Wegsehen hilft niemandem

"Ich schaue keine Nachrichten mehr": Warum das trotz aller Krisen keine Option ist

Alexander Jungkunz

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14.11.2023, 10:55 Uhr
"Tagesthemen"? Nein, danke. Deutlich gestiegen ist die Zahl derer, die versuchen, Nachrichten gar nicht erst mitzubekommen: 

© Janis Röhlig, dpa "Tagesthemen"? Nein, danke. Deutlich gestiegen ist die Zahl derer, die versuchen, Nachrichten gar nicht erst mitzubekommen: 

Ach, ich schaue gar keine Nachrichten mehr. Lese die Zeitung nicht. Ich halte das alles nicht mehr aus.

Das sagen einige, und sie verhalten sich auch tatsächlich so. Sie konsumieren keine Medien mehr, die Infos über das Tagesgeschehen liefern - weil sie das zu sehr niederdrückt.

Der Trend ist mit Zahlen belegbar, der "Digital Newsreport 2023" lieferte dafür kürzlich Fakten. Demnach haben in Deutschland nur noch die Hälfte aller Befragten "großes Interesse" an Nachrichten. Deutlich gestiegen ist die Zahl derer, die sogar versuchen, Nachrichten gar nicht erst mitzubekommen: Jeder zehnte vermeidet es "oft", Nachrichten zu konsumieren, zwei Drittel unternehmen "öfter" den Versuch, Nachrichten aus dem Weg zu gehen, vor allem negativ behafteten Themen - allen voran solchen über den Krieg in der Ukraine. Der neue Krieg in Nahost mit den fürchterlichen Bildern von Leid, Elend und Tod dürfte diesen Trend noch verstärkt haben.

Auf den ersten Blick lässt sich so ein Verhalten nachvollziehen: Man lässt nur noch das an sich heran, was einem guttut, meidet Negatives.

Doch wer die Konsequenzen überdenkt, die sich daraus ergeben, kommt zu einem ganz anderen Ergebnis. Wer Nachrichten ausblendet, dem fehlen zusehends Informationen. Der Austausch, der Diskurs, auch der Streit - ein wesentliches Element einer lebendigen Demokratie - wird schwierig bis unmöglich, wenn die Beteiligten nicht wenigstens ungefähr die gleiche Wissensbasis haben. Dann redet der eine von Fakten, die sein Gegenüber kaum kennt, weil er sie bewusst ignoriert.

Ein anderer Umgang mit Krisen ist da sinnvoller und konstruktiver. Wir sind gut beraten, zur Kenntnis zu nehmen, was um uns herum geschieht. Allein schon deshalb, weil sich Krisen ja nicht in nichts auflösen, wenn wir vor ihnen die Augen verschließen. Sie entwickeln sich weiter - aber wer das Geschehen nicht verfolgt, der versteht es immer weniger. Die Kluft zwischen Informierten und aus eigener Entscheidung von Infos Abgehängten wächst.

Leichtes Spiel für Populisten

Das führt übrigens auch dazu, dass Parteien wie die AfD ein noch leichteres Spiel haben. Sie arbeitet nicht selten mit falschen Behauptungen oder Fakten, die so interpretiert werden, wie es ins Weltbild passt. Das kann aber nur der erkennen, der auf dem Laufenden ist und gegenhalten kann, wenn ihm Fake News aufgetischt werden.

Zumindest ein Grundwissen über das Geschehen ist für den informierten Diskurs unerlässlich. Dann kann man selbst entscheiden und auch trainieren, wie man mit den Infos umgeht. Wann man sie konsumiert, welche Quellen man nutzt - am besten differenzierende, abwägende. Wer sich bewusst abschneidet von Nachrichten, der läuft Gefahr, sich zum Gegenteil des mündigen Bürgers zu entwickeln.

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