Kinder-Impfungen
Stiko-Mitglied zu Kindern: Lieber Infektion als Impfung?
29.5.2021, 05:55 UhrObwohl die EU-Arzneimittelbehörde EMA nun den Weg frei gemacht hat für die Corona-Impfung für Kinder ab zwölf Jahren, bleibt die Ständige Impfkommission (Stiko) skeptisch. Der Erlanger Immunologe Christian Bogdan ist Stiko-Mitglied und erklärt, warum er so große Bedenken hat.
Herr Bogdan, die Politik möchte, dass Kinder und Jugendliche möglichst bald gegen Sars-CoV-2 geimpft werden können. Die Stiko zögert aber mit einer Empfehlung. Warum?
Christian Bogdan: Die Stiko gibt evidenzbasierte Impfempfehlungen. Dazu bedarf es Antworten auf Fragen wie: Was ist das Impfziel? Wie groß ist das Risiko dieser Gruppe, schwer an der Infektion zu erkranken oder zu versterben? Welche Daten gibt es zu Wirksamkeit und Nebenwirkungen der Impfung in der Altersgruppe? Eine Impfempfehlung kann nicht einfach deswegen ausgesprochen werden, weil es gerade gesellschaftlich oder politisch opportun erscheint.
Und was sind Ihre Antworten auf diese Fragen?
Bogdan: Die Wirksamkeit ist für Kinder und Jugendliche ab zwölf Jahren bereits nachgewiesen. Aber in Sachen Nebenwirkungen fehlen noch ausreichend Daten. In der Phase-III-Studie zur Zulassung des Impfstoffs für 12- bis 15-Jährige waren 1131 Kinder geimpft. Damit können wir Nebenwirkungen, die seltener als in einem von 100 Fällen auftreten, nicht zuverlässig detektieren. Zum Vergleich: In den Erwachsenen-Studien wurden jeweils über 15.000 beziehungsweise 20.000 Menschen geimpft. Die Immunantwort eines Kindes kann anders verlaufen als bei einem Erwachsenen. Deswegen braucht man da mehr Daten.
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Welche zusätzlichen Risiken kann es bei Kindern und Jugendlichen geben?
Bogdan: Diese Impfstoffe sind alle stark immunstimulierend. Deshalb kann es zu unerwünschten Immunreaktionen kommen. Beim Schweinegrippe-Impfstoff "Pandemrix" haben wir erlebt, dass es bei Kindern und Jugendlichen eine signifikant erhöhte Narkolepsie-Rate gab. Beim Biontech-Impfstoff hat das Paul-Ehrlich-Institut Hinweise für ein erhöhtes Auftreten von Herzmuskelentzündungen im zeitlichen Kontext zur Impfung, vor allem bei jungen Männern. Ich will nicht die Pferde scheu machen. Aber wir brauchen eben Daten und sollten nicht eine generelle Kinderimpfkampagne starten.
Welche Daten bräuchten Sie denn für eine Empfehlung?
Bogdan: Wir wünschen uns natürlich eine Fortführung der Zulassungsstudie. Außerdem hoffe ich, dass in Ländern, in denen schon Kinder und Jugendliche geimpft werden, auch entsprechende Sicherheitsdaten erhoben werden. Wenn das alles geschieht, bin ich zuversichtlich, dass wir uns in absehbarer Zeit ein tragfähiges Urteil bilden können.
Sie hatten eingangs erwähnt, dass auch das Impfziel entscheidend sei. Was sollte denn das Ziel sein?
Bogdan: Eine Impfung hat primär immer den Zweck, den jeweils geimpften Menschen vor einer Infektionskrankheit zu schützen. Kinder und Jugendliche gehören nicht zu den Menschen, die hier besonders gefährdet sind. Unser Ziel muss sein, in erster Linie diejenigen durch Impfung zu schützen, die ein erhöhtes Risiko haben, schwer zu erkranken oder gar zu versterben. Eine Impfung von Kindern nur zum Zwecke des indirekten Schutzes anderer ist keine ausreichende Impf-Indikation.
Wie kann man unter diesen Bedingungen das Ziel der Herdenimmunität erreichen?
Bogdan: Eine Impfquote von 70 bis 80 Prozent kann man auch ohne eine universelle Impfung aller Kinder erreichen. Bei Kindern müsste man viele Zehntausend impfen, um nur einen einzigen schweren Fall in der Altersgruppe zu verhindern. Entsprechend rechtfertigt das Nutzen-Risiko-Verhältnis bisher eine generelle Kinderimpfung aus meiner Sicht nicht.
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Influenza ist zwar nicht zu unterschätzen, trotzdem führt Covid-19 viel häufiger zu schwersten Verläufen. Das liegt zum Teil auch daran, dass es gegen Influenza eine sehr weitreichende Basisimmunität in der Bevölkerung gibt. Kann man so eine Basisimmunität bei Sars-CoV-2 auch durch Impfung erreichen?
Bogdan: Wer eine Corona-Infektion durchgemacht und gut überstanden hat, steht sicherlich mit einer breiteren und stabileren Immunantwort da als ein Geimpfter. Beim Kontakt mit dem ganzen Virus erstreckt sich die Immunantwort nicht nur auf das Spike-Protein, sondern auf weitere Virusbestandteile. Ein größeres Spektrum von Lymphozyten wird aktiviert. Deswegen könnte man sich sogar fragen, ob das Durchmachen einer Infektion in Altersgruppen, die nur ein extrem geringes Risiko für einen schweren Verlauf haben, nicht sogar ein Vorteil wäre.
Die Zwölfjährigen sollen im Falle von Biontech mit der gleichen Dosis geimpft werden wie die Erwachsenen. Wie sehr unterscheiden sich in anderen Fällen Impfstoffe für Erwachsene von denen für Jugendliche und Kleinkinder?
Bogdan: Die Unterschiede zwischen einem Zwölf-, einem 18- oder einem 30-Jährigen sind da wohl nicht so dramatisch. Bei Säuglingen und Kleinkindern geht man da aber in der Regel mit einer anderen Dosierung ran. Bei Hepatitis A enthält der Kinder-Impfstoff zum Beispiel nur die Hälfte der Viruspartikel der Erwachsenen-Dosis. Bei Diphtherie ist es dagegen wieder genau andersrum. Bei Pneumokokken gibt es für Säuglinge und Kleinkinder sogar einen anderen Impfstoff als für Ältere. Hier ist die Immunantwort eines Säuglings auf den Erwachsenen-Impfstoff wirklich schlecht.
Das Virus mutiert immer wieder. Wie optimistisch sind sie, dass wir das Virus in Zukunft in Schach halten können?
Bogdan: Wir werden immer sehr alert bleiben müssen und benötigen eine gute Überwachung von zirkulierenden Virusvarianten. Es ist wahrscheinlich, dass die Impfstoffe immer wieder angepasst werden müssen. Bei der Influenza läuft das ja seit Jahrzehnten so. Insgesamt bin ich da aber zuversichtlich. Es existiert mittlerweile ein umfangreiches Wissen über Sars-CoV-2 und seine molekularen und immunologischen Eigenschaften.
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