nahezulegen.
Seinen ihm anvertrauten Spielern möchte Stefan Leitl nun ein anderer Trainer sein. Kein distanzierter Lehrmeister, auch nicht unbedingt ein Kumpeltyp, aber zumindest einer, dessen Bürotür immer offen steht.
Vor allem will Leitl aber das nachholen, was ihm selbst verwehrt geblieben ist. "Letztlich geht da ein Kindheitstraum in Erfüllung", sagt er über den Aufstieg in die Bundesliga. Mit den besten Trainern Deutschlands will er sich messen, mit den besten Spielern durfte er das ja nicht. In Fürth hoffen sie darauf, dass er das auch mit der Spielvereinigung will. Immer wieder gab es zuletzt Gerüchte über Angebote von besser alimentierten Vereinen, mit etwas kryptischen Aussagen mitten hinein in die Aufstiegsfeierlichkeiten hat er die Spekulationen weiter angeheizt.
Nach 13 Monaten war Schluss in Ingolstadt
"Ich habe aber auch nicht gesagt, dass ich weg will", sagt er auf dem weißen Plastikstuhl auf dem Rasen, auf dem seine Spieler am Tag zuvor mit einer furiosen Aufholjagd die Partie gegen Fortuna Düsseldorf gedreht und so das Aufstiegsmärchen möglich gemacht hatten. Hier und da fehlt ein Grasbüschel, die intensiven Zweikämpfe haben etwas Erde aufgewühlt. Bald wird der Platzwart diese Spuren wieder beseitigen und doch sind es irgendwie Spuren für die Ewigkeit.
An die Bundesliga hat sich Leitl langsam herangetastet. In Ingolstadt war er zunächst Nachwuchstrainer, dann Chef der ersten Mannschaft. Nach 13 Monaten trennten sich die Wege aber bereits wieder, Leitl konnte im "Ergebnissport Fußball" nicht die passenden Ergebnisse liefern.
Anschließend hat er die Zeit nicht dafür genutzt, um nur in der Sportschau zu verfolgen, wo demnächst eine Stelle frei werden könnte, er hat seine erste Arbeitsprobe im neuen Beruf sehr aktiv reflektiert.
Leitl schätzt "ehrliche Antworten"
Es ist ein Begriff, den Leitl oft benutzt: reflektieren; oder er verwendet artverwandte Wörter wie analysieren, aufarbeiten, besprechen. Wobei deutlich wird, dass er das am liebsten nicht alleine tut. Die Familie, Freunde, seine Berater, Kollegen helfen ihm dabei, Leitl ist kein einsamer Trainerwolf. Er schätzt "ehrliche Antworten", und "ich bin", sagt Leitl, "jemand, der den Fehler immer erst einmal bei sich sucht".
Was sie gemeinsam analysiert, aufgearbeitet, besprochen haben, warum es in Ingolstadt nicht funktioniert hat? "Ich wollte zurück zur Taktik von Ralph Hassenhüttl, ich wollte ein hohes Pressing. Aber manche Spieler waren dazu nach fünf, sechs Jahren nicht mehr bereit", erzählt Leitl. Der Klub wollte direkt zurück in die Bundesliga, aber der junge, hungrige Cheftrainer wählte dafür den falschen Ansatz.
Ein halbes Jahr später, am 5. Februar 2019, wurde Stefan Leitl bei der Spielvereinigung Greuther Fürth als Nachfolger von Damir Buric vorgestellt. In der Vorsaison wäre der Verein beinahe in die dritte Liga abgestürzt, nun hakte es schon wieder, besonders attraktiv kam das Kleeblatt als Arbeitgeber nicht daher. Weshalb es auf den ersten Blick auch ein bisschen so wirkte, als würde der junge, hungrige Cheftrainer in diesem umkämpften Geschäft einfach nur die nächstbeste Gelegenheit ergreifen wollen.
Was für ein Irrtum.
Tradition, Werte, Identifikation - Leitl nimmt man das ab
"Jeder Schritt", hat Leitl in der abgelaufenen Saison einmal gesagt, "muss im Trainergeschäft wohlüberlegt sein." Wer nach oben will, muss sich seine Arbeitgeber genau anschauen. "Welche Werte lebt der Verein vor, welche Philosophie herrscht dort?" Das sind Fragen, die er sich stellt. "Als damals der Anruf aus Fürth kam, war mir sofort bewusst, dass ich mich mit diesem Verein identifizieren kann."
Identifikation. Auch das ist ein Begriff, den Stefan Leitl häufig verwendet. Im Leere-Worthülsen-Business Profifußball versuchen viele Protagonisten damit fehlende Inhalte zu kaschieren: Tradition, Werte, Identifikation – aber Leitl, der sein oberbayerisches Idiom auch in Mittelfranken nicht abgelegt hat, nimmt man solche Begriffe tatsächlich ab.
Aufstieg statt Geburtstagsparty des Sohnes
Von denen, die auch während der Pandemie mit ihm persönlichen Kontakt haben, wird er als bodenständig beschrieben, als freundlich und heimatverbunden, wobei Heimat eben nicht immer München sein muss, wo seine Frau, die Tochter und die zwei Söhne leben. Sein älterer Sohn ist am Tag des Aufstiegs 17 Jahre alt geworden. "Das werde ich mir wohl jahrelang anhören dürfen", sagt der Vater, der am Sonntag zu einer noch etwas größeren Party eingeladen war.
Warum es in Fürth besser, ja viel besser funktioniert als in Ingolstadt? "Ich hatte hier Zeit, die Mannschaft in mehreren Transferperioden zusammenzustellen", sagt Leitl, der gemeinsam mit Sport-Geschäftsführer Rachid Azzouzi den Kader aufgeräumt hat. Diesmal hatte er die passenden Spieler für sein System, auch sie waren jung und hungrig.
Und dann sind da noch diese besonderen Umstände: Die Hygienebestimmungen haben es ihm in den vergangenen Monaten zusätzlich erschwert, das Familienleben zu pflegen. Also hat er sich gemeinsam mit Andre Mijatovic noch mehr auf Fußball konzentriert. In Ingolstadt war der Kroate Leitl erst ein Mitspieler, dann bald ein Co-Trainer, in Fürth ist er noch ein bisschen mehr.
So funktioniert die Fürther Trainer-WG
"Wir haben eine Trainer-WG", erzählt Leitl, der Mijatovic nicht nur einen Kollegen, sondern auch einen Freund nennt. Fernab der Familien schmeißen sie gemeinsam einen Haushalt und können so noch mehr über die richtige Taktik, Spielerführung und die Zukunft des Fußballs philosophieren. "Das hat uns in unserer Arbeit noch ein Stück nach vorne gebracht", ist sich Leitl sicher. Am Ende war es regelrecht eine Leistungsexplosion in der Trainer-WG.
Wer dort fürs Kochen zuständig ist? "Wir haben uns am Anfang abgewechselt, aber sind dann ein bisschen faul geworden und haben Essen geholt", berichtet Leitl lachend. "Jetzt geht es eher darum, wer den Müll rausbringt", sagt er.
Wer ihn da so aufgeräumt sitzen sieht am Tag nach dem Aufstieg, kann sich eher nicht vorstellen, dass er allzu großes Chaos duldet.
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