Wacker durch zwei Krisen: Wöhrl kämpft gegen Corona-Folgen
22.8.2020, 05:47 UhrAls am Abend des 17. März, einem Dienstag, die 29 Wöhrl-Filialen schlossen, da steckte Christian Greiner ein Kloß tief im Hals. Am nächsten Morgen würden die Türen der Modehäuser nicht, wie für einen ganz normalen Werktag üblich, wieder öffnen: Dieser Mittwoch ist Tag eins des von der bayerischen Staatsregierung verfügten Corona-Shutdowns. Wie viele Tage folgen würden – völlig unklar zu diesem Zeitpunkt. "Ein Albtraum für jeden Einzelhändler", stellt Greiner, Eigentümer und Aufsichtsratschef der Nürnberger Modehauskette Wöhrl, fest.
Zeit für Trübsal-Blasen bleibt dem 41-Jährigen jedoch nicht, nach der ersten Nacht im Schock-Modus startet das Krisenmanagement: Kurzarbeit beantragen, mit den Vermietern der Filialen verhandeln, mit den Lieferanten reden. All dies hat geholfen, die Wochen des Stillstands zu meistern. Den tiefen Einbruch beim Umsatz verhindert – das hat es nicht.
Das Unternehmen fährt "auf Sicht"
Die genauen Zahlen des Ende Juli abgelaufenen Geschäftsjahrs kann Greiner noch nicht nennen, aber so viel ist klar: Der Umsatz ist 2019/20 im Vergleich zum Vorjahr um einen zweistelligen Prozentbereich abgesackt. Das Unternehmen mit 1500 Beschäftigten schreibt rote Zahlen.
Angst und bange ist Greiner aber keineswegs. Denn das – von Corona ungetrübte – Vorjahr hat gezeigt: Nach der Insolvenz vor rund drei Jahren und dem für Anleger schmerzhaften Ausfall der Unternehmensanleihe geht es für Wöhrl unter dem neuen Eigentümer Greiner, ein Enkel des Firmengründers, wieder nach oben. Bei einem Umsatz von 250 Millionen Euro hat das Modehaus 2018/19 1,8 Millionen Euro Gewinn gemacht – aus dem operativen Geschäft, wie Christian Greiner betont.
Beides, ein Umsatz um die 250 Millionen und ein Gewinn, sind Ziele für das frische Geschäftsjahr. Angesichts der Unwägbarkeiten rund um die Pandemie fahre man allerdings erst einmal "auf Sicht" und hoffe auf ein gutes Weihnachtsgeschäft.
Eigentümer sieht Vorteile im stationären Handel
Am Steuer sitzt dabei ein neu zusammengestelltes Vorstandsteam: Nach 45 Jahren bei Wöhrl hat sich Robert Rösch in den Ruhestand verabschiedet, für ihn ist der bisherige Verkaufsleiter Martin Barzauner (42) in den Vorstand aufgerückt. Thomas Weckerlein (52), seit 2018 im Vorstand, ist nun Vorsitzender des Führungsgremiums. Beide sind schon viele Jahre im Unternehmen: Beim Personal setzt Wöhrl "bewusst auf Eigengewächse" – und bei der Strategie auf die Geschäfte vor Ort, betont Christian Greiner. Dem Online-Handel kommt dabei in seinen Augen die Rolle des zusätzlichen Services für die Kunden zu. Diese "verlängerte Ladentheke" ist bei Wöhrl seit Januar 2020 am Start und soll einmal für fünf bis zehn Prozent des Umsatzes sorgen.
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Das ist überschaubar angesichts der Übermacht, die der Online-Handel in manchen Punkten geltend machen kann. Mit der Auswahl im Internet zum Beispiel kann das Sortiment in den Läden nicht mithalten. Das allerdings eröffne dem stationären Handel auch Chancen, so Greiner, der auch Vorstandschef des Münchner Kaufhauses Beck ist. Denn: "Wir treffen für den Kunden eine Vorauswahl".
Dazu kommt: Den persönlichen Kontakt inklusive Beratung gibt es nur vor Ort. Und was das von stationären Einzelhändlern viel zitierte "Einkaufserlebnis" vervollständigt, das ist ein Cafe-Angebot im Laden. Dazu kooperiert Wöhrl – zusätzlich zu der Gastronomie im Nürnberger Stammhaus – in vielen Filialen mit der Kaffeehauskette Coffee Fellows.
Bücher und Mietwagen: Angebot wird erweitert
Christian Greiner reichen Heißgetränke und Kuchen jedoch nicht aus, um Kunden in seine Bekleidungshäuser zu locken. Künftig soll es in immer mehr Filialen auch Stoff für Literaturfreunde geben – in Zusammenarbeit mit dem Buchhändler Hugendubel. Und auch Mietwagen finden ein Zuhause im Wöhrlschen Mode-Imperium: In die Filiale in Unterföhring, direkt bei einem Hotel gelegen, ist Sixt mit einem Schalter gezogen. Das bringt nicht nur zusätzliche Kunden, sondern auch Mieteinnahmen, so die Rechnung.
"Undercover Boss": Wöhrl-Vorstand wird im TV zu Praktikant
Für Greiner gilt bei alledem jedoch das Motto: Schuster, bleib bei Deinen Leisten. Deshalb lagert er diese Zusatzangebote an Partner aus. Wöhrl selbst konzentriert sich auf seinen Kern, die Mode. Tatsächlich bietet diese Branche ausreichend Aufgaben für das Management.
Das fängt schon damit an, dass der Markt der Hersteller im rasanten Wandel ist. Viele deutsche Marken sind von Krisen gebeutelt: Tom Tailor, Strenesse – das sind nur einige der großen Namen mit noch größeren Schwierigkeiten.
Legeres statt Anzug
Das geht weiter mit den Erwartungen der Kunden an das Sortiment, die von Stadt zu Stadt unterschiedlich sind. Beispiel Boss: In den Wöhrl-Filialen Ingolstadt, Würzburg und Nürnberg ist das komplette Angebot über alle Linien des schwäbischen Herstellers gefragt. Im Ansbacher Geschäft hängt dagegen kein einziger Boss-Anzug über den Bügeln – mangels Nachfrage.
Und zu alledem kommt nun noch die Coronakrise. Die hat direkt auf die Bedürfnisse der Kunden durchgeschlagen, berichtet Christian Greiner. Jegliche Bekleidung, die mit Geschäft und Büro zu tun hat, will kaum einer haben. Anzüge, Kostüme – das Virus hat sie zum Ladenhüter gemacht. Auch aufwendige Roben für Bälle bleiben an der Stange hängen, ebenso wie Dirndl und Lederhosen. Wer braucht schon eine Tracht, wenn das Oktoberfest ausfällt?
Was aber geht nun über die Ladentheke, seit die Geschäfte wieder offen haben? Sportkleidung und Legeres für das Homeoffice, das sind die Segmente, mit denen Wöhrl derzeit Umsatz macht. Und die Kunden, die es in die Filialen treibt, kommen nicht, weil sie gerade in der Stadt bummeln, sondern weil sie konkret etwas wollen, erklärt Greiner. Ein Teil seiner Strategie gegen die gesunkene Frequenz: Mehr Teile pro Kunde verkaufen.
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