Der "Gauleiter" von Franken wurde vom Staat bezahlt

20.4.2018, 06:00 Uhr
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© Karlheinz Daut

Zur Wohnung in diesem schmucklosen Altbau irgendwo in Nürnberg muss man viele Stufen hinaufklettern. Nach dem Läuten öffnet sich die Tür, der Bewohner taxiert die Besucher mit geübtem Blick. In Sekundenschnelle erkennt er die Situation: Er springt über die Schwelle und brüllt die Journalisten an, sofort zu verschwinden, vor allem die Kamera auszumachen. "Sonst gibt es blaue Blinker!"

Kai Dalek will kein Interview geben, will nicht darüber sprechen, wie er die fränkische Neonazi-Szene in den 1990er Jahren stark gemacht hat. Warum er sich jeden Mittwoch mit den "Freunden" aus Thüringen um Neonazi Tino Brandt getroffen hatte. Will nicht reden über seine illegalen Wehrsportübungen und Schießtrainings. Seine Aufrufe zu Straftaten gegen linke Gruppen, Polizisten, Journalisten. Auch nicht über seinen Ordnerdienst bei den Heß-Gedenkmärschen der Neonazis in Wunsiedel.

Dicke braune Freunde

Dalek will unerkannt bleiben. Deswegen ruft er eine Polizeistreife herbei, um die lästigen, fragenden Gäste an der Haustür loszuwerden. Den jungen Staatsbeamten stellt sich der Hüne als "Mitarbeiter des Verfassungsschutzes" vor, dessen Identität nicht auffliegen dürfe. Am Klingelschild steht schließlich ein anderer Name. Die Nachbarn ahnen nichts davon, dass er der Mann ist, den der Verfassungsschutz vor über 20 Jahren in Franken darauf angesetzt hatte, die Ausbreitung des "Thüringer Heimatschutzes" auf Bayern zu verhindern. Jene gewaltbereite neonazistische Kampftruppe um Tino Brandt, aus der schließlich der NSU hervorging. Dalek aber war selbst tief ins braune Milieu verstrickt. Und am Ende mit Brandt eng verbandelt.

"Er war unsere Führungskraft in Bayern", berichtete Brandt später dem BKA. Dalek selbst sagte bei einem Verhör 2012 in Nürnberg, er sei "Gauleiter" gewesen. So sahen das auch führende Neonazi-Kader in der Region. Was er wirklich war, weiß nur der Verfassungsschutz, der seine Akte als "geheim" führt und keine Auskunft geben will über die dubiose Rolle seines Mitarbeiters. Nur so viel bestätigt er: Dalek habe eine Mailbox innerhalb des "Thule-Netzes" betrieben, der Kommunikationsplattform für Rechtsextremisten in den 90ern. Dalek hatte das Thule-Netz mit aufgebaut. Uwe Mundlos hat es genutzt.

Er habe keinen Kontakt zu Beate Zschäpe, Uwe Mundlos oder Uwe Böhnhardt gehabt, hatte Dalek mehrfach betont. Doch an dieser Aussage bestehen große Zweifel. Ein früherer fränkischer Neonazi-Aktivist berichtet dem NN-BR-Rechercheteam, "Böhni, Mundi und die Beate" hätten sich häufig in Nürnberg und Umgebung aufgehalten. Vor dem Abtauchen, aber wohl auch danach.

Bald nach der Kennenlernen-Fete von Rechtsextremen aus dem ganzen Bundesgebiet 1995 in der Gaststätte "Tiroler Höhe" in Nürnberg habe es wöchentliche Zusammenkünfte gegeben. Etwa am Marktplatz in Erlangen, bei "Kameraden" in Höchstadt und Herzogenaurach, zu denen auch Thüringer dazugestoßen seien. Und mit Leuten in Neumarkt, die mit Bombenbauanleitungen hantierten, sei man in Verbindung gewesen.

Zschäpe hatte Lust auf Eis

Matthias Fischer aus Fürth habe die "Koordination" der Treffen übernommen, sagt der Insider. Mit ihm sei damals überlegt worden, das Nürnberger Gerichtsgebäude "wegzuschießen". Menschen habe man "nicht in Mitleidenschaft" ziehen wollen. Doch sei man überzeugt gewesen: "Die Diktatur in Deutschland wird gelebt durch die Justiz. Und wenn man die Justiz in die Luft sprengt, kommt die Justiz schwer ins Schleudern."

Dreh- und Angelpunkt sei aber die von einem Rechtsradikalen gemietete Wohnung in der Marthastraße in Nürnberg-Mögeldorf gewesen. Hier hätten auch die beiden Uwes und Beate Zschäpe mehrfach übernachtet. Man habe große Partys gefeiert, auch über Attentate gesprochen. Der US-amerikanische Neonazi Gary Lauck habe nach einem Besuch sogar einmal 500 Mark dagelassen.

In einer Fürther Pizzeria, die nur ein paar Gehminuten von Matthias Fischers ehemaliger Wohnung entfernt liegt, ist Beate Zschäpe keine Unbekannte. "Sie hat auch einmal an unserer Eistheke gestanden", versichert die Inhaberin der Pizzeria und Eisdiele mit Nachdruck. Als der NSU im Jahr 2011 aufgeflogen war und die Medien Fotos von Zschäpe veröffentlichten, "hab’ ich gesagt, dass ich das Gesicht hier gesehen hab’", betont die Wirtin gegenüber NN und BR.

Beate Zschäpe habe Eis zum Mitnehmen bestellt. Sie sei mit einem Pulk gekommen und mit den Leuten spazierengegangen. Das müsse Anfang der 2000er Jahre gewesen sein, erinnert sich die Wirtin. Damals geschahen die ersten beiden Morde in Nürnberg, die dem NSU zugerechnet werden. In einer Vernehmung beim Bundeskriminalamt im Jahr 2013 bestritt Matthias Fischer, Zschäpe und Böhnhardt jemals kennengelernt zu haben.

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