Auch Antibiotika betroffen

Rund 300 Medikamente betroffen: Warum die Arzneimittel in Deutschland knapp werden

Eva Orttenburger

Online-Redaktion

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13.10.2022, 05:54 Uhr
Derzeit gibt es bei vielen Medikamenten in Deutschland Lieferschwierigkeiten. Die Gründe dafür sind vielfältig. (Symbolfoto)

© IMAGO/Felix Schlikis, NN Derzeit gibt es bei vielen Medikamenten in Deutschland Lieferschwierigkeiten. Die Gründe dafür sind vielfältig. (Symbolfoto)

Viele Patientinnen und Patienten werden derzeit in der Apotheke vertröstet, wenn sie Arzneimittel kaufen wollen. Denn bei rund 300 Medikamenten gibt es Lieferengpässe.

Die Liste der betroffenen Produkte ist lang. Unter anderem sind Antibiotika, Asthmasprays, bestimmte Augentropfen, einige Insuline, Arzneimittel zur Senkung des Blutzuckerspiegels, Ibuprofen- und Paracetamol-Säfte und -Zäpfchen für Kinder, Blutdruckmittel, Neuroleptika und viele Krebstherapiemittel nur eingeschränkt verfügbar. Und das sind nur die verschreibungspflichtigen und besonders relevanten Mittel, die laut Liste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte fehlen. Hinzu kommen noch weitere Produkte, die es normalerweise ohne Rezept in den Apotheken gibt.

In einigen Fällen kam es zu dramatischen Situationen. Unter anderem waren Medikamente mit dem Wirkstoff Tamoxifen monatelang nicht lieferbar. "Tausende Frauen konnten ihre Behandlung gegen Brustkrebs nicht wie vorgeschrieben fortsetzen", erklärt Daniela Hänel, Apothekerin und Vorsitzende der Freien Apothekerschaft, gegenüber Focus Online.

Arzneimittel nicht verfügbar: Das sind die Gründe

Doch warum sind die Medikamente plötzlich knapp? In der Liste des BfArM finden sich nur unkonkrete Angaben wie "Produktionsproblem" oder "Sonstiges". Daniela Hänel und und Helmut Renz, Chefapotheker des Universitätsklinikums rechts der Isar in München, nennen dagegen mehrere Gründe.

Einerseits ist Deutschland bei Arzneimitteln stark von internationalen Lieferketten abhängig. 68 Prozent der Produktionsorte für Wirkstoffe liegen mittlerweile im asiatischen Raum. Hier kommt es an mehreren Stellen zu Problemen. Durch die Corona-Pandemie und den Krieg gegen die Ukraine gab es Preissteigerungen bei Rohstoffen und Verpackungsmaterialien.

Auch Transportprobleme durch die Verschiffung aus Fernost sind keine Seltenheit mehr. Wenn in Fernost wegen Corona Fabriken geschlossen werden oder Schiffe die Häfen nicht anlaufen dürfen, kommt es zu Verzögerungen bei der Produktion. Zudem setzen viele Hersteller auf "just-in-time" und haben keine Lagerbestände, auf die sie zurückgreifen können.

Außerdem habe die Pharmaindustrie laut Hänel ihre Produktion in den letzten Jahren gedrosselt, da die Menschen wegen der fehlenden Kontakte während der Pandemie weniger krank waren. Im Lockdown sind die Arzneimittelumsätze stark eingebrochen. Viele Firmen können die Produktion jetzt nicht auf die Schnelle wieder verdoppeln oder verdreifachen, um der Nachfrage gerecht zu werden. "Zusätzlich kommen die gesteigerten Energie- und Transportkosten hinzu", erläutert Hänel.

Was Betroffene wissen müssen

Sind bestimmte Arzneimittel nicht lieferbar, können die Apotheken ihren Kundinnen und Kunden alternative Präparate von anderen Herstellern anbieten. In manchen Fällen kommt auch ein anderes Mittel mit dem gleichen Wirkstoff in Frage.

Zudem gibt es für die am häufigsten in Deutschland verschriebenen Arzneimittel wie Herzmedikamente (ACE-Hemmer, Blutdrucksenker, Betablocker), Schilddrüsenpräparate und Diabetesmedikamente noch keine Engpässe. Ärzte und Apotheker appellieren allerdings an die Allgemeinheit, keine Arzneimittel zu horten. Denn eine Bevorratung würde die ohnehin schon angespannte Lage zusätzlich verschärfen.