Zeitarbeitsagenturchefin im Interview: "Die Krise hat mich Demut gelehrt"
30.12.2020, 09:07 UhrIm Interview erzählt sie, warum Corona ihr an einem bestimmten Tag ins Bewusstsein kroch, wie der sprunghaft gestiegene Bedarf an Toilettenpapier in deutschen Haushalten teils schizophrene Zustände in ihrer Firma zur Folge hatte und warum sie glaubt, dass es eine Rückkehr zur "alten Normalität" nicht geben wird.
Frau Hofmann, Sie sind 66 Jahre alt, träumten vor den dortigen Unruhen einst davon, Managerin auf einer Blumenplantage in Südafrika zu werden und haben sich, nachdem Sie bei einer Schweizer Zeitarbeitsfirma tätig waren aber in dem männerdominierten Unternehmen keine Karriere machen konnten, mit ihrer eigenen Zeitarbeitsfirma selbstständig gemacht. Was für eine Erfahrung ist die Pandemie für eine Macherin wie Sie?
Ingrid Hofmann: Es ist durchaus so, dass man teils vom Gestalter zum Getriebenen wird. Aber mir geht es hier wie den meisten. Corona ist etwas nie Dagewesenes, zu dem wir uns verhalten müssen. Und das tun wir, auch wenn es allen viel abverlangt.
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Wann haben Sie erkannt, dass dieses Virus aus Wuhan nichts Fernes ist, sondern eine unmittelbare Bedrohung für Menschen und Wirtschaft auch hier?
Hofmann: Das weiß ich noch genau, es war der 16. März. Am Tag davor hatten wir in einem Restaurant den Geburtstag meiner Tochter gefeiert, verabschiedet wurden wir vom Wirt mit den Worten: "Das wird jetzt vorerst wohl die letzte Feier gewesen sein." Das trifft einen schon. Dann ging es Schlag auf Schlag. Am 16. März hatten wir den ersten und in der Verwaltung bisher einzigen Corona-Fall, die Mitarbeiterin war zuvor im Urlaub. Auf einmal war das Begreifen da. Von da an tagte unser Corona-Aktionsteam teils täglich, oft mit den Liveübertragungen der Regierungspressekonferenzen. Das ist schon sehr besonders.
Wann spürten Sie die ersten Auswirkungen am Arbeitsmarkt?
Hofmann: Nach etwa einer Woche ereilten uns die ersten Abmeldungen von Mitarbeitern seitens der Kunden. Noch war zwar Arbeit da, aber etwa aus Italien und Spanien kam schon kein Material mehr. Auch unsere Tochtergesellschaften in diesen Ländern, aber auch in den USA, waren massiv betroffen. Zeitweise, ja, ist man wie paralysiert. Aber dann muss man sich der Krise stellen und reagieren, soweit es in der eigenen Macht liegt.
Wie schon in der Finanzkrise 2009 gewährte die Regierung auch Zeitarbeitsfirmen im März das Instrument der Kurzarbeit. Wie wichtig ist das für Ihre Branche?
Hofmann: Das war überlebensnotwendig. Die Regierung hat erkannt, dass kein Unternehmen es durchhält, wenn so viele Mitarbeiter auf einmal abgemeldet werden. Auch bei uns hätte das Jahr die Rücklagen aus 35 Jahren aufgebraucht, so allerdings werden wir es durch diese Zeit schaffen.
Dabei ist doch die Flexibilität, für die die Zeitarbeitsbranche wie keine andere steht, gerade in der Krise ein wichtiges Instrument, oder?
Hofmann: Das schon, ja. Aber wenn kein Material da ist, weil weltweit Lieferketten zusammenbrechen, dann können die Unternehmen auch keine Projekte in Angriff nehmen. Und genau für solche Spitzen sind wir ja da.
Ihre Branche agiert also als Puffer – und bekommt auch als erste die Schläge ab?
Hofmann: Natürlich gefällt mir das nicht, aber das ist die Natur unserer Branche. Deshalb arbeiten Unternehmen ja mit uns zusammen – weil sie Mitarbeiter schnell bekommen, aber sich auch problemlos wieder von diesen trennen, und wir Mitarbeitern dann Alternativeinsätze anbieten können.
Zeitarbeiter gehen also als erste, gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit gilt erst seit 2017 – vielen gilt diese Art der Beschäftigung noch immer als prekär . . .
Hofmann: Und das ärgert mich durchaus. Von einigen negativen Fällen wird auf die ganze Branche geschlossen. Auch wird oft nicht gesehen, dass nach Tariflohn bezahlt wird und dass auch nur zwei Prozent der Beschäftigten hierzulande in so einem Beschäftigungsverhältnis stehen. Außerdem suchen sich viele bewusst einen Arbeitgeber wie uns. Wir hatten etwa einen Physiker, der nur für Projekte eingesetzt werden wollte, weil er die Abwechslung schätzt. Viele Mitarbeiter bei uns können mitbestimmen, wo sie eingesetzt werden, sie wollen sich nicht fest binden, haben mitunter eine flexible Lebensplanung. Das geht besonders gut in unserer Branche.
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Diese Flexibilität bringt wenig, wenn man ohne Job dasteht. Allein in der Region beschäftigt Ihr Unternehmen mit rund 1600 Menschen rund 300 Mitarbeiter weniger als im Vorjahr.
Hofmann: Ja, und das bedauere ich. Aber das ist eine Entwicklung, die in diesem Jahr die meisten Branchen erleben. Hinzu kommt, dass die Lage schon vorher angespannt war. Gesetzesänderungen wie die Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten haben zu einem kleinen Rückgang geführt. Vor allem macht uns aber der Strukturwandel der Automobil- und Zulieferindustrie zu schaffen, da ist bislang nicht klar, wie es weitergeht. Auch Zollstreitigkeiten mit den USA waren ein Problem, ebenso das Gerangel um den Brexit, weswegen wir unsere Tochtergesellschaft in London aufgelöst haben.
Doch nicht überall müssen Stellen abgebaut werden . . .
Hofmann: Nein, und auch bei uns ist das längst nicht in allen Bereichen der Fall. Während die Automobil- und Zulieferindustrie massiv abbestellte, ereilten uns überdimensioniert viele Anfragen etwa aus der Logistik. Stichwort: Hamstern von Nudeln und Toilettenpapier. Das war schon etwas verrückt. Auf der einen Seite Kurzarbeit und teils Entlassungen, auf der anderen haben wir bis zu 50 Menschen pro Woche neu eingestellt. Denn Sie können natürlich nicht jemanden, der sonst in einem Automobilwerk am Band steht, einfach zum Regalefüllen einsetzen – und das nicht nur wegen der geringeren Bezahlung. Insofern hat die Nachfrage aus anderen Bereichen die Verluste in anderen nicht kompensieren können – zumindest nicht in der Region Mittelfranken. In anderen Bundesländern ist das besser gelungen.
Nach Nudeln und Toilettenpapier: Menschen hamstern Hefe
Wie optimistisch sind Sie in Bezug auf die nach-pandemische Zeit?
Hofmann: Ich meine wirklich, dass nach einer Erfahrung wie der jetzigen eine Rückkehr zur alten Normalität ausgeschlossen ist. Wir werden Geschäftsreisen auch künftig hinterfragen, nicht für jedes Meeting in den Flieger steigen. Auch in Bezug auf Homeoffice hat sich viel geändert, hier werden die Uhren sicher nicht einfach zurückgestellt. Und wir, auch ich, haben in der Krise gelernt: Demut, und nicht alles als selbstverständlich zu nehmen. Das sollten wir uns erhalten. Wie schnell sich alles ändern kann, haben wir in diesem Jahr erlebt.