"Wünsch Dir was" -Teil 1: Die FCN-Analyse
28.1.2021, 15:52 Uhr"Wünsch Dir was", singen die Toten Hosen und beschäftigen sich im gleichnamigen Lied mit der Sehnsucht nach einer besseren Welt. Während zu Beginn des Songs noch der Glaube an den Wandel zum Wunderbaren herrscht, entwickelt sich der anfängliche Optimismus zum Pessimismus. Oder vielleicht auch nur zum ernüchternden Realismus, dass die Hoffnungen ob der Begebenheiten schlicht zu naiv sind.
Man könnte den Verlauf des Songs nahezu eins zu eins auf die Hinrunde des 1. FC Nürnberg übertragen: Wenige Wochen nachdem der ruhmreiche Altmeister nur knapp den Abstieg in die Bedeutungslosigkeit abwandte, schürten die beiden neuen Führungsfiguren Dieter Hecking und Robert Klauß die Hoffnung auf ein besseres Spiel, auf einen besseren Club. Die Ansätze zeigte der FCN in nahezu jedem Spiel, es blieb aber bei Ansätzen, welche die noch immer klaren Defizite nicht wettmachen konnten.
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Entsprechend beendete Nürnbergs Liebes- und Leidensvereins die Hinrunde auf Rang zwölf. Besonders der nahezu gänzlich unerfolgreiche Januar ließ die anfängliche Euphorie fast gänzlich versiegen. Was hängen bleibt nach den ersten 17 Spielen? Dass eben auch ein Klauß innerhalb weniger Monate trotz RB-Fußball aus einem Fast-Absteiger kein Spitzenteam formen kann. Dass eben auch ein Klauß abhängig von der Mannschaft ist, die sich verglichen mit der Vorsaison nur in wenigen Positionen veränderte. Die naheliegende Lösung, nämlich das Verpflichten neuer Spieler, kann aber nur auf einer Analyse der Probleme basieren. Und die finden sich im Nürnberger Spiel in allen Mannschaftsteilen.
SPIELAUFBAU
Es beginnt im Spielaufbau, der enorm von Johannes Geis abhängig und dadurch berechenbar ist. Der Großteil der kontrollierten Ballbesitzphasen läuft über einen Innen- oder Außenverteidiger, der den Quarterback des 1. FC Nürnberg anspielt. Dieser wiederum setzt meist einen der beiden Flügelzehner in Szene. Im Kernprinzip ist damit der Ablauf skizziert. Statistisch ist Geis mit weitem Abstand der Zweitligaspieler mit den meisten Bällen ins eigene Angriffsdrittel. 193 solcher Pässe hat er gespielt. Der zweite in diesem Ranking ist Paderborns Innenverteidiger Sebastian Schonlau, er kommt auf 165. Das Problem: Auch den Gegnern bleibt Geis' Bedeutung für das Aufbauspiel des Clubs nicht verborgen, entsprechend konzentrieren sich die Opponenten entweder darauf, ihn entweder auszuschalten oder, sobald er den Ball hat, sämtlicher Optionen zu berauben. Der Druck auf Geis plus das Freilaufverhalten der Mitspieler führt dazu, dass Geis in Sachen Präzision der Bälle ins Angriffsdrittel nur auf Platz 88 in der Zweiten Liga landet, nicht einmal jeder zweite Pass von Geis ins letzte Drittel kommt an.
Besonders gegen ohnehin tiefstehende Gegner erschwert dieses Verhalten das Spiel des FCN. Abhilfe schaffen kann der Club durch Variabilität, indem er immer wieder Situationen einstreut, in denen Geis bewusst ausgelassen wird – und damit die Räume nutzt, die der Gegner zwangsläufig vernachlässigt, wenn er sich auf ein Aufbauspiel mit Geis als Schlüsselfigur einstellt. Das gelang der Klauß-Elf unter anderem vor dem 1:0 beim VfL Osnabrück, als Mühl rechts anging und den Ball auf Valentini chippte, der anschließend Schäfflers Treffer vorbereiten konnte. Oder gegen Aue bei der Kombination auf dem linken Flügel über Nürnberger, Handwerker, Singh und Schäffler, der letztlich Hacks Siegtreffer auflegte.
KONTERSPIEL
Deutlich zielstrebiger und erfolgreicher agiert der Club, wenn er nicht gegen einen organisierten Gegner aufbauen muss, sondern gegen eine sich im Angriff befindliche Mannschaft kontern kann. Dann profitiert der 1. FC Nürnberg von seinen Tempo-Spielern wie Robin Hack (kicker-Notendurchschnitt 3,25) oder Felix Lohkemper (3,20), die sich bisher in besserer Form präsentierten als die klassischen Feinfüße wie Nikola Dovedan (4,28) oder Sarpreet Singh (4,60). Auch dieser Umstand lässt erahnen, dass (und warum) der Club in dieser Saison (nur) eine Kontermannschaft ist. Die Zahlen belegen es: Acht der 25 Treffer ging eine Umschaltaktion voraus, kein Zweitligist erzielte in der Hinrunde mehr Treffer nach Kontern – obwohl der FCN einige potenziell aussichtreiche Kontersituationen durch ein falsches Aufdrehen oder unpräzise Abspiele nicht einmal ausspielte.
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Wie es gehen könnte, zeigte der Club unter anderem gegen Bochum: Es lief die 27. Minute, als Tom Krauß zusammen mit Sechser-Kollege Geis den Ball in der eigenen Hälfte eroberte, Fabian Nürnberger marschierte anschließend mit dem Spielgerät durchs Mittelfeld und bediente Robin Hack mit einem herausragenden Schnittstellenpass. Währenddessen lief Manuel Schäffler zunächst noch im Gleichschritt auf Höhe des zuständigen Innenverteidigers mit, sodass sich der Abwehrmann auf einer Linie zwischen Ball und Zielspieler befindet – und somit nie Ball und Gegner zugleich im Blick haben konnte. Nachdem Schäffler also zunächst sprintete, ließ er sich kurz bevor der Querpass gespielt wurde, fallen und konnte dann frei einnetzen.
TIEFE IM SPIEL
Besonders bei Flanken und Hereingaben von der Seite kommt Manuel Schäffler eine große Bedeutung zu – nicht nur in der Vollendung, sondern auch beim vorangehenden Laufweg. Doch auch die Möglichkeiten des Sturmtanks sind begrenzt: Erhält der 31-Jährige den Ball in der offenen Stellung oder auf dem Flügel, ergibt sich in der Folge nur äußerst selten – mit Ausnahme des Lohkemper-Treffers in Paderborn – eine Torchance. Und: Auch ein Schäffler ist abhängig von seinen Mitspielern und vor allem von deren Flanken. Schäffler ist – zusammen mit Dursun, Albers, Serra und Terodde – mit drei Kopfballtoren der Zweitligaangreifer mit den meisten Kopfballtoren in der Hinrunde, Hack folgt mit deren zwei auf Rang Sechs der Rangliste. Mit insgesamt acht Kopfballtoren (Mühl, Sörensen und Lohkemper haben je einen Kopfballtreffer erzielt) ist der Club die kopfballstärkste Mannschaft der Hinrunde in der zweiten Liga. Dennoch setzen nur Osnabrück und Aue noch weniger auf Flanken.
Stattdessen versucht es die Klauß-Elf öfter über das Zentrum und flache Zuspiele, spielt mittlerweile die drittmeisten Steckpässe der Liga, bringt davon aber nur wenige an den Mann: Nur der VfL Osnabrück und Eintracht Braunschweig verzeichneten in der Hinrunde eine schlechtere Erfolgsquote bei Pässen ins letzte Drittel als der FCN (61 Prozent). Entsprechend schwer fällt es dem Altmeister, in die Tiefe zu kommen. Wie es auch ohne Steckpässe und Einzelaktionen gelingen kann, Räume zu schaffen, lässt sich an einem Spielzug in der 10. Minute der Partie in Heidenheim aufzeigen: Nach einem Einwurf nimmt Schäffler den Ball mit der Brust auf Höhe der Mittellinie mit dem Rücken zum Tor an, ehe er auf den freien linken Flügel zu Tim Handwerker verlagert, der das Tempo aufnimmt – und Singh, Hack, Nürnberger und Schäffler tun es ihm gleich, starten allesamt parallel in die Tiefe und stellen damit die gesamte Abwehrkette vor ein Dilemma: Entweder sie bleibt stehen und riskiert eine Hereingabe des Linksverteidigers zu einem der vier einlaufenden Offensivspieler, die dann jeweils alleine vor dem Torhüter zum Abschluss kommen könnten, oder sie lassen sich ebenfalls fallen. Dann erweitert sich der Zehnerraum, den Robert Klauß überladen und nutzen möchte.
ÜBERLADEN DES ZENTRUMS
Ziel des "Überladens" ist es, das Zentrum derart zu verdichten, dass sich zum einen Optionen zum Kurzpassspiel ergeben, zum anderen aber der Gegner auch gezwungen wird, selbst einzurücken, um den zahlreichen Nürnbergern in gefährlichen Positionen Paroli bieten zu können. Entsprechend ergeben sich Möglichkeiten auf dem Flügel für Tim Handwerker und Enrico Valentini, die als einzige in der Offensive die Breite halten.
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Gegen Hannover glückte dieser Plan – zumindest bis zum Abschluss: Mühl dribbelte an und erhielt keinen Gegnerdruck. Halblinks und halbrechts vor ihm positionierten sich Tom Krauß und Nikola Dovedan, zwei der vier Club-Akteure auf engem Raum, in den beiden Lücken zwischen den drei Mittelfeldspielern. Während der Österreicher seinem Verteidiger entgegenkam und damit die Aufmerksamkeit auf sich zog, setzte sich der Neuzugang aus Leipzig zwischen das Mittelfeld und die Abwehr ab, erhielt dann den Ball, spielte einen kurzen Doppelpass mit Manuel Schäffler und setzte anschließend auf dem linken Flügel Handwerker in Szene, der viel Zeit zum Flanken hatte.
SPIEL GEGEN DEN BALL
Mit der Idee des Überladens geht auch der Gedanke einher, im Falle eines Ballverlustes durch ein kompaktes Zentrum den Gegner zum Konter über den Flügel zu veranlassen, wo der Weg bekanntlich weiter, die Gefahr geringer ist – normalerweise. Denn gerade der Club offenbart auf den Außenbahnen und besonders auf der rechten Seite, wo Enrico Valentini oft weit mit aufrückt und dann aber im Rückwärtsgang eben das Tempo oft nicht mitgehen kann, Schwächen. So kassiert der Club dann auch überdurchschnittlich viele Angriffe über die rechte Seite.
Nicht nur nach Kontern, sondern auch im kontrollierten Aufbau nutzen die Gegner meist dieses Defizit, um sich auf dem Flügel durchzusetzen und dann vor die letzte Kette zu spielen – und dort dann, man denke an Nielsens Treffer im Derby oder Haraguchis Tor am Sonntag, wenig Druck erhalten. Besonders wenn mit Johannes Geis und Fabian Nürnberger zwei Spieler, die beide nach vorne streben, die Doppelsechs bilden, offenbarte der Club mitunter eklatante Räume zwischen Mittelfeld- und Abwehrkette – und bereits einige Spieler, unter anderem Braunschweigs Danilo Wiebe, nutzten diese Räume.
GEGENTORE AUS DER DISTANZ
Die Vermutung, der Gegner würde sich seine Traumtore und Distanzschüsse immer für den Club aufheben, liegt bei sechs Gegentreffern aus der Ferne – nur Karlsruhe kassierte mehr – zwar nahe und muss nicht falsch sein. Teil der Wahrheit ist aber, dass der Club häufig zentral vor den Innenverteidigern die gegnerischen Stürmer recht unbedrängt zum Abschluss kommen lässt. So marschierte Genki Haraguchi knapp vier Sekunden durch die Nürnberger Hälfte, in denen nicht annähernd ein FCN-Profi Zugriff nehmen konnte. Statistisch wurde die Trefferwahrscheinlichkeit durch den fehlenden Druck und die Stellung des Torwarts dadurch vierzehnmal größer. Bei Bochums 2:1 durch Robert Tesche lag sogar eine Versiebzehnfachung vor. Auch bei Wiebes und Nielsens erwähnten Gegentreffern, war die statistische Wahrscheinlichkeit eines Tores durch das Abwehrverhalten deutlich höher, hier jeweils um den Faktor 10.
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Aus diesen Prinzipien und Problemen ergeben sich nicht nur taktische Drehschrauben, sondern auch personelle Baustellen. Florian Zenger und Sara Denndorf schlagen in den kommenden drei Teilen der Serie pro Problemzone drei Spieler vor, die sich im Rahmen eines Video- und Datenstudiums als sinnvolle sowie finanziell realistische Alternativen erwiesen. Transfergerüchte stellen sie jedoch nicht dar.
Vorbild der Serie ist die YouTube-Reihe "Sensible Transfers" des britischen Kanals "Tifo Football", der in jeder Transferperiode Vorschläge für die großen europäischen Klubs erarbeitet.
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