Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich?
Warum weniger Arbeit mehr Probleme schafft als löst
7.9.2023, 17:00 Uhr32 Arbeitsstunden, verteilt auf vier Tage - das klingt gut. Auf den ersten Blick. Und zur IG Metall passt eine solche Forderung ohnehin. Schließlich waren es die Metall-Gewerkschafter, die schon so manche Pionierleistung vollbracht haben, erinnert sei an die Einführung der 35-Stunden-Woche. Überhaupt zählt der Einsatz von Gewerkschaften für die Arbeitnehmerinteressen zu den unverzichtbaren Konstanten unserer Arbeitswelt.
Und ein Teil dieses Kampfes gilt seit jeher der Arbeitszeit. In den 50er Jahren war es der arbeitsfreie Samstag, der mühsam erstritten werden musste, später dann weitere Arbeitszeitverkürzungen - bei vollem Lohnausgleich versteht sich. Nun, so die IG-Metall-Logik, sei es an der Zeit, die Vier-Tage-Woche einzuführen. 32 Stunden, gleiches Gehalt, zunächst auf die Stahlindustrie begrenzt, so lautet die Ausgangslage. Man muss der nach Gewerkschaftsforderungen einsetzenden reflexartigen Empörung der Arbeitgeberseite nicht immer zwingend folgen, schließlich gehört es beinahe zum guten Ton in Tarifkonflikten, dass beide Seite zunächst kein gutes Haar an den Vorstellungen der Gegenseite lassen. In diesem Fall haben die Arbeitgeber allerdings schlicht Recht.
Denn so sehr eine reduzierte Wochenarbeitszeit für viele Beschäftigte verlockend wirken mag, so wenig passt ein solches Szenario in die wirtschaftliche Realität des Jahres 2023. Man stelle sich vor, andere Branchen würden sich den Forderungen anschließen und am Ende käme die Vier-Tage-Woche flächendeckend übers Land. Ein solches Szenario würden den Fachkräftemangel, der sich in weiten Teilen des Erwerbslebens bereits zu einem Arbeitskräftemangel ausgewachsen hat, dramatisch verschärfen. Heute schon sind viele Stellen kaum zu besetzen.
Es wäre zudem zu befürchten, dass sich Unternehmer einen anderen, im Ausland liegenden Standort für die Produktion suchen. Immer häufiger ist von einer vermeintlichen Deindustrialisierung Deutschlands zu hören. Zwar wird der Begriff in vielen Fällen als Argumentationshilfe von arbeitgebernahen Verbänden eingesetzt, ganz von der Hand zu weisen sind derlei Befürchtungen jedoch nicht.
Nachhaltig erfolgreiche Tarifpolitik hat am Ende auch mit Augenmaß zu tun. Die Forderung nach einer Vier-Tage-Woche ist in der jetzigen Zeit maßlos. Vielmehr sollte die IG Metall einen 2024 beginnenden, wissenschaftlich begleiteten Versuch abwarten. Interessierte Unternehmer können testweise Erfahrungen mit einer Vier-Tage-Woche sammeln. Sollten diese positiv ausfallen, wäre das der richtige Zeitpunkt für eine Gewerkschaftskampagne. In die angespannte Situation des Herbstes 2023, das sollten auch IG-Metall-Funktionäre verstehen, passt das nicht. Am Ende würde ein erfolgreicher Kampf für eine 32-Stunden-Woche womöglich für etliche Beschäftigte das Stahlindustrie mit dem Verlust des Arbeitsplatzes "belohnt".
2 Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen