Weniger Mitglieder, neue Einfälle: So geht es den Turnern des TV Fürth 1860
16.11.2020, 12:07 UhrAls die FN anrufen, muss sich Alexander Weigel kurz einen Überblick verschaffen. Der Abteilungsleiter der Turner des TV Fürth 1860 hatte den Eindruck, "dass uns die Leute nach dem Sommer die Hütte eingerannt haben". Jedes Jahr im Herbst, nach Schulbeginn, sei der Ansturm auf die Anmeldebögen der Abteilung groß, nachdem die Eltern die Freizeitgestaltung ihrer Kinder nach den Stundenplänen ausrichten.
Doch einen Tag später kommt die ernüchternde Rückmeldung Weigels an die Redaktion, nachdem er sich in der Geschäftsstelle vergewissert hat: "Es sind tatsächlich etwa 100 Mitglieder weniger als vor einem Jahr. Das ist dann doch signifikant für uns, könnte aber schlimmer sein."
"Gefühlt sehr voll"
Doch er hält an seinem Eindruck fest: "Die begrenzten Hallenkapazitäten und Corona haben dazu geführt, dass es im Leistungstraining gefühlt sehr voll war." Im Breitensportbereich der Turner seien aber ein paar Gruppen nicht zusammengekommen, "diesen Ausfall können wir nicht kompensieren", bedauert Weigel. Der 34-Jährige ist seit fünf Jahren im Vorstand und seit einem Jahr Abteilungsleiter.
Noch Ende 2019 hatte die Turnabteilung rund 1140 Mitglieder, davon waren circa 200 Kinder in der Kindersportschule. Es ist die größte Sparte im Gesamtverein, der rund 4400 Mitglieder zählt. Das Angebot reicht vom Mutter-Kind-Turnen über TeamGym bis zu den Leistungsturnern. Die Zielgruppen haben jegliches Alter, nur zwischen 30 und 40 Jahren klafft ein Loch, das älteste aktive Mitglied ist über 90. Vor allem in den Gymnastik-Gruppen sind Leute schon jahrzehntelang dabei.
30 Personen pro Hallendrittel
Bei den Jüngsten ahnte er die schlechten Zahlen zunächst nicht. "Bei einem Schnuppertraining hatten wir so viele Kinder da, dass wir die Kapazitätsgrenze schnell erreichten im Hinblick auf die Corona-Regeln." Pro Drittel in der Halle durften sich 30 Personen aufhalten inclusive Trainer.
Das ist viel Verantwortung für einen Vorsitzenden, doch Weigel nimmt das nicht als Bürde wahr. Zum Broterwerb ist er Lehrer und damit Verantwortung gewohnt, für sein Ehrenamt hat er die Unterstützung der TV-Geschäftsstelle, ein Luxus, den kleinere Vereine nicht haben. In der Abteilungsleitung sind sie zu dritt, er selbst ist mittlerweile weder Turner noch Trainer.
Seine aktive Laufbahn hat er vor zwei Jahren beendet, immerhin mit der ersten Mannschaft in der Bayernliga. Trotzdem muss er mit einem Schmunzeln feststellen, dass das Team erst nach seinem Rücktritt in die höchste Klasse Bayerns aufgestiegen ist, in die bayerische Regionalliga. Die Saison hätte im Mai begonnen, doch es ist alles abgesagt worden, auch die Wettkämpfe im Herbst fielen flach.
Zwei Turner in der 2. Bundesliga
Nur die zwei Fürther Turner, die für den TV Monheim in der 2. Bundesliga antreten, nahmen an Wettkämpfen teil: Kai Meister und Julian Graf. Die Turnprofiliga laufe noch weiter – ohne Zuschauer, aber immerhin mit Live-Übertragung im Internet.
Auch Weigel hielt sich den Sommer über an Barren, Reck und Co. fit. Denn ein weiterer Vorteil der 60er: Der Verein hat eigene Hallen und ist nicht an die Kommune gebunden.
Trotzdem hatte der TV die gleichen Probleme wie alle anderen: Die Leute bei der Stange zu halten, war herausfordernd. "Wenn man ehrlich ist, ist es ohne diesen Wettkampfgedanken ein anderes Training, es war auf einem anderen Niveau."
Experimente ohne Druck
Man sei als Leistungsturner aber "im Kopf freier" gewesen, denn sie probierten ohne Druck neue Elemente aus, "riskante Dinge, die einem im Wettkampf nicht mehr Punkte bringen". Vor allem bei den Kindern und Jugendlichen hätten die Trainer "experimentiert, dass sie einfach Spaß haben am Lernen".
Die Erwachsenen hätten diesen Sommer sogar genossen, als sie endlich wieder trainieren durften, denn feste Trainingsgruppen, Anwesenheitslisten, genügend Abstand in der Halle und immer nur je einer am Gerät – Hygieneregeln lassen sich beim Turnen eben leichter einhalten als bei Mannschaftssportarten. "Es war kein Aderlass spürbar", bilanziert Weigel, der als Lehrer den ganzen Tag seine Maske tragen musste, in seiner Sportart nicht.
Kleine Hilfsmittel für zuhause
Seit November aber müssen die Trainer vor allem im Jugendbereich einfallsreich sein. Von manchen wisse er, dass sie Online-Kurse anbieten, kürzere zwar als die in der Halle, aber immerhin. Die Kinder bekamen kleine Hilfsmittel wie Handstandklötzchen mit nach Hause für "Kraft, Spagat, Seiltraining, Handstand", solche Sachen.
"Manche Eltern räumen das halbe Wohnzimmer um, damit die Kinder beim Umfallen nicht irgendwo draufkrachen", berichtet Weigel. Doch was ist mit den Drei- und Vierjährigen? "Da geht nichts mit Zoom." Und auch bei den Älteren rechnet er mit weiteren Austritten, hoffentlich werden es nicht zu viele. "Vier Wochen kann man verkraften, das ist vielleicht ein Monatsbeitrag."
Zumal ausgefallene Turnstunden auch bedeuten, dass der Verein keine Trainerhonorare bezahlen muss. Doch mehr schmerzen die ausgefallenen Veranstaltungen, die Geld bringen: Ferienlager, Weihnachtsturnen, Wettkämpfe. Trotzdem blickt der Chef vorsichtig optimistisch ins nächste Jahr: "Wenn man die Veranstaltungen betrachtet, fehlen uns 10.000 Euro. Doch uns als Abteilung geht es nicht schlecht."
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