Die meisten Fußballer sind gegen einen Boykott der WM in Katar

Holger Peter

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12.4.2021, 18:32 Uhr
Eine Feigenblatt-Aktion oder ein ernsthafter Protest? Auf jeden Fall hat auch die DFB-Nationalmannschaft auf die Probleme mit den Menschenrechten in Katar hingewiesen.  

© www.imago-images.de Eine Feigenblatt-Aktion oder ein ernsthafter Protest? Auf jeden Fall hat auch die DFB-Nationalmannschaft auf die Probleme mit den Menschenrechten in Katar hingewiesen.  

"Die WM 2022 in Katar ist ein dem Fußball unwürdiges Turnier", heißt es im ersten Satz des Aufrufs auf der Seite boycott-qatar.de. Die Initiatoren sind keineswegs Fußballgegner; im Gegenteil: Dietrich Schulze-Marmeling und Bernd-M. Beyer arbeiten als Fußball-Publizisten, haben viele Bücher und Artikel über Fußball veröffentlicht und sind beide Mitglied der Deutschen Akademie für Fußballkultur in Nürnberg.

Der Boykottaufruf wurde im Herbst ins Netz gestellt, und die Unterstützung entwickelt laut Beyer "momentan zunehmend an Dynamik". Ungefähr ungefähr 40 Fangruppen, darunter auch der FCN-Fanclub "Heilsbronn-City 99", und knapp 1000 Einzelpersonen befinden sich derzeit auf der täglich länger werdenden Liste.

"Wir Fußballfans sind keine Träumer. Wir wissen, dass der Fußball seit seinen Pioniertagen kommerziellen Tendenzen und Manipulationen unterliegt", betonen Schulze-Marmeling und Beyer. Aber es gibt Situationen, in denen eine kritische Kommentierung nicht reicht, sondern ein praktisches Zeichen gesetzt werden muss. Die WM in Katar ist solch ein Fall, in dem zu viele Grenzen überschritten werden."

Klare Signale vom DFB erhofft

Noch hätten die FIFA und ihre Mitgliedsverbände die Möglichkeit, ihre Entscheidung pro Katar zurückzuziehen und ein anderes Land mit der Turnieraustragung 2022 zu beauftragen. Das sei aber sehr unwahrscheinlich. Die Initiatoren erwarten nun klare Signale vom DFB. Ein Verzicht auf die WM-Teilnahme, wie vom ehemaligen DFB-Präsidenten Grindel erwogen, wäre die klarste Möglichkeit. Falls sich der DFB dazu nicht entschließe, fordere man eine ausführliche Erklärung dieser Entscheidung. Dabei sollte der DFB zur Menschenrechtslage in Katar eindeutig Position beziehen, das gelte auch für die Spieler und Trainer. Firmen in Deutschland sollten keine Vermarktungsaktionen im Kontext mit der WM durchführen, einschlägig lizenzierte Produkte nicht verkaufen und während WM-Übertragungen im Fernsehen keine Werbezeiten schalten.

Und die deutschen Fußballfans sollen ebenfalls ihren Widerstand gegen ein WM-Turnier in Katar deutlich machen. Man werde die FIFA massenhaft mit Mails und Briefen eindecken, in denen man mitteile, "dass wir keine Produkte mit WM-Logo kaufen, keine Produkte von Firmen kaufen, die im Rahmen der WM aktiv werben, dass wir nicht nach Katar reisen und zu Hause nicht an Public Viewings oder ähnlichem teilnehmen."

"Fußball wird ruiniert"

Das Ziel sei es, das lukrative Zusammenspiel zwischen FIFA, Sponsoren und autokratischen Regimen zu stören. Es dürfe für sie nicht mehr attraktiv sein, "die WM auf diese pervertierte Art zu präsentieren und den Fußball weiter zu ruinieren".

Wie stehen nun die hiesigen Vereinsfunktionäre und Spieler zu diesem Aufruf? Eins vorneweg: Viele Befragte wollten zu diesem "politischen" Thema keine Stellung beziehen.

Einer, der sich traute, ist Peter Münch vom DJK-SC Oesdorf. Er hat zwar "gemischte Gefühle" angesichts der eklatanten Menschenrechtsverletzungen in Katar, aber ist trotzdem klar gegen einen Boykott. "Russland, Brasilien, Südafrika - das waren die drei letzten Gastgeberländer. Da war es mit Menschenrechten auch nicht weit her", findet der Vereinsvorsitzende. Es sei schwierig, überhaupt noch Länder zu finden, die unseren moralischen Ansprüchen genügten. "Und bei uns kann so etwas kaum noch stattfinden, weil Bürgerinitiativen den Bau neuer Sportstätten ewig verhindern."

"Zeichen setzen"

In Ländern wie Katar oder China würde nicht gefragt, Umstände, die wir sicherlich auch nicht haben möchten. Darum hält er es für wichtig, dass die Verbände weltweit nicht nur jetzt in den Qualifikationsspielen, sondern auch beim Turnier selbst "Zeichen setzen" für Menschenrechte und freie Selbstbestimmung. Für die Sportler seien solche Turniere das Größte überhaupt, ein Verzicht wäre schwer vermittelbar, zumal Münch glaubt, dass der Effekt verpufft, wenn nur ein oder zwei Länderteams einem Boykottaufruf folgten. Wenn, müssten sich da viele der führenden Nationen einig sein.


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Die Wurzel des Übels sei allerdings die Fifa selbst. "Da muss eine große Reform her, damit Vergaben in solche Länder erst gar nicht mehr vorkommen." Allerdings gibt er zu, dass diese Reform sicherlich nicht von den derzeitigen Spitzenfunktionären zu erwarten sei.

In die selbe Kerbe schlägt Landesligaspieler Philipp Nagengast von der SpVgg Jahn Forchheim. "Mit solchen Vergaben, die aus sportlicher Sicht nicht nachzuvollziehen sind, macht man das Schöne am Fußball kaputt. Und jeder weiß, dass sich daran nichts ändern wird, weil es ums große Geld geht", sagt er.

Stars mit Strahlkraft

Es sei dann wenigstens die Pflicht der Medien und Organisationen wie amnesty international, die Weltöffentlichkeit umfassend zu informieren und ein Bewusstsein zu schaffen. Und so ganz aussichtslos sieht er den Kampf nicht: "Die Fußballstars haben eine solche Strahlkraft, die müssen sie nutzen - auch über die sozialen Netzwerke." Es reiche jedenfalls nicht aus, wenn die deutsche Nationalmannschaft für ein paar Sekunden in beschrifteten T-Shirts protestiert.

Anschauen wird er sich die WM wohl trotzdem, die Mannschaften hätte jahrelang auf dieses große Ziel hingearbeitet und er fände es schade, wenn er auf den Vergleich der besten Mannschaften der Welt verzichten müsste, räumt aber ein: "Veranstaltungen in Ländern, die keinerlei Bezug zum Fußball haben - das hat mit dem Fußball, den wir lieben, nichts zu tun."

Das falsche Land, die falsche Zeit, Spiele in Stadien, bei deren Bau Tausende von Menschen den Tod fanden und die hinterher auch noch leer stehen - Johannes Grün, der Vorsitzende des A-Klassisten ATSV Forchheim findet viele Kritikpunkte, obwohl er grundsätzlich nichts gegen Kommerz im Fußball habe. "Das Geld schafft ja auch viele Arbeitsplätze", betont er. Aber eine WM in Katar sei "Blödsinn".

"Vergabe stinkt zum Himmel"

Einen Boykott würde er begrüßen, das wäre eine Riesenzeichen für die Menschenrechte, aber es müssten sich alle einig sein. Diese Vergabe stinke zum Himmel, aber am Ende werde die Fifa ohnehin betonen, dass man gültige Verträge habe, die es zu erfüllen gelte. Im eigenen Verein merke er durchaus den zunehmenden Frust von "leidenschaftlichen Fußballern", die bereits die Bundesliga-Übertragungen boykottieren.

ATSV-Spielertrainer Philipp Heublein hält es für schon zu spät, noch einen Boykott durchzusetzen. "Und wenn Deutschland verzichtet, rückt ein anderes Land nach." Er fände es auch fast noch zynischer, das Turnier jetzt ausfallen zu lassen. Dann wären die Bauarbeiter quasi "noch mehr umsonst gestorben". Man hätte schon bei der Vergabe reagieren müssen. "Aber da hat man mehr über die Gesundheit der Spieler bei den Hitzegraden nachgedacht als über die der Arbeiter und Stadien mit Klimaanlagen diskutiert."

Es sei schlimm, dass man im Jahr 2021 noch solche Debatten über elementare Menschenrechte führen müsse, ob ein paar Aktionen der ausländischen Verbände wirklich etwas bewirken, bezweifelt er. Andere Länder hätten mit dem vielen Geld bestimmt etwas Gutes auf die Beine gestellt. Die Spiele wird er dennoch verfolgen, "weil es Fußball ist".

"WM ist kein Fest mehr"

Sein Spielertrainer-Kollege Florian Müller von der SG Wolfsberg/Geschwand trauert auch dem guten Brauch nach, dass eine Fußball-WM im Normalfall ein Fest ist. "Man trifft sich mit Freunden, zieht durch die Straßen, schaut die Spiele irgendwo gemeinsam", sagt er und fügt gleich an: "Diese Vorfreude kommt bei Katar nicht auf, in Südamerika oder Europa wäre das ganz anders."

Natürlich sei die Entscheidung für das Emirat aufgrund "finanzieller Begehrlichkeiten" der Fifa gefallen, aber es bleibe abzuwarten, ob dieses Projekt in Katar oder den Nachbarländern einen Fußball-Hype auslöse. Ebenso wenig mag er beurteilen, ob Proteste im Ausland und vielleicht auch in den WM-Stadien etwas bewirken könne. Das müsse man abwarten.

Beim ASV Pegnitz hält Sportlicher Leiter Steffen Weihrich einen Boykott nicht für ein adäquates Mittel. "Das hätte man sich bei der Vergabe überlegen müssen, die Situation mit den fehlenden Menschenrechten in dem Land war ja bekannt", findet er. Das sei damals ja schon sehr fragwürdig gewesen, aber letztlich sei es halt ums Geld gegangen.

Australien wäre die bessere Wahl gewesen

Anderen Ländern hätte eine WM sicherlich mehr Schub in Sachen Fußball gegeben als einem Wüstenstaat, in dem Sport treiben kaum möglich ist. Beispielsweise Australien oder Japan, die sich auch beworben hatten. Da hätte es durchaus einen Boom geben können, glaubt Weihrich.

Die Spiele wird er wohl schon im Fernseher verfolgen. Aber ob die deutsche Nationalmannschaft überhaupt dabei ist? "Wenn wir gegen namhafte Fußball-Länder wie Nordmazedonien weiter so spielen, bin ich mir nicht sicher, ob wir überhaupt die Qualifikation schaffen."

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