Virale Werbekampagnen: Der kalkulierte Shitstorm
10.6.2019, 05:53 Uhr"Danke Mama, dass du nicht Papa bist." Mit diesem wenig schmeichelhaften Fazit endet ein Werbespot, den Edeka anlässlich des Muttertags auf dem Videoportal YouTube veröffentlicht hat. Komplett in Schwarz-Weiß gehalten, präsentiert der gut einminütige Clip eine Reihe von Männern, die in ihrer Rolle als Vater spektakulär scheitern oder sich auf andere Weise lächerlich machen, während Kinderstimmen aus dem Off ihre Mutter loben.
Produziert wurde der Spot von der vielfach ausgezeichneten Agentur Jung von Matt, die schon früher mit der Supermarktkette zusammengearbeitet hatte. Bereits im November 2015 hatte beispielsweise ein Werbevideo der Agentur unter dem Titel #heimkommen die Geschichte eines Großvaters erzählt, der über Jahre hinweg immer wieder versucht, seine Kinder und Enkel zum Weihnachtsfest einzuladen. Stets erfolglos – bis er schließlich seinen eigenen Tod inszeniert. Als seine Familie zu den Trauerfeierlichkeiten zusammenkommt, präsentiert sich der alte Mann putzmunter mit den Worten: "Wie hätte ich euch denn sonst alle zusammenbringen sollen?"
Im Gegensatz zu #heimkommen jedoch, das neben einiger Kritik an dem inszenierten Tod des Seniors auch Lob für die emotionale Geschichte und ästhetische Darstellung erhielt, sind die Reaktionen auf den Muttertags-Spot zu einem großen Teil negativ bis verheerend – und es sind beileibe nicht nur Männer, die die schlechte Darstellung ihrer Geschlechtsgenossen kritisieren.
Prof. Dr. Andreas Fürst, Inhaber des Lehrstuhls für Marketing an der Universität Erlangen-Nürnberg, wundert das nicht. "Mütter primär über eine Herabwürdigung der Väter zu loben, war sicherlich nicht der richtige Ansatz. Selbst viele Frauen, insbesondere in emanzipierten Beziehungen, können dieses Video nicht komplett nachvollziehen. Gerade in Zeiten von Social Media schlägt es enorm zurück, wenn man als Unternehmen auf Kosten bestimmter Bevölkerungsgruppen punkten möchte."
Während Edeka das Video als humorvoll verteidigte, schwieg Jung von Matt. Die Supermarktkette war jedoch nicht der einzige Konzern, der sich nach einer kontroversen Werbung mit heftiger Kritik konfrontiert sah. In der vergangenen Zeit hatten zahlreiche Firmen mit – teilweise erwartbarer – Entrüstung zu kämpfen: Der Rasierer-Gigant Gillette nach einem Spot über toxische Männlichkeit beispielsweise. Oder der Discounter Lidl nach einer Foto-Werbung auf Facebook, die einen Donut neben einem Bagel zeigte und den Titel "Loch ist Loch" trug.
Oder auch die Baumarkt-Kette Hornbach nach ihrem Spot "So riecht der Frühling", in dem eine junge Asiatin glückselig an verschwitzter Wäsche schnuppert, die gestandene europäische Mannsbilder vorher bei der Gartenarbeit getragen haben.
Neu ist das Konzept nicht
Doch selbst wenn es derzeit den Anschein hat, dass ohne Aufreger in der Werbung fast nichts mehr geht: Neu ist das Konzept nicht. Bereits in den 1980er Jahren setzten die italienische Modekette Benetton und ihr Fotograf Oliviero Toscani zunächst auf qualitativ hochwertige Fotos von Menschen in Kleidung der Marke, ehe Toscani zu Beginn der 90er den Schock als Werbeträger entdeckte und das Benetton-Logo stattdessen beispielsweise auf Fotos eines ölverklebten Wasservogels, eines sterbenden Aidskranken inmitten seiner trauernden Familie oder auch auf das Bild der blutbefleckten Kleidung eines gefallenen Soldaten platzierte.
Mit zweifelhaftem Erfolg: Schockwerbung könne sich durchaus zur Steigerung der Bekanntheit eignen, so Andreas Fürst, würde sich daher aber hauptsächlich für unbekannte Marken oder neue Produkte anbieten. "Benetton war damals eigentlich schon recht bekannt und hätte stärker auf Image- und Verkaufsförderung setzen sollen. Durch ihre Schockwerbung haben sie aber genau das Gegenteil erreicht."
Und dennoch kann man sich als Medienkonsument des Eindrucks nicht erwehren, dass die Anzahl der auf Viralität getrimmten Werbungen zunimmt – dass es also immer mehr Werbeanzeigen und -videos gibt, die darauf ausgelegt sind, in den sozialen Netzwerken möglichst häufig geteilt zu werden.
Überraschend ist das allerdings nicht, denn der Werbemarkt wird zunehmend schwierig. Das Marktforschungsunternehmen Nielsen hat festgestellt, dass die Werbeinvestitionen 2018 bei insgesamt rund 31,9 Mrd. € stagniert haben. Lediglich der mobile Werbemarkt hat zugelegt, dem steht aber ein teilweise deutlicher Rückgang in anderen Bereichen wie etwa der Kinowerbung gegenüber.
Sind die Werbetreibenden also quasi gezwungen, auf die Viralität ihrer Kampagnen zu setzen? Das Budget werde knapper, also müssten Werber eher auf virale Mechanismen vertrauen, erklärt Fürst und beschreibt auch das Problem an der Sache: Neben humorvollen eigneten sich auch polarisierende Inhalte für solche Werbemaßnahmen, bei Letzteren sei aber immer auch die Gefahr von Shitstorms gegeben. "Viralität ist einfach ein zweischneidiges Schwert", so der Marketing-Professor. Edeka ist nun ein weiterer Konzern, der hiervon ein Lied singen kann.
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