"Die Maisinsel": Gefährdetes Eiland im Kriegsgebiet
28.5.2015, 13:26 UhrJedes Frühjahr bilden sich durch vom Kaukasus herangeschwemmte Erdbrocken kleine Inseln im Fluss Enguri an der Grenze zwischen Georgien und der abtrünnigen Region Abchasien. Es ist temporäres Ackerland für die georgischen Maisbauern, das sich auch der alte Abga (Ilyas Salman) nutzbar macht. Er prüft den Boden, gräbt ihn mit dem Spaten um, schafft in seinem Boot Werkzeug und Holzlatten heran.
Bei der dritten Fahrt bringt er seine 16-jährige Enkelin Asida (Mariam Buturishvili) mit. Sie hilft ihm bei der harten Arbeit, gemeinsam bauen sie eine einfache Hütte, abends teilen sie sich den im Fluss gefangenen Fisch. Als ihr Häuschen fertig ist, säen sie Maiskörner aus, bestellen ihr neu gewonnenes kleines Reich.
Lange kommt „Die Maisinsel“ ohne Worte aus, auch später wird nicht viel gesprochen. Der Film bezieht seine wachsende Sogkraft aus den Bildern, den Geräuschen der Natur, der genauen Beobachtung jeden Handgriffs und der Gesichter, in denen sich das stille Einverständnis zwischen dem alten Mann und dem Mädchen ausdrückt. Erst als ein Motorboot mit bewaffneten Soldaten vorbeifährt, fallen die ersten Worte – auf abchasisch.
George Ovashvili lässt in seinem zweiten Spielfilm (nach „Das andere Ufer“) eher nebenbei die Tragödie einer Region aufscheinen, die seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion immer wieder von Kriegen heimgesucht wird. Der schwelende Konflikt zwischen Georgien und Abchasien holt die auf ihrer Insel im Niemandsland siedelnden Protagonisten ein, als sich ein verletzter abchasischer Soldat in das Maisfeld flüchtet. Asida, die im Lauf dieses Sommers vom Mädchen zu einer sich ihrer Weiblichkeit bewusst werdenden jungen Frau heranreift, findet Gefallen an dem attraktiven Mann und entdeckt plötzlich ihre erotischen Wünsche und ihre Sehnsucht nach einem freien Leben.
„Die Maisinsel“ ist auch ein Statement gegen den Krieg. Vielmehr aber fokussiert Ovashvili den Reifeprozess des Mädchens und den Kampf des alten Mannes mit der Natur. Abga und Asida sind gleichsam allegorische Figuren in einem Film, der in seinem Minimalismus, seinen grandiosen Bildern und seinem hochdramatischen Finale von Schöpfung, Leben und Tod erzählt. Ein großes Werk, dessen erhabene Schlichtheit Seltenheitswert im Kino hat.
(GE/D/F/CZ/KZ/100 Min.; Filmhaus, Nbg.; Babylon, Fürth)
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