Tommie Goerz: Tod und Spiele? Mein Fernseher bleibt zur WM aus

12.4.2021, 18:33 Uhr
Schriftsteller Tommie Goerz will die Fußball-WM boykottieren.

© Jocki Krieg, NN Schriftsteller Tommie Goerz will die Fußball-WM boykottieren.

Ich bin Fußballfan, seit ich denken kann. Ich habe bis vor vier Jahren regelmäßig freizeitmäßig gegen den Ball getreten. Nie gut, aber immer gerne. Jetzt hab ich Knie. Und Rücken. Und Alter. Aber ich stehe (nein, inzwischen sitze ich) noch immer (relativ) regelmäßig bei meinem Herzensverein (SpVgg Fürth) auf der Tribüne. Ich kann nichts dafür, ich liebe diesen Sport. Auch wenn mich seine Ausbünde schon manche Kröte haben schlucken lassen und mich gezwungen haben, über (zu?) vieles hinwegzusehen.

Aber mit Katar reicht's.


Die meisten Fußballer sind gegen einen Boykott der WM in Katar


Weltmeisterschaften sind für den Fußballfan Auszeiten. Sie sind eine geradezu heilige Zeit. Eine, auf die man sich freut. Die man zelebriert. Und genießt. Sommer, Sonne, Freunde, Besserwissen, Bundestrainer sein, Bier, Grill, Sofa, was auch immer.

Auf Katar freue ich mich nicht.

Weil das gesamte Vergabeverfahren durch die korruptionsverseuchte FIFA bis heute stinkt. Weil in Katar das Rechtssystem der Scharia gilt. Weil nach dem dortigen Strafgesetzbuch Homosexualität mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft wird. Oder mit Auspeitschen. Weil in Katar die Frauenrechte massiv eingeschränkt sind und Frauen qua Gesetz diskriminiert werden (Human Rights Watch). Vor allem aber, weil in Katar auf den Gräbern von mindestens 6.700 auf den WM-Baustellen umgekommenen Arbeitsmigranten (The Guardian) gekickt wird. Außerdem hat eine Fußball-WM im Winter nichts verloren.

Übrigens: Herr Hoeneß hat nicht recht, wenn er sagt, »eine WM in Katar kann (!) auch dazu führen, dass die Arbeitsbedingungen dort besser werden« (RTL). Quatsch. Die Verhältnisse ändern sich durch das bloße Thematisieren nicht. Der Beweis: Russland. Was hat sich dort nach Sotschi 2014 geändert? Richtig.

Bleibt noch die Frage, wer von der WM in Katar profitiert. Hauptsächlich zwei: das dortige System (Image, Legitimation, Reputation) und die FIFA (Kohle, Kohle, Kohle). Beide aber treten den Fußball und die politische Verantwortung, die er hat, mit Füßen.

Und, ja, der Fußball hat eine große Verantwortung, und die ist längst in den Stadien angekommen und wird auch wahrgenommen. Fans und Vereine engagieren sich gegen Rechts, gegen Rassismus, gegen Fremdenfeindlichkeit, gegen Sexismus, gegen Homophobie, für Menschenrechte und und. Und der DFB? Produziert zusammen mit den Sponsoren hochnotpeinlichweichgespült »spontane« Hochglanzkitschimagevideos als Feigenblatt, aber immerhin. Auch immerhin: Der ehemalige DFB-Präsident Zwanziger hat sich 2011 gegen die WM in Katar und für eine Neuvergabe ausgesprochen.

Ich träume davon, dass jetzt Druck aufgebaut wird. Überall. Wenn erst einmal zigtausende Fans weltweit ihre Stimme erheben und die ersten Sponsoren wackeln (adidas, Coca Cola, McDonalds und Konsorten), tut sich vielleicht was. Und Druck von der Basis wirkt. Der Beweis: Shitstorm und Boykott gegen adidas nach deren Mietzahlungsstopp-Ankündigung zu Beginn der Corona-Epidemie.

Ob ich Romantiker bin? Wenn's den Menschenrechten dient: gerne. Mein Fernseher jedenfalls bleibt zur WM aus.

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