4. September 1969: Mit dem Ballon über Franken
4.9.2019, 07:00 UhrPünktlich um 14.30 Uhr unter den Klängen des Fliegermarsches erhob sich der zehneinhalb Meter durchmessende Ballon vom Flugfeld, abseits des Volksfestes. In der Kanzel – nur 120 mal 110 Zentimeter messend – standen Major Robert Debiasie in seiner Eigenschaft als Leiter des US-Dienstleistungswesens im Befehlsbereich Nordbayern, sowie Herbert Lehnert, Reporter des Bayerischen Rundfunks, und als Vertreter der NN Redakteur Christian K. Polit. Sachkundiger Pilot des Gefährts war der Augsburger Hans Dolpp.
Ein Fachmann am „Steuer“
Gegen 10.30 Uhr wurde gestern vormittag auf dem Flugfeld mit dem Füllen des Ballons begonnen: 87 Kubikmeter reinen Wasserstoffes wurden aus den 85 unter mehr als 200 atü stehenden Flaschen in den Ballon gepumpt. Als Pilot stellte sich der Augsburger Großhandelskaufmann Hans Dolpp vor, seit zehn Jahren begeisterter Ballonflieger und seit Juni dieses Jahres Inhaber der Weltrekorde über Zeit und Distanz: er schaffte die 658 Kilometer lange Strecke Augsburg – Paris in genau 21 Stunden und 31 Minuten. Außerdem war es gestern für Hans Dolpp in seiner Praxis als Ballonpilot der 130. Start. Für die drei besorgten Passagiere bedeutete dies bereits eine gewisse Beruhigung.
Am Portal zum Festplatz waren die Hauptakteure des Ballonstarts gegen 14 Uhr von einer Musikkapelle abgeholt und zum Startplatz geleitet worden, wo sich bereits viele tausend Nürnberger eingefunden hatten. Sie bewunderten die tapferen Flieger. Doch wie es in ihnen aussah, ahnte niemand.
Ausgesprochen unsportlich enterten die drei Fahrgäste die Korbkanzel. Dann hieß es: „Gut Land!“ – Das wünschten wir in diesem Augenblick alle auch, noch mehr als eine kühle Maß Bier.
Aufmunternd spielte die Musikkapelle Ihre Weisen („In der Heimat – da gibt‘s ein Wiedersehn“), die noch in der Gondel in 200 Meter Höhe zu hören waren. Der Ballon gewann langsam an Höhe.
Aber alles das war nur die Einleitung für ein erhebendes Ritual: die Taufe von Ballon-Neulingen, wie wir drei es waren. Hans Dolpp, unter den Ballonfliegern besser als Graf Hans von Horgau bekannt, taufte „mit Sand, der unseren Treibstoff darstellt und mit Sekt, der uns das Leben in luftigen Höhen wie auf der Erde verschönt“. Fortan hießen Major Robert Debiasie schlicht Graf Robert von Worzeldorf, BR-Funkreporter Herbert Lehner nur noch Herzog vom Dutzendteich und NN-Redakteur Christian K. Polit ganz einfach Freiherr von Katzwang.
Die Fahrt – so heißt der Flug in der Ballonfahrersprache – war ein Erlebnis: völlige Stille, nur von der Erde klang hier und da Verkehrslärm herauf, allerdings erfreulich gedämpft. Die Reise ging über den Rangierbahnhof zunächst in westlicher, später in südlicher Richtung.
Nicht nur mit diesen Wagen, sondern auch mit dem Tower des Nürnberger Flughafens stand der Ballon in ständiger Funksprechverbindung. Immerhin mußte der Luftraum im Bereich des wahrscheinlichen Flugweges von anderen Flugkörpern freigehalten werden. Obwohl die Flugroute des Ballons „Delta-Scharpf“ ständig vom Flughafen aus bestätigt wurde äugten seine Insassen unaufhörlich in die diesige Ferne – es bestand etwa zehn Kilometer Fernsicht –sobald sich das Brummen eines Flugzeugmotors näherte.
Bei allem Vertrauen zu den Fluggeräten des Ballons, die Hans Dolpp weitere 7.000 DM gekostet haben: irgendwie schienen sie ein gesundes Mißtrauen des frischgebackenen Herzogs, des Grafen und des Freiherrn nicht ganz ausräumen zu können. Schließlich kam der unendlich erscheinende Weißenburger Wald in Sicht. Ein geeigneter Landepunkt wurde anvisiert. Angesichts der immer näher kommenden Baumwipfel staunte der frischgebackene Adel über die Ruhe, mit der Pilot Dolpp Sand über Bord leerte, um den Ballon noch einmal etwas an Höhe gewinnen zu lassen.
Dann endlich war der geeignete Landepunkt ausgemacht; abseits eines Weihers, den wir unbedingt hinter uns lassen wollten ... Hans Dolpp zog noch einmal an der Leine und weiterer Wasserstoff strömte aus der Ballon-Hülle. Und, was keiner der Fahrgäste für möglich gehalten hatte: der Korb setzte „butterweich“ auf einer Wiese auf, „sprang“ noch einmal einen bis zwei Meter, um schließlich wenig weiter vor einer grasenden Kuhherde, die sich durch das Aufsetzen nicht weiter stören ließ, endgültig zu landen.
Später erfuhren wir, daß unser Gefährt nur etwa einen Kilometer von der Stelle entfernt niedergegangen war, wo im vergangenen Jahr der erste vom Volksfest aus gestartete Ballon gelandet war. Auf einen günstigen Westwind ist eben Verlaß.
Um 18 Uhr wurden die Ballon-Fahrer am Eingang zum Festplatz von einer Musikkapelle empfangen und zum Siechen-Zelt geleitet, wo die geglückte Landung noch einmal begossen wurde. Höhepunkt und Abschluß zugleich war die Verleihung der Urkunden an die Ballon-Fahrer aus den Händen des Piloten, der seinen Beifahrern auch noch eine goldene Nadel an die stolzgeschwellte Brust heftete. Neben einigen Lästerern gab es auch viele Festzelt-Besucher, die den tapferen Ballon-Fahrern Beifall zollten, so, als hätten sie gewußt, was sie durchgemacht hatten.
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