Warum der Post-SV Nürnberg jetzt eine Eisfläche hat

Sebastian Böhm

Sportredaktion

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23.11.2020, 14:48 Uhr
Cool, es geht wirklich gut: Nach zwei, drei Minuten war auch Thomas Greilinger nicht mehr vom „Eis“ herunterzubekommen.

© Sportfoto Zink / Wolfang Zink, Sportfoto Zink / Wolfang Zink Cool, es geht wirklich gut: Nach zwei, drei Minuten war auch Thomas Greilinger nicht mehr vom „Eis“ herunterzubekommen.

Der Bundestagsfraktion der AfD könnte Andi Trautner wahrscheinlich eine Palette FFP2-Masken verkaufen; oder dem Deutschen Fußballbund Michael Köllner als neuen Bundestrainer. So wie er auf dem Tennisplatz steht, Typ Abenteurer, Mitte 50 – was man ihm natürlich nicht ansieht, und über den Klimawandel, essbaren Kunststoff und die Zukunft von Eisbahnen redet, wie er schwärmt, eingesteht und erklärt, neigt man auch als Journalist dazu, dem Mann aus Fürstenfeldbruck alles abzukaufen.

Im Sinne einer neutralen und ausgewogenen Berichterstattung ist es erfreulich, dass an diesem Freitagnachmittag nicht nur der Mann nach Nürnberg gekommen ist, der dem Post SV eine große Fläche synthetischen Eises verkauft hat, sondern auch Spezialisten, die einen großen Teil ihres Lebens auf echtem Eis verbracht haben: Aliyah Mai, eine 15 Jahre junge Eiskunstläuferin, ist mit ihrer Mutter, der ehemaligen Olympia-Teilnehmerin Eva-Maria Fietze aus Rosenheim gekommen und Thomas Greilinger aus Deggendorf.

Toe-Loop nach Toe-Loop

Moment, der Thomas Greilinger, der die Fans der Ice Tigers einst von einer großen Zukunft hat träumen lassen, der sich schwer am Knie verletzt hat, der von Ärzten zum Sportinvaliden erklärt wurde, der in seiner Heimat aber wieder zu seiner alten Form fand, der nach seinem Comeback als bester Spieler der DEL ausgezeichnet wurde, der den ERC Ingolstadt zur Meisterschaft führte und der zu begabtesten Eishockeyspielern zählt, die dieses Land jemals hervorgebracht hat, dieser Thomas Greilinger? Genau der.

Greilinger ist selbst auch ein bisschen überrascht, als außer Andi Trautner, Vorstandsmitgliedern des Post SV, den Eiskunstläuferinnen, einem omnipräsenten Sportfotografen und dem örtlichen Eishockeyberichterstatter auch noch zwei Fernsehteams vor der Bande der neuen Anlage warten. Greilinger erzählt, dass er nicht als Stargast gekommen ist oder als Repräsentant von Glice, dem Schweizer Start-up, das die Synthetikeis-Paneele in die ganze Welt verkauft. Namhafte Eishockeyspieler hätte Nürnberg schließlich selbst genügend zu bieten. Greilinger ist gekommen, um selbst ein wenig Schlittschuhe zu laufen. Eine solche Fläche könnte schließlich auch in Deggendorf entstehen. Greilinger hält sich zurück, nickt aber. Warum nicht?

Eishockey hat viele Probleme. Nahezu alle haben mit Geld zu tun. Das vielleicht größte Problem wird dabei aber nur selten thematisiert. Eis ist einer von drei Aggregatszuständen von Wasser. Eis kann als Hagel vom Himmel fallen, beliebt ist Eis aber vor allem, wenn es sich auf Gewässern bildet. Dazu aber muss es ordentlich kalt werden, also nicht so unangenehm kalt wie in diesen Novembertagen, sondern zapfig kalt und das über mehrere Tage.

Nur: Das passiert kaum noch, selbst in Finnland frieren die tausend und mehr Seen nicht mehr verlässlich zu, weshalb Andi Trautner sein Produkt mittlerweile auch an Autofirmen verkauft, die ihre Fahrzeuge nicht mehr auf zugefrorenen Seen testen können, weil das Eis auf diesen Seen diese Fahrzeuge nicht mehr tagen kann. Nun kann Eis seit 1882 auch künstlich erzeugt werden, das ist aber auch 138 Jahre später noch so teuer und fragwürdig, dass gerade der Eishockeysport ausnahmsweise froh sein kann, dass er meistens ignoriert wird.

Outdoorsport wird wichtiger

Beim Post SV haben sie trotzdem darüber nachgedacht, am Ebensee eine mobile Kunsteisbahn errichten zu lassen. Weil sie ihren Mitgliedern eine Alternative zum Hallensport anbieten wollten – in einem Jahr, in dem sich Hallensport nicht als Erfolgsmodell herausgestellt hat. "Outdoorsport", sagt Michael Sommer, der stellvertretende Vorstandsvorsitzende, "wird 2021 gewaltig an Wichtigkeit dazugewinnen."

Nach kurzer Recherche aber hat sich bereits gezeigt, dass die Anschaffung einer mobilen Kunsteisbahn weder finanziell noch energetisch ins Jahr 2020 passt. Im September einigte man sich deshalb auf eine andere Variante: synthetisches Eis. Andy Trautner kam ins Spiel und zwei Monate später sagt Michael Sommer, dass der Vertriebsmann seinen Job versteht: "Sonst hätte er das uns nicht verkauft."

Man kann in diesen Satz noch eine gewisse Skepsis hineininterpretieren. Aliyah Mai hat da bereits Toe-Loops vorgeführt und ist vom Kunststoff kaum noch wegzubringen. Thomas Greilinger aber zieht da erst seine Schlittschuhe an, wickelt weißes Tape auf seinen Schläger, weil schwarzes auf dem Kunststoff hässliche Spuren hinterlassen würde. Und dann geht er auf die Fläche, ein Ausnahmeschlittschuhläufer, technisch ein herausragender Spieler – und sieht aus wie ein Anfänger.

Der Kopf als Problem

Andy Trautner kennt diesen Moment, er scheint ihn nicht mehr zu fürchten. "Für uns Erwachsene ist der Kopf das größte Problem, weil wir uns einreden, dass das nicht gehen kann, weil es Kunststoff ist und kein Eis. Aber nach zwei, drei Minuten, wenn die Kufen warm sind, geht es immer besser." Tatsächlich werden Greilingers Bewegungen immer flüssiger, natürlicher. Er selbst sagt: "Cool, es geht wirklich gut." Später erzählt er, dass er wirklich ernsthaft interessiert ist, weil echtes Eis auch in Deggendorf keine Zukunft hat. Eine geeignete Fläche hätte er bereits in Aussicht, nur der Preis schrecke ihn noch.

Andy Trautner spielt selbst Eishockey, seit 48 Jahren, er gibt zu, "dass es nichts Besseres gibt, als frisches Eis – bei sechs Grad minus, allein der Geruch . . .". Mit Glice aber habe man eine Alternative geschaffen, die sehr nah dran ist. Trautner ist aber eben auch ein sehr guter Verkäufer. Der Selbsttest hingegen beginnt peinlich, die Fläche fühlt sich stumpf an, wer auf Eis ein mittelmäßiger Läufer ist, kann auf Glice offenbar nur staksen. Trautner lächelt, Greilinger auch, "gib halt Gas, dann geht‘s scho", ruft er und tatsächlich, geht es nach zwei, drei Minuten auch bei minderbegabten Hobby-Eishockeyspielern.

Vielleicht ja im Januar

Wie es beim Post SV rund um die Fläche weitergeht, ist noch nicht abzusehen. "Post on Ice", so haben sie das Projekt ursprünglich genannt, Glühwein, Lebkuchen, Eisstockschießen und Schlittschuh laufen im Ebenseepark musste aber verschoben werden. "Aber vielleicht dürfen wir ja im Januar oder im Februar damit loslegen", sagt Michael Sommer. "Wir sind bereit."

Mittelfristig sollen Mitglieder und einmal in der Woche auch Nicht-Mitglieder von der neuen Fläche profitieren können. "Vielleicht entsteht ja sogar eine Eissportabteilung." Trautner zweifelt daran keine Sekunde. Er prophezeit für die nächsten zwei Jahre eine Liga auf synthetischem Eis. Am Vormittag, erzählt er noch, habe Ägypten angerufen. Die wollen da ein Eishockeyspiel veranstalten. Vor den Pyramiden.

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