Siemens bekommt Druck von Umweltschützern: Dicke Luft bei Hauptversammlung

dpa

5.2.2020, 17:17 Uhr

Drinnen ringt Siemens-Chef Joe Kaeser um die Deutungshoheit in der Klimadebatte, draußen singen Hunderte Protestierende gegen Kohlendioxid und Treibhausgase. Die Hauptversammlung des Siemens-Konzerns steht im Zeichen der Frage, ob der Konzern Aufträge für klimaschädliche Projekte annehmen darf. Dabei geht es inzwischen um mehr als die Lieferung einer Zugsignalanlage im Wert von 18 Millionen Euro für das riesige Kohlebergbauprojekt des Adani-Konzerns in Australien, an der sich der Streit entzündet hat.

Siemens-Chef Kaeser: Kritik von Umweltaktivisten "grotesk"

Dass Siemens wegen dieses "unseligen Projekts in Australien" zur "Zielscheibe doch zahlreicher Umweltaktivisten" geworden sei, nennt Kaeser "schon fast grotesk". Schließlich sei Siemens "erst in der zweiten Ableitung" beteiligt und die Lieferung für die Mine "irrelevant". Man müsse sich fragen, wo diese Debatte aufhöre: Dürfe Siemens dann im Zweifelsfall auch keine energiesparende Haustechnik für ein Hauptquartier eines großen Minenkonzerns liefern?

Die Klimaaktivisten gaben ihre Antwort am Mittwoch nicht nur vor der Türe mit einer Menschenkette und Plakaten mit Slogans wie "Siemens als Brandbeschleuniger für die Klima-Kriminellen", sondern auch bei Twitter. Luisa Neubauer von Fridays for Future, die auch zur Hauptversammlung gekommen war, schrieb: "Hier geht es längst nicht mehr "nur" um eine Beteiligung an der Adani-Mine. Es geht um jedes einzelne Investment globaler Konzerne." Am Morgen waren es rund 300 Demonstrierende, für den Nachmittag sowie im Inneren der Hauptversammlung wurden weitere Proteste angekündigt.

Kaeser zeigt sich in der Klimadebatte zusehends frustriert. "Bei solchen Themen kann man nicht gewinnen, weil der Anspruch, den viele haben auf der anderen Seite, ein legitimer ist", sagt der Manager. "Nur: Ein Anspruch alleine schafft noch keine Lösungen", fügt er in Richtung seiner Kritiker hinzu. Ihnen wirft er vor, ein "Geschäftsmodell Aktivismus" zu betreiben. Manche Investoren aber halten Kaeser vor, den Streit um das Adani-Projekt durch widersprüchliche Botschaften selbst befeuert zu haben.

Siemens-Geschäftsjahr begann verhalten

Die Zahlen, die Kaeser vor Beginn der Hauptversammlung für das erste Geschäftsquartal vorlegt, glänzen nicht. Er selbst sagt, das Geschäftsjahr habe "etwas verhalten" begonnen. Dass der Gewinn mit rund 1,1 Milliarden Euro in etwa auf Vorjahresniveau blieb, hat der Konzern unter anderem einer deutlich niedrigeren Steuerlast zu verdanken. Allerdings erreichte der Auftragsbestand einen Rekordwert von 149 Milliarden Euro.


Umstrittenes Kohle-Projekt: Siemens spielt mit seiner Glaubwürdigkeit


Ansonsten bekam das Unternehmen die Schwäche der Autoindustrie und des Maschinenbaus, die wichtige Kunden sind, zu spüren. Zudem litt die Windenergie-Tochter Siemens Gamesa unter Sonderbelastungen durch verzögerte Projekte und schrieb im vergangenen Quartal deutliche Verluste. Hier hat sich Siemens allerdings größeren Einfluss gesichert: In der Nacht vor der Hauptversammlung kündigte der Konzern an, die Anteile des Minderheitsaktionärs Iberdrola übernehmen zu wollen, mit dem es in der Vergangenheit immer wieder Streit gegeben hatte. Nun hofft Kaeser, dass "das Management wieder mehr Kapazität hat, sich mit der Verbesserung der Ertragskraft näher zu befassen".

Siemens: Kaeser muss sich einiges an Kritik anhören

Kaesers Vertrag als Vorstandsvorsitzender läuft zum Jahresende aus. Es ist aller Voraussicht nach seine letzte Hauptversammlung an der Siemens-Spitze. Als wahrscheinlichster Nachfolger gilt sein Vize Roland Busch.

Kaeser wird sich auch im weiteren Verlauf des Aktionärstreffens einiges an Kritik anhören müssen. Am späten Vormittag lagen bereits mehr als 50 Wortmeldungen vor. Zahlreiche Klimaaktivisten haben Beiträge angekündigt. Auch von einigen institutionellen Investoren wird Kritik erwartet. Die erste Aktionärsvertreterin, die zu Wort kam, Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, nahm Kaeser allerdings ein Stück weit in Schutz: Er habe beim Umgang mit dem Adani-Auftrag unnötigerweise "gepatzt", aber er habe auch vieles richtig und sehr gut gemacht. Es gebe keinen Grund, ihm das Misstrauen auszusprechen.

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